giebt sich die errungene Entwickelung weiter, die Übertierheit zuerst, die Menschheit selbst, -- dann in dieser Menschheit die Traditionen der Kultur, des Weltwissens, der Technik, der Kunst. Ja dieser Melusinenschweif war die Erde in Wahrheit, zu der Antäus ewig zurückkehrte, die zähe Wurzel, die sich immer und immer wieder mit jedem Individuum hinabbohrte in den heiligen Grund, wo Urdas Quell sie umrauschte.
Gewiß, es liegt Vergangenheit in diesem Gliede. Es ist ein Melusinenglied. Der Mensch lenkt hier hinab an den Fisch, von dem er in purpurnen Tagen gekommen ist. Der ewige Nix streckt sich hier auf zu ihm. Aber es liegt mehr darin. Es steckt auch der ganze Weg empor zur Menschenkrone darin. Und selbst in dem blechernen Feigen¬ blatt liegt ein ungeheurer Weg Kulturgeschichte. Ein Weg des Erwachens zugleich und des Zweifelns, Irrens, Verfluchens. Am Tage, da dieses Feigenblatt fallen wird, wird noch wieder eine neue Lichtbahn offen sein. Ein freies Auge wird eine solche Marmorgestalt eines nackten Mannesleibes dann gerade auf zwei Punkte hin bewundernd wie auf ihre Brennpunkte beschauen. Auf die Stirn mit ihren Himmelslampen, den Augen, hinter denen der ewig fortzeugende Geist des Welt¬ alls wohnt. Und auf das Mannesglied, hinter dem die Aeonen- Perspektive der ewigen Generationen sich ins uferlose Blau der zeitlichen Weltenfolge verliert. Goethes Augen etwa. Und das Mannesglied eines gesunden Menschen, auf dem die Kraft weiter wandert, in Goethes Namen zu siegen, an Goethes Werk weiterzubauen und eines Tages selbst Goethe zu überbieten, so daß die Augen noch von abermals höheren Sternen strahlen.
Es klingt heute vielleicht noch wie eine recht paradoxe Prophezeihung: aber ich glaube, daß die Abschätzung dieser Feigenblatt-Dinge sich in einer höchst überraschenden Kurve be¬ wegt. Eines Tages muß der große Umschwung kommen, der uns die Schuppen vor den Geschlechtsdingen von den Augen wirft. Gewisse Schutzzwecke geringerer Art werden sich von
giebt ſich die errungene Entwickelung weiter, die Übertierheit zuerſt, die Menſchheit ſelbſt, — dann in dieſer Menſchheit die Traditionen der Kultur, des Weltwiſſens, der Technik, der Kunſt. Ja dieſer Meluſinenſchweif war die Erde in Wahrheit, zu der Antäus ewig zurückkehrte, die zähe Wurzel, die ſich immer und immer wieder mit jedem Individuum hinabbohrte in den heiligen Grund, wo Urdas Quell ſie umrauſchte.
Gewiß, es liegt Vergangenheit in dieſem Gliede. Es iſt ein Meluſinenglied. Der Menſch lenkt hier hinab an den Fiſch, von dem er in purpurnen Tagen gekommen iſt. Der ewige Nix ſtreckt ſich hier auf zu ihm. Aber es liegt mehr darin. Es ſteckt auch der ganze Weg empor zur Menſchenkrone darin. Und ſelbſt in dem blechernen Feigen¬ blatt liegt ein ungeheurer Weg Kulturgeſchichte. Ein Weg des Erwachens zugleich und des Zweifelns, Irrens, Verfluchens. Am Tage, da dieſes Feigenblatt fallen wird, wird noch wieder eine neue Lichtbahn offen ſein. Ein freies Auge wird eine ſolche Marmorgeſtalt eines nackten Mannesleibes dann gerade auf zwei Punkte hin bewundernd wie auf ihre Brennpunkte beſchauen. Auf die Stirn mit ihren Himmelslampen, den Augen, hinter denen der ewig fortzeugende Geiſt des Welt¬ alls wohnt. Und auf das Mannesglied, hinter dem die Aeonen- Perſpektive der ewigen Generationen ſich ins uferloſe Blau der zeitlichen Weltenfolge verliert. Goethes Augen etwa. Und das Mannesglied eines geſunden Menſchen, auf dem die Kraft weiter wandert, in Goethes Namen zu ſiegen, an Goethes Werk weiterzubauen und eines Tages ſelbſt Goethe zu überbieten, ſo daß die Augen noch von abermals höheren Sternen ſtrahlen.
Es klingt heute vielleicht noch wie eine recht paradoxe Prophezeihung: aber ich glaube, daß die Abſchätzung dieſer Feigenblatt-Dinge ſich in einer höchſt überraſchenden Kurve be¬ wegt. Eines Tages muß der große Umſchwung kommen, der uns die Schuppen vor den Geſchlechtsdingen von den Augen wirft. Gewiſſe Schutzzwecke geringerer Art werden ſich von
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zuerſt, die Menſchheit ſelbſt, — dann in dieſer Menſchheit die
Traditionen der Kultur, des Weltwiſſens, der Technik, der
Kunſt. Ja dieſer Meluſinenſchweif war die Erde in Wahrheit,
zu der Antäus ewig zurückkehrte, die zähe Wurzel, die ſich
immer und immer wieder mit jedem Individuum hinabbohrte
in den heiligen Grund, wo Urdas Quell ſie umrauſchte.
Gewiß, es liegt Vergangenheit in dieſem Gliede. Es
iſt ein Meluſinenglied. Der Menſch lenkt hier hinab an
den Fiſch, von dem er in purpurnen Tagen gekommen iſt.
Der ewige Nix ſtreckt ſich hier auf zu ihm. Aber es liegt
mehr darin. Es ſteckt auch der ganze Weg empor zur
Menſchenkrone darin. Und ſelbſt in dem blechernen Feigen¬
blatt liegt ein ungeheurer Weg Kulturgeſchichte. Ein Weg
des Erwachens zugleich und des Zweifelns, Irrens, Verfluchens.
Am Tage, da dieſes Feigenblatt fallen wird, wird noch wieder
eine neue Lichtbahn offen ſein. Ein freies Auge wird eine
ſolche Marmorgeſtalt eines nackten Mannesleibes dann gerade
auf zwei Punkte hin bewundernd wie auf ihre Brennpunkte
beſchauen. Auf die Stirn mit ihren Himmelslampen, den
Augen, hinter denen der ewig fortzeugende Geiſt des Welt¬
alls wohnt. Und auf das Mannesglied, hinter dem die Aeonen-
Perſpektive der ewigen Generationen ſich ins uferloſe Blau der
zeitlichen Weltenfolge verliert. Goethes Augen etwa. Und
das Mannesglied eines geſunden Menſchen, auf dem die Kraft
weiter wandert, in Goethes Namen zu ſiegen, an Goethes Werk
weiterzubauen und eines Tages ſelbſt Goethe zu überbieten, ſo
daß die Augen noch von abermals höheren Sternen ſtrahlen.
Es klingt heute vielleicht noch wie eine recht paradoxe
Prophezeihung: aber ich glaube, daß die Abſchätzung dieſer
Feigenblatt-Dinge ſich in einer höchſt überraſchenden Kurve be¬
wegt. Eines Tages muß der große Umſchwung kommen, der
uns die Schuppen vor den Geſchlechtsdingen von den Augen
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/281>, abgerufen am 22.11.2024.
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