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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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sie bis in jede fernste Ecke. Das Blut nimmt in der Lunge
die Luftnahrung ein, saugt von den Darmwänden die fest¬
flüssige Nahrung ab und Iäßt die Nährstoffe nun treiben bis
zu jeder millionsten und abermillionsten Zelle im äußersten
Gehirnfäserchen oben oder in der letzten Zehenspitze unten.
Aber nun gilt es, auch so und so viel Abfallsstoffe der
großen Küche wieder hinauszubefördern, die feinen Exkremente
des ganzen Organismus aus jeder Einzelzelle. Große un¬
verdauliche Massen der Darmnahrung wirft ja der Darm
selber wieder aus. Aber das ist nur das überhaupt Über¬
zähligste, gleichsam die harte Schale nur der nährenden Nuß.
Die viel feinere, engere Abfuhr dessen, was in jeder Zelle
des ganzen Leibes überflüssig wird, muß ebenfalls das Blut
besorgen. Und da gibt es denn nun zwei Wege. Das Luft¬
förmige, das wieder fort soll, pumpt es als Kohlensäure in
der Lunge selber wieder aus. Für das Wässerige und in
Flüssigkeit Gelöste dagegen passiert es in dir zwei famose
Reinigungsstellen, die Nieren.

Jede deiner beiden Nieren ist nichts anderes als ein
vorzüglicher Filtrierapparat. Fest geschlossen in ihrem engen
Röhrensystem kommt die Blutwelle daher gerauscht. Da plötzlich
passiert sie die Niere. Sie schwebt auf der Filter, auf dem
Sieb wie die Schmutzwasser einer Gosse über der durchlöcherten
Platte der Kanalisation. Aber das Nierensieb hat die treff¬
liche Konstruktion, daß es nur ganz bestimmte Teile dieser
Blutwelle durch seine Löcher läßt. Das flüssige Blut ist im
Moment, da es die Niere passiert, zusammengesetzt wesentlich
aus drei ganz verschiedenen Dingen. Erstens klarem Wasser,
von dem gut und gern ein ordentliches Teil als überflüssig
abgezapft werden kann. Zweitens den wirklichen Dreck- und
Giftstoffen, die so schnell wieder hinaus müssen, wie nur
möglich. Drittens aber der eben erst gewonnenen guten
Nährbouillon, den kreisenden Eiweißstoffen, die absolut hier
nicht mit in die Senke gehen dürfen. Entsprechend filtriert

ſie bis in jede fernſte Ecke. Das Blut nimmt in der Lunge
die Luftnahrung ein, ſaugt von den Darmwänden die feſt¬
flüſſige Nahrung ab und Iäßt die Nährſtoffe nun treiben bis
zu jeder millionſten und abermillionſten Zelle im äußerſten
Gehirnfäſerchen oben oder in der letzten Zehenſpitze unten.
Aber nun gilt es, auch ſo und ſo viel Abfallsſtoffe der
großen Küche wieder hinauszubefördern, die feinen Exkremente
des ganzen Organismus aus jeder Einzelzelle. Große un¬
verdauliche Maſſen der Darmnahrung wirft ja der Darm
ſelber wieder aus. Aber das iſt nur das überhaupt Über¬
zähligſte, gleichſam die harte Schale nur der nährenden Nuß.
Die viel feinere, engere Abfuhr deſſen, was in jeder Zelle
des ganzen Leibes überflüſſig wird, muß ebenfalls das Blut
beſorgen. Und da gibt es denn nun zwei Wege. Das Luft¬
förmige, das wieder fort ſoll, pumpt es als Kohlenſäure in
der Lunge ſelber wieder aus. Für das Wäſſerige und in
Flüſſigkeit Gelöſte dagegen paſſiert es in dir zwei famoſe
Reinigungsſtellen, die Nieren.

Jede deiner beiden Nieren iſt nichts anderes als ein
vorzüglicher Filtrierapparat. Feſt geſchloſſen in ihrem engen
Röhrenſyſtem kommt die Blutwelle daher gerauſcht. Da plötzlich
paſſiert ſie die Niere. Sie ſchwebt auf der Filter, auf dem
Sieb wie die Schmutzwaſſer einer Goſſe über der durchlöcherten
Platte der Kanaliſation. Aber das Nierenſieb hat die treff¬
liche Konſtruktion, daß es nur ganz beſtimmte Teile dieſer
Blutwelle durch ſeine Löcher läßt. Das flüſſige Blut iſt im
Moment, da es die Niere paſſiert, zuſammengeſetzt weſentlich
aus drei ganz verſchiedenen Dingen. Erſtens klarem Waſſer,
von dem gut und gern ein ordentliches Teil als überflüſſig
abgezapft werden kann. Zweitens den wirklichen Dreck- und
Giftſtoffen, die ſo ſchnell wieder hinaus müſſen, wie nur
möglich. Drittens aber der eben erſt gewonnenen guten
Nährbouillon, den kreiſenden Eiweißſtoffen, die abſolut hier
nicht mit in die Senke gehen dürfen. Entſprechend filtriert

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[244/0260] ſie bis in jede fernſte Ecke. Das Blut nimmt in der Lunge die Luftnahrung ein, ſaugt von den Darmwänden die feſt¬ flüſſige Nahrung ab und Iäßt die Nährſtoffe nun treiben bis zu jeder millionſten und abermillionſten Zelle im äußerſten Gehirnfäſerchen oben oder in der letzten Zehenſpitze unten. Aber nun gilt es, auch ſo und ſo viel Abfallsſtoffe der großen Küche wieder hinauszubefördern, die feinen Exkremente des ganzen Organismus aus jeder Einzelzelle. Große un¬ verdauliche Maſſen der Darmnahrung wirft ja der Darm ſelber wieder aus. Aber das iſt nur das überhaupt Über¬ zähligſte, gleichſam die harte Schale nur der nährenden Nuß. Die viel feinere, engere Abfuhr deſſen, was in jeder Zelle des ganzen Leibes überflüſſig wird, muß ebenfalls das Blut beſorgen. Und da gibt es denn nun zwei Wege. Das Luft¬ förmige, das wieder fort ſoll, pumpt es als Kohlenſäure in der Lunge ſelber wieder aus. Für das Wäſſerige und in Flüſſigkeit Gelöſte dagegen paſſiert es in dir zwei famoſe Reinigungsſtellen, die Nieren. Jede deiner beiden Nieren iſt nichts anderes als ein vorzüglicher Filtrierapparat. Feſt geſchloſſen in ihrem engen Röhrenſyſtem kommt die Blutwelle daher gerauſcht. Da plötzlich paſſiert ſie die Niere. Sie ſchwebt auf der Filter, auf dem Sieb wie die Schmutzwaſſer einer Goſſe über der durchlöcherten Platte der Kanaliſation. Aber das Nierenſieb hat die treff¬ liche Konſtruktion, daß es nur ganz beſtimmte Teile dieſer Blutwelle durch ſeine Löcher läßt. Das flüſſige Blut iſt im Moment, da es die Niere paſſiert, zuſammengeſetzt weſentlich aus drei ganz verſchiedenen Dingen. Erſtens klarem Waſſer, von dem gut und gern ein ordentliches Teil als überflüſſig abgezapft werden kann. Zweitens den wirklichen Dreck- und Giftſtoffen, die ſo ſchnell wieder hinaus müſſen, wie nur möglich. Drittens aber der eben erſt gewonnenen guten Nährbouillon, den kreiſenden Eiweißſtoffen, die abſolut hier nicht mit in die Senke gehen dürfen. Entſprechend filtriert

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/260>, abgerufen am 22.11.2024.