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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Beißen bis hoch in die Welt der Wirbeltiere immer noch
gelegentlich wiederkehrt.

Der allbekannteste Fall ist bei den Vögeln. Hier ist
das eigentliche Begattungsglied durchweg unvollkommen geblieben
oder fehlt vielfach ganz. Dafür aber packt der Hahn die
Henne im kritischen Moment wie ein Rasender mit dem
Schnabel über den Hals, daß man meint, er wolle sie ver¬
schlingen, und wirklich wenigstens mit einer Wucht, daß fast
allemal ein paar Federn fliegen.

Und bei uns Menschen sogar kann es keinem Zweifel
unterliegen, daß gewisse Reminiszenzen an jenes Liebessaugen
und Liebesverbeißen noch klar vorhanden sind. Du kennst
das wundervolle Gedicht Heines: "Schlachtfeld bei Hastings".
Die nackte Leiche des gefallenen Königs Harald kann zwischen
Blut und Toten nicht mehr herausgefunden werden. Da ruft
man die schöne Edith Schwanenhals, die seine Geliebte ge¬
wesen. Und sie erkennt den König .....

"Auf seiner Schulter erblickt sie auch
Und sie bedeckt sie mit Küssen --
Drei kleine Narben, Denkmäler der Lust,
Die sie einst hineingebissen."

Und du brauchst dich nur an jene kleinen violetten Liebes¬
abzeichen eines weißen Hälschens zu erinnern, die der Volks¬
mund als Lutschflecke bezeichnet, um das Neunauge im
Menschen wiederzufinden. Eine der einfachen geschichtlichen
Wurzeln des Kusses überhaupt wird hierher zurückreichen, ob¬
wohl gerade der Mundkuß in dem früher erwähnten Sinne
sich bei uns mit zu vielem verknüpft hat, um noch irgend eine
bestimmte Altertümlichkeit rein zu spiegeln.

Einerlei indessen, wie hoch diese Rückklänge an die
Mundklammerei reichen mögen, -- jedenfalls bekam der
Körper des Wirbeltiers schon auf der Fischstufe zu dem einen
und ersten Klammerorgan, dem Munde, sehr bald energische
weitere Klammermöglichkeiten durch die erste Anlage der eigent¬

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Beißen bis hoch in die Welt der Wirbeltiere immer noch
gelegentlich wiederkehrt.

Der allbekannteſte Fall iſt bei den Vögeln. Hier iſt
das eigentliche Begattungsglied durchweg unvollkommen geblieben
oder fehlt vielfach ganz. Dafür aber packt der Hahn die
Henne im kritiſchen Moment wie ein Raſender mit dem
Schnabel über den Hals, daß man meint, er wolle ſie ver¬
ſchlingen, und wirklich wenigſtens mit einer Wucht, daß faſt
allemal ein paar Federn fliegen.

Und bei uns Menſchen ſogar kann es keinem Zweifel
unterliegen, daß gewiſſe Reminiszenzen an jenes Liebesſaugen
und Liebesverbeißen noch klar vorhanden ſind. Du kennſt
das wundervolle Gedicht Heines: „Schlachtfeld bei Haſtings“.
Die nackte Leiche des gefallenen Königs Harald kann zwiſchen
Blut und Toten nicht mehr herausgefunden werden. Da ruft
man die ſchöne Edith Schwanenhals, die ſeine Geliebte ge¬
weſen. Und ſie erkennt den König .....

„Auf ſeiner Schulter erblickt ſie auch
Und ſie bedeckt ſie mit Küſſen —
Drei kleine Narben, Denkmäler der Luſt,
Die ſie einſt hineingebiſſen.“

Und du brauchſt dich nur an jene kleinen violetten Liebes¬
abzeichen eines weißen Hälschens zu erinnern, die der Volks¬
mund als Lutſchflecke bezeichnet, um das Neunauge im
Menſchen wiederzufinden. Eine der einfachen geſchichtlichen
Wurzeln des Kuſſes überhaupt wird hierher zurückreichen, ob¬
wohl gerade der Mundkuß in dem früher erwähnten Sinne
ſich bei uns mit zu vielem verknüpft hat, um noch irgend eine
beſtimmte Altertümlichkeit rein zu ſpiegeln.

Einerlei indeſſen, wie hoch dieſe Rückklänge an die
Mundklammerei reichen mögen, — jedenfalls bekam der
Körper des Wirbeltiers ſchon auf der Fiſchſtufe zu dem einen
und erſten Klammerorgan, dem Munde, ſehr bald energiſche
weitere Klammermöglichkeiten durch die erſte Anlage der eigent¬

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[273/0289] Beißen bis hoch in die Welt der Wirbeltiere immer noch gelegentlich wiederkehrt. Der allbekannteſte Fall iſt bei den Vögeln. Hier iſt das eigentliche Begattungsglied durchweg unvollkommen geblieben oder fehlt vielfach ganz. Dafür aber packt der Hahn die Henne im kritiſchen Moment wie ein Raſender mit dem Schnabel über den Hals, daß man meint, er wolle ſie ver¬ ſchlingen, und wirklich wenigſtens mit einer Wucht, daß faſt allemal ein paar Federn fliegen. Und bei uns Menſchen ſogar kann es keinem Zweifel unterliegen, daß gewiſſe Reminiszenzen an jenes Liebesſaugen und Liebesverbeißen noch klar vorhanden ſind. Du kennſt das wundervolle Gedicht Heines: „Schlachtfeld bei Haſtings“. Die nackte Leiche des gefallenen Königs Harald kann zwiſchen Blut und Toten nicht mehr herausgefunden werden. Da ruft man die ſchöne Edith Schwanenhals, die ſeine Geliebte ge¬ weſen. Und ſie erkennt den König ..... „Auf ſeiner Schulter erblickt ſie auch Und ſie bedeckt ſie mit Küſſen — Drei kleine Narben, Denkmäler der Luſt, Die ſie einſt hineingebiſſen.“ Und du brauchſt dich nur an jene kleinen violetten Liebes¬ abzeichen eines weißen Hälschens zu erinnern, die der Volks¬ mund als Lutſchflecke bezeichnet, um das Neunauge im Menſchen wiederzufinden. Eine der einfachen geſchichtlichen Wurzeln des Kuſſes überhaupt wird hierher zurückreichen, ob¬ wohl gerade der Mundkuß in dem früher erwähnten Sinne ſich bei uns mit zu vielem verknüpft hat, um noch irgend eine beſtimmte Altertümlichkeit rein zu ſpiegeln. Einerlei indeſſen, wie hoch dieſe Rückklänge an die Mundklammerei reichen mögen, — jedenfalls bekam der Körper des Wirbeltiers ſchon auf der Fiſchſtufe zu dem einen und erſten Klammerorgan, dem Munde, ſehr bald energiſche weitere Klammermöglichkeiten durch die erſte Anlage der eigent¬ 18

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/289>, abgerufen am 22.11.2024.