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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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eine Fortverlegung des Wollust-Centrums von hier geradezu
ein Schaden gewesen wäre. Und so hielt es sich als Lust¬
zäpfchen fortan allein weiter, -- heute von uns noch Kitzler
getauft und damit in seiner Rolle anerkannt.

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Die Wollust als reine Augenblicks-Lustempfindung be¬
trachtet, spielt, sagte ich dir, gleichsam nur auf einer Taste.

Sie macht dabei diese Taste nicht zu einem Orchester,
sondern sie erzielt ihre dämonische Macht im Moment nur
durch einfache Steigerung eines einzigen Tons. Von hier
aus wird verständlich, daß in der Kette deiner tierischen Vor¬
fahren von da ab, wo überhaupt Lust- und Schmerz-Reak¬
tionen äußerlich ziemlich deutlich werden, die Wollust wie
etwas mehr oder minder fix und fertiges erscheint.

Schon das Benehmen von verliebten Fischen, die sich
bloß aneinander reiben, noch ohne Begattungsglieder zu haben,
hat eine so frappante Ähnlichkeit mit geschlechtlich erregten
Menschenkindern, daß es den schlichtesten Beobachtern aufge¬
fallen ist. Vielleicht verteilt sich das Gefühl lange noch über
eine größere Zeit. Vielleicht. Sagen läßt sich das nicht
genau, da man nie weiß, wie viel Vorspiel ist, wie viel erst
echter Akt. Man möchte meinen, beim Menschen sei alles,
wenn es denn so weit ist, auch epigrammatisch zugespitzt.
Wie er ja in all seinem Handeln dieses Konzentrierte, Spar¬
same, Epigrammatische auch sonst hat. Aber wenn man im
übrigen bloß den Akt im Ganzen anschaut, so ist es wirk¬
lich schon ein Kunststück, auch nur den geringsten stichhaltigen
Unterschied zu finden zwischen einem verliebten Frosch-Männchen
und einem bloß von der nackten groben Wollust-Sehnsucht
gepackten Menschen.

eine Fortverlegung des Wolluſt-Centrums von hier geradezu
ein Schaden geweſen wäre. Und ſo hielt es ſich als Luſt¬
zäpfchen fortan allein weiter, — heute von uns noch Kitzler
getauft und damit in ſeiner Rolle anerkannt.

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Die Wolluſt als reine Augenblicks-Luſtempfindung be¬
trachtet, ſpielt, ſagte ich dir, gleichſam nur auf einer Taſte.

Sie macht dabei dieſe Taſte nicht zu einem Orcheſter,
ſondern ſie erzielt ihre dämoniſche Macht im Moment nur
durch einfache Steigerung eines einzigen Tons. Von hier
aus wird verſtändlich, daß in der Kette deiner tieriſchen Vor¬
fahren von da ab, wo überhaupt Luſt- und Schmerz-Reak¬
tionen äußerlich ziemlich deutlich werden, die Wolluſt wie
etwas mehr oder minder fix und fertiges erſcheint.

Schon das Benehmen von verliebten Fiſchen, die ſich
bloß aneinander reiben, noch ohne Begattungsglieder zu haben,
hat eine ſo frappante Ähnlichkeit mit geſchlechtlich erregten
Menſchenkindern, daß es den ſchlichteſten Beobachtern aufge¬
fallen iſt. Vielleicht verteilt ſich das Gefühl lange noch über
eine größere Zeit. Vielleicht. Sagen läßt ſich das nicht
genau, da man nie weiß, wie viel Vorſpiel iſt, wie viel erſt
echter Akt. Man möchte meinen, beim Menſchen ſei alles,
wenn es denn ſo weit iſt, auch epigrammatiſch zugeſpitzt.
Wie er ja in all ſeinem Handeln dieſes Konzentrierte, Spar¬
ſame, Epigrammatiſche auch ſonſt hat. Aber wenn man im
übrigen bloß den Akt im Ganzen anſchaut, ſo iſt es wirk¬
lich ſchon ein Kunſtſtück, auch nur den geringſten ſtichhaltigen
Unterſchied zu finden zwiſchen einem verliebten Froſch-Männchen
und einem bloß von der nackten groben Wolluſt-Sehnſucht
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[320/0336] eine Fortverlegung des Wolluſt-Centrums von hier geradezu ein Schaden geweſen wäre. Und ſo hielt es ſich als Luſt¬ zäpfchen fortan allein weiter, — heute von uns noch Kitzler getauft und damit in ſeiner Rolle anerkannt. [Abbildung] Die Wolluſt als reine Augenblicks-Luſtempfindung be¬ trachtet, ſpielt, ſagte ich dir, gleichſam nur auf einer Taſte. Sie macht dabei dieſe Taſte nicht zu einem Orcheſter, ſondern ſie erzielt ihre dämoniſche Macht im Moment nur durch einfache Steigerung eines einzigen Tons. Von hier aus wird verſtändlich, daß in der Kette deiner tieriſchen Vor¬ fahren von da ab, wo überhaupt Luſt- und Schmerz-Reak¬ tionen äußerlich ziemlich deutlich werden, die Wolluſt wie etwas mehr oder minder fix und fertiges erſcheint. Schon das Benehmen von verliebten Fiſchen, die ſich bloß aneinander reiben, noch ohne Begattungsglieder zu haben, hat eine ſo frappante Ähnlichkeit mit geſchlechtlich erregten Menſchenkindern, daß es den ſchlichteſten Beobachtern aufge¬ fallen iſt. Vielleicht verteilt ſich das Gefühl lange noch über eine größere Zeit. Vielleicht. Sagen läßt ſich das nicht genau, da man nie weiß, wie viel Vorſpiel iſt, wie viel erſt echter Akt. Man möchte meinen, beim Menſchen ſei alles, wenn es denn ſo weit iſt, auch epigrammatiſch zugeſpitzt. Wie er ja in all ſeinem Handeln dieſes Konzentrierte, Spar¬ ſame, Epigrammatiſche auch ſonſt hat. Aber wenn man im übrigen bloß den Akt im Ganzen anſchaut, ſo iſt es wirk¬ lich ſchon ein Kunſtſtück, auch nur den geringſten ſtichhaltigen Unterſchied zu finden zwiſchen einem verliebten Froſch-Männchen und einem bloß von der nackten groben Wolluſt-Sehnſucht gepackten Menſchen.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/336>, abgerufen am 22.11.2024.