Es genügt, denke ich, wieder einmal vollkommen, die Dinge bis hierher gleichsam aus dem Hauptbuch der modernen Philosophie aufzurollen.
Was erhellen soll und, meine ich, muß, ist die unab¬ änderliche Beschränkung bei uns auf den großen Analogie- Schluß, -- den Analogie-Schluß, der von jeder Betrachtungs¬ weise aus in Vollkraft tritt, sobald das Wörtchen Empfindung überhaupt erklingt. "Ich" bin an einem einzigen Weltfleck Fachmann gerade hier, -- aber das erkaufe ich auch damit, daß der ganze Rest der tausendgestaltigen proteisch bunten Welt im Empfindungspunkte für mich ein Analogie-Schluß bleibt. Und alles Versteifen auf den Mechanismus nützt dazu im an¬ gedeuteten Sinne nicht einen Pfifferling.
So hübsch es klingt: ich soll dich aus dir selbst begreifen lernen, den Kuckuck aus sich selbst, die Pflanze aus sich selbst, den Bazillus aus sich selbst, den Kristall und die Erdkugel aus sich selbst, -- -- im Moment, da ich überhaupt dieses "Aus sich selbst" einführe in die Rechnung, setze ich mich selbst hinein vermöge eines Analogie-Schlusses. Ich muß es, -- ich selber bin das einzige Mikroskop, um hierher überhaupt zu sehen.
Aber ich fühle auch sofort die Schwierigkeiten, die Schranken meines Werkzeuges. Ich bedarf eines großen Glaubens an die geheimnisvolle Grundähnlichkeit aller Natur, um nicht völlig zu verzweifeln. Auch so aber werde ich im Einzelfalle schwanken, werde mich in einem Labyrinth sehen, werde nicht wissen, wo die Analogie zu weit geht oder nicht reicht. Es sind ja doch Unterschiede da. Ich als Mensch bin nicht der Pflanze, dem Bazillus ohne weiteres gleich. Die Maschine ist sichtbarlich verschieden, wenn schon nicht prin¬ zipiell. Für alles Empfindende aber habe ich nur eine einzige Schablone: -- mich.
Diese Dinge mußten hier gesagt werden, wenn sie auch ins Verwickelte menschlischer Denkprozesse greifen, die nicht jedermanns Sache sind.
Es genügt, denke ich, wieder einmal vollkommen, die Dinge bis hierher gleichſam aus dem Hauptbuch der modernen Philoſophie aufzurollen.
Was erhellen ſoll und, meine ich, muß, iſt die unab¬ änderliche Beſchränkung bei uns auf den großen Analogie- Schluß, — den Analogie-Schluß, der von jeder Betrachtungs¬ weiſe aus in Vollkraft tritt, ſobald das Wörtchen Empfindung überhaupt erklingt. „Ich“ bin an einem einzigen Weltfleck Fachmann gerade hier, — aber das erkaufe ich auch damit, daß der ganze Reſt der tauſendgeſtaltigen proteiſch bunten Welt im Empfindungspunkte für mich ein Analogie-Schluß bleibt. Und alles Verſteifen auf den Mechanismus nützt dazu im an¬ gedeuteten Sinne nicht einen Pfifferling.
So hübſch es klingt: ich ſoll dich aus dir ſelbſt begreifen lernen, den Kuckuck aus ſich ſelbſt, die Pflanze aus ſich ſelbſt, den Bazillus aus ſich ſelbſt, den Kriſtall und die Erdkugel aus ſich ſelbſt, — — im Moment, da ich überhaupt dieſes „Aus ſich ſelbſt“ einführe in die Rechnung, ſetze ich mich ſelbſt hinein vermöge eines Analogie-Schluſſes. Ich muß es, — ich ſelber bin das einzige Mikroſkop, um hierher überhaupt zu ſehen.
Aber ich fühle auch ſofort die Schwierigkeiten, die Schranken meines Werkzeuges. Ich bedarf eines großen Glaubens an die geheimnisvolle Grundähnlichkeit aller Natur, um nicht völlig zu verzweifeln. Auch ſo aber werde ich im Einzelfalle ſchwanken, werde mich in einem Labyrinth ſehen, werde nicht wiſſen, wo die Analogie zu weit geht oder nicht reicht. Es ſind ja doch Unterſchiede da. Ich als Menſch bin nicht der Pflanze, dem Bazillus ohne weiteres gleich. Die Maſchine iſt ſichtbarlich verſchieden, wenn ſchon nicht prin¬ zipiell. Für alles Empfindende aber habe ich nur eine einzige Schablone: — mich.
Dieſe Dinge mußten hier geſagt werden, wenn ſie auch ins Verwickelte menſchliſcher Denkprozeſſe greifen, die nicht jedermanns Sache ſind.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0316"n="300"/><p>Es genügt, denke ich, wieder einmal vollkommen, die<lb/>
Dinge bis hierher gleichſam aus dem Hauptbuch der modernen<lb/>
Philoſophie aufzurollen.</p><lb/><p>Was erhellen ſoll und, meine ich, muß, iſt die unab¬<lb/>
änderliche Beſchränkung bei uns auf den großen Analogie-<lb/>
Schluß, — den Analogie-Schluß, der von jeder Betrachtungs¬<lb/>
weiſe aus in Vollkraft tritt, ſobald das Wörtchen Empfindung<lb/>
überhaupt erklingt. „Ich“ bin an einem einzigen Weltfleck<lb/>
Fachmann gerade hier, — aber das erkaufe ich auch damit,<lb/>
daß der ganze Reſt der tauſendgeſtaltigen proteiſch bunten<lb/>
Welt im Empfindungspunkte für mich ein Analogie-Schluß bleibt.<lb/>
Und alles Verſteifen auf den Mechanismus nützt dazu im an¬<lb/>
gedeuteten Sinne nicht einen Pfifferling.</p><lb/><p>So hübſch es klingt: ich ſoll dich aus dir ſelbſt begreifen<lb/>
lernen, den Kuckuck aus ſich ſelbſt, die Pflanze aus ſich ſelbſt,<lb/>
den Bazillus aus ſich ſelbſt, den Kriſtall und die Erdkugel aus<lb/>ſich ſelbſt, —— im Moment, da ich überhaupt dieſes „Aus<lb/>ſich ſelbſt“ einführe in die Rechnung, ſetze ich <hirendition="#g">mich</hi>ſelbſt<lb/>
hinein vermöge eines Analogie-Schluſſes. Ich <hirendition="#g">muß</hi> es, — ich<lb/>ſelber bin das einzige Mikroſkop, um hierher überhaupt zu ſehen.</p><lb/><p>Aber ich fühle auch ſofort die Schwierigkeiten, die<lb/>
Schranken meines Werkzeuges. Ich bedarf eines großen<lb/>
Glaubens an die geheimnisvolle Grundähnlichkeit aller Natur,<lb/>
um nicht völlig zu verzweifeln. Auch ſo aber werde ich im<lb/>
Einzelfalle ſchwanken, werde mich in einem Labyrinth ſehen,<lb/>
werde nicht wiſſen, wo die Analogie zu weit geht oder nicht<lb/>
reicht. Es ſind ja doch Unterſchiede da. Ich als Menſch bin<lb/>
nicht der Pflanze, dem Bazillus ohne weiteres gleich. Die<lb/>
Maſchine iſt ſichtbarlich verſchieden, wenn ſchon nicht prin¬<lb/>
zipiell. Für alles Empfindende aber habe ich nur eine einzige<lb/>
Schablone: — mich.</p><lb/><p>Dieſe Dinge mußten hier geſagt werden, wenn ſie auch<lb/>
ins Verwickelte menſchliſcher Denkprozeſſe greifen, die nicht<lb/>
jedermanns Sache ſind.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[300/0316]
Es genügt, denke ich, wieder einmal vollkommen, die
Dinge bis hierher gleichſam aus dem Hauptbuch der modernen
Philoſophie aufzurollen.
Was erhellen ſoll und, meine ich, muß, iſt die unab¬
änderliche Beſchränkung bei uns auf den großen Analogie-
Schluß, — den Analogie-Schluß, der von jeder Betrachtungs¬
weiſe aus in Vollkraft tritt, ſobald das Wörtchen Empfindung
überhaupt erklingt. „Ich“ bin an einem einzigen Weltfleck
Fachmann gerade hier, — aber das erkaufe ich auch damit,
daß der ganze Reſt der tauſendgeſtaltigen proteiſch bunten
Welt im Empfindungspunkte für mich ein Analogie-Schluß bleibt.
Und alles Verſteifen auf den Mechanismus nützt dazu im an¬
gedeuteten Sinne nicht einen Pfifferling.
So hübſch es klingt: ich ſoll dich aus dir ſelbſt begreifen
lernen, den Kuckuck aus ſich ſelbſt, die Pflanze aus ſich ſelbſt,
den Bazillus aus ſich ſelbſt, den Kriſtall und die Erdkugel aus
ſich ſelbſt, — — im Moment, da ich überhaupt dieſes „Aus
ſich ſelbſt“ einführe in die Rechnung, ſetze ich mich ſelbſt
hinein vermöge eines Analogie-Schluſſes. Ich muß es, — ich
ſelber bin das einzige Mikroſkop, um hierher überhaupt zu ſehen.
Aber ich fühle auch ſofort die Schwierigkeiten, die
Schranken meines Werkzeuges. Ich bedarf eines großen
Glaubens an die geheimnisvolle Grundähnlichkeit aller Natur,
um nicht völlig zu verzweifeln. Auch ſo aber werde ich im
Einzelfalle ſchwanken, werde mich in einem Labyrinth ſehen,
werde nicht wiſſen, wo die Analogie zu weit geht oder nicht
reicht. Es ſind ja doch Unterſchiede da. Ich als Menſch bin
nicht der Pflanze, dem Bazillus ohne weiteres gleich. Die
Maſchine iſt ſichtbarlich verſchieden, wenn ſchon nicht prin¬
zipiell. Für alles Empfindende aber habe ich nur eine einzige
Schablone: — mich.
Dieſe Dinge mußten hier geſagt werden, wenn ſie auch
ins Verwickelte menſchliſcher Denkprozeſſe greifen, die nicht
jedermanns Sache ſind.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/316>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.