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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Findet doch selbst das allbekannte "Zusammenknicken" des
Körpers im Geschlechtsakt seine deutlichste Ähnlichkeit im
Verhalten eines Niesenden! Ja ich wüßte, wenn ich die
beiden Akte in Gedanken miteinander vergleiche, bei bestem
Willen überhaupt keinen stichhaltigen Unterschied anzugeben,
-- mit einziger Ausnahme der reinen Steigerung des Grades
(nicht der Art) in dem Lustgefühl bei der Wollust. Es ist
eben ein Kanonenschuß gegen -- eine Priese Schnupftabak.

Diese ungeheure, märchenhafte Steigerung der Kitzellust
im Geschlechtsfalle, die kolossale Wucht des einen dumpfen
Tones, der der Hautkitzeltaste hier und nirgendwo sonst ver¬
liehen worden ist, -- das eben meine ich aber, ist die Folge
einfach davon gewesen, daß dieser Geschlechtskitzelakt hier zu¬
gleich die äußerste Stufe der Distanceliebe der Zellgenossen¬
schaften Menschenmann und Menschenweib darstellte, -- und
damit das ganze riesige Plus auf sich bekam, das in dem
höheren Individum an Lustempfindung frei geworden war
durch den Verzicht auf das wirkliche Mischen und Verschmelzen
der Einzeller.

Das Glücksgefühl der Liebeserfüllung, von der realen
Körpermischung abgetrennt bei allen vielzelligen Überindivi¬
duen, lokalisierte sich an dieser für die Distanceliebe äußersten
Hautkitzelstelle.

Damit nun freilich hat dieses "Wollustgefühl", wenn es
auch kein vergeistigtes Sinnesorgan nach Art des Auges oder
Ohrs sich geschaffen hat, doch eine ungeheure Perspektive hinter
sich erhalten, -- es ist zu einem bestimmten Krönungsmoment
in der allgewaltigen Liebesodyssee jedes Vielzellindividuums
geworden. Du brauchst bloß an die Vergeistigung dieser Liebe
gerade als Distanceliebe in all ihrer himmelblauen Herrlich¬
keit zu denken, um ein Gefühl zu erlangen, in welche Geistes¬
kette die Wollust damit eingetreten war. Ein Flug von einem
gesteigerten Schnupftabaktitzeln zum großen Einschlag in einer
wahren "göttlichen Komödie."

Findet doch ſelbſt das allbekannte „Zuſammenknicken“ des
Körpers im Geſchlechtsakt ſeine deutlichſte Ähnlichkeit im
Verhalten eines Nieſenden! Ja ich wüßte, wenn ich die
beiden Akte in Gedanken miteinander vergleiche, bei beſtem
Willen überhaupt keinen ſtichhaltigen Unterſchied anzugeben,
— mit einziger Ausnahme der reinen Steigerung des Grades
(nicht der Art) in dem Luſtgefühl bei der Wolluſt. Es iſt
eben ein Kanonenſchuß gegen — eine Prieſe Schnupftabak.

Dieſe ungeheure, märchenhafte Steigerung der Kitzelluſt
im Geſchlechtsfalle, die koloſſale Wucht des einen dumpfen
Tones, der der Hautkitzeltaſte hier und nirgendwo ſonſt ver¬
liehen worden iſt, — das eben meine ich aber, iſt die Folge
einfach davon geweſen, daß dieſer Geſchlechtskitzelakt hier zu¬
gleich die äußerſte Stufe der Diſtanceliebe der Zellgenoſſen¬
ſchaften Menſchenmann und Menſchenweib darſtellte, — und
damit das ganze rieſige Plus auf ſich bekam, das in dem
höheren Individum an Luſtempfindung frei geworden war
durch den Verzicht auf das wirkliche Miſchen und Verſchmelzen
der Einzeller.

Das Glücksgefühl der Liebeserfüllung, von der realen
Körpermiſchung abgetrennt bei allen vielzelligen Überindivi¬
duen, lokaliſierte ſich an dieſer für die Diſtanceliebe äußerſten
Hautkitzelſtelle.

Damit nun freilich hat dieſes „Wolluſtgefühl“, wenn es
auch kein vergeiſtigtes Sinnesorgan nach Art des Auges oder
Ohrs ſich geſchaffen hat, doch eine ungeheure Perſpektive hinter
ſich erhalten, — es iſt zu einem beſtimmten Krönungsmoment
in der allgewaltigen Liebesodyſſee jedes Vielzellindividuums
geworden. Du brauchſt bloß an die Vergeiſtigung dieſer Liebe
gerade als Diſtanceliebe in all ihrer himmelblauen Herrlich¬
keit zu denken, um ein Gefühl zu erlangen, in welche Geiſtes¬
kette die Wolluſt damit eingetreten war. Ein Flug von einem
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[315/0331] Findet doch ſelbſt das allbekannte „Zuſammenknicken“ des Körpers im Geſchlechtsakt ſeine deutlichſte Ähnlichkeit im Verhalten eines Nieſenden! Ja ich wüßte, wenn ich die beiden Akte in Gedanken miteinander vergleiche, bei beſtem Willen überhaupt keinen ſtichhaltigen Unterſchied anzugeben, — mit einziger Ausnahme der reinen Steigerung des Grades (nicht der Art) in dem Luſtgefühl bei der Wolluſt. Es iſt eben ein Kanonenſchuß gegen — eine Prieſe Schnupftabak. Dieſe ungeheure, märchenhafte Steigerung der Kitzelluſt im Geſchlechtsfalle, die koloſſale Wucht des einen dumpfen Tones, der der Hautkitzeltaſte hier und nirgendwo ſonſt ver¬ liehen worden iſt, — das eben meine ich aber, iſt die Folge einfach davon geweſen, daß dieſer Geſchlechtskitzelakt hier zu¬ gleich die äußerſte Stufe der Diſtanceliebe der Zellgenoſſen¬ ſchaften Menſchenmann und Menſchenweib darſtellte, — und damit das ganze rieſige Plus auf ſich bekam, das in dem höheren Individum an Luſtempfindung frei geworden war durch den Verzicht auf das wirkliche Miſchen und Verſchmelzen der Einzeller. Das Glücksgefühl der Liebeserfüllung, von der realen Körpermiſchung abgetrennt bei allen vielzelligen Überindivi¬ duen, lokaliſierte ſich an dieſer für die Diſtanceliebe äußerſten Hautkitzelſtelle. Damit nun freilich hat dieſes „Wolluſtgefühl“, wenn es auch kein vergeiſtigtes Sinnesorgan nach Art des Auges oder Ohrs ſich geſchaffen hat, doch eine ungeheure Perſpektive hinter ſich erhalten, — es iſt zu einem beſtimmten Krönungsmoment in der allgewaltigen Liebesodyſſee jedes Vielzellindividuums geworden. Du brauchſt bloß an die Vergeiſtigung dieſer Liebe gerade als Diſtanceliebe in all ihrer himmelblauen Herrlich¬ keit zu denken, um ein Gefühl zu erlangen, in welche Geiſtes¬ kette die Wolluſt damit eingetreten war. Ein Flug von einem geſteigerten Schnupftabaktitzeln zum großen Einſchlag in einer wahren „göttlichen Komödie.“

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/331>, abgerufen am 22.11.2024.