Zellen der Magenwand. An Stelle der Hautliebe fortan die Magenliebe!
In der That siehst du dieses Stadium prächtig entwickelt bei einer großen Anzahl jener schönen Quallen oder Medusen, deren Leibesglocke ja eigentlich nichts ist als ein umgestülpter, schwimmender Polyp. Ganz folgerichtig sondern sich hier in bestimmten Winkeln des Magens die Samenzellen und Eizellen ab und gewinnen durch den offenen Mund des Erzeugers das Weite. Eine Begattung nach Blaufelchenart hätte hier nicht mehr im Hühneraugensinne, sondern allen Ernstes auf dem Wege des Kusses zu geschehen. Zunächst strenggenommen noch gröber: durch Erbrechen. Der Mund des einen Liebes¬ partners eruptierte Samen, der des anderen Eier. Und die Liebesthür wäre einfach die einzige hier vorhandene Leibesthür mit: der Mund. Es scheint aber, als habe sich die Geschichte früh schon etwas wirklich bloß Kußartigem angenähert aus guten Gründen.
Auch das Innere des Magens erwies sich nämlich auf die Dauer als ein ebenso schlechter Venuswinkel wie die äußere Haut.
Je mehr und verbesserter dieser Magen sich als reiner Freßapparat ausgestaltete, desto mißlicher mußte der Aufent¬ halt in ihm für alle Dinge werden, die selber nicht verdaut werden wollten. Sie gerieten in ein Gedränge von aller¬ hand eingepumptem Stoff, der auf die Verdauung hin unter¬ sucht, hin und her gewurstelt, mit scharfen Saucen übergossen und ausgesaugt wurde, -- und die Gefahr war eine hoch¬ gradige, wenn nicht im Schwall erdrückt, so doch einfach nolens volens mitverarbeitet zu werden. Das wäre denn der Konflikt von Liebe und Fressen auf seinem Gipfel ge¬ wesen: ein Selbstfressen, Selbstverdauen der eigenen Geschlechts¬ stoffe. So etwas ging aber einfach nicht an.
Als der Magen auf der Wurmstufe Schlauch wurde, also auch hinten eine Öffnung, einen After, bekam, wäre
Zellen der Magenwand. An Stelle der Hautliebe fortan die Magenliebe!
In der That ſiehſt du dieſes Stadium prächtig entwickelt bei einer großen Anzahl jener ſchönen Quallen oder Meduſen, deren Leibesglocke ja eigentlich nichts iſt als ein umgeſtülpter, ſchwimmender Polyp. Ganz folgerichtig ſondern ſich hier in beſtimmten Winkeln des Magens die Samenzellen und Eizellen ab und gewinnen durch den offenen Mund des Erzeugers das Weite. Eine Begattung nach Blaufelchenart hätte hier nicht mehr im Hühneraugenſinne, ſondern allen Ernſtes auf dem Wege des Kuſſes zu geſchehen. Zunächſt ſtrenggenommen noch gröber: durch Erbrechen. Der Mund des einen Liebes¬ partners eruptierte Samen, der des anderen Eier. Und die Liebesthür wäre einfach die einzige hier vorhandene Leibesthür mit: der Mund. Es ſcheint aber, als habe ſich die Geſchichte früh ſchon etwas wirklich bloß Kußartigem angenähert aus guten Gründen.
Auch das Innere des Magens erwies ſich nämlich auf die Dauer als ein ebenſo ſchlechter Venuswinkel wie die äußere Haut.
Je mehr und verbeſſerter dieſer Magen ſich als reiner Freßapparat ausgeſtaltete, deſto mißlicher mußte der Aufent¬ halt in ihm für alle Dinge werden, die ſelber nicht verdaut werden wollten. Sie gerieten in ein Gedränge von aller¬ hand eingepumptem Stoff, der auf die Verdauung hin unter¬ ſucht, hin und her gewurſtelt, mit ſcharfen Saucen übergoſſen und ausgeſaugt wurde, — und die Gefahr war eine hoch¬ gradige, wenn nicht im Schwall erdrückt, ſo doch einfach nolens volens mitverarbeitet zu werden. Das wäre denn der Konflikt von Liebe und Freſſen auf ſeinem Gipfel ge¬ weſen: ein Selbſtfreſſen, Selbſtverdauen der eigenen Geſchlechts¬ ſtoffe. So etwas ging aber einfach nicht an.
Als der Magen auf der Wurmſtufe Schlauch wurde, alſo auch hinten eine Öffnung, einen After, bekam, wäre
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0248"n="232"/>
Zellen der Magenwand. An Stelle der Hautliebe fortan die<lb/>
Magenliebe!</p><lb/><p>In der That ſiehſt du dieſes Stadium prächtig entwickelt<lb/>
bei einer großen Anzahl jener ſchönen Quallen oder Meduſen,<lb/>
deren Leibesglocke ja eigentlich nichts iſt als ein umgeſtülpter,<lb/>ſchwimmender Polyp. Ganz folgerichtig ſondern ſich hier in<lb/>
beſtimmten Winkeln des Magens die Samenzellen und Eizellen<lb/>
ab und gewinnen durch den offenen Mund des Erzeugers das<lb/>
Weite. Eine Begattung nach Blaufelchenart hätte hier nicht<lb/>
mehr im Hühneraugenſinne, ſondern allen Ernſtes <hirendition="#g">auf dem<lb/>
Wege des Kuſſes</hi> zu geſchehen. Zunächſt ſtrenggenommen<lb/>
noch gröber: durch Erbrechen. Der Mund des einen Liebes¬<lb/>
partners eruptierte Samen, der des anderen Eier. Und die<lb/>
Liebesthür wäre einfach die einzige hier vorhandene Leibesthür<lb/>
mit: der Mund. Es ſcheint aber, als habe ſich die Geſchichte<lb/>
früh ſchon etwas wirklich bloß Kußartigem angenähert aus<lb/>
guten Gründen.</p><lb/><p>Auch das Innere des Magens erwies ſich nämlich auf<lb/>
die Dauer als ein ebenſo ſchlechter Venuswinkel wie die äußere<lb/>
Haut.</p><lb/><p>Je mehr und verbeſſerter dieſer Magen ſich als reiner<lb/>
Freßapparat ausgeſtaltete, deſto mißlicher mußte der Aufent¬<lb/>
halt in ihm für alle Dinge werden, die ſelber nicht verdaut<lb/>
werden wollten. Sie gerieten in ein Gedränge von aller¬<lb/>
hand eingepumptem Stoff, der auf die Verdauung hin unter¬<lb/>ſucht, hin und her gewurſtelt, mit ſcharfen Saucen übergoſſen<lb/>
und ausgeſaugt wurde, — und die Gefahr war eine hoch¬<lb/>
gradige, wenn nicht im Schwall erdrückt, ſo doch einfach<lb/><hirendition="#aq">nolens volens</hi> mitverarbeitet zu werden. Das wäre denn<lb/>
der Konflikt von Liebe und Freſſen auf ſeinem Gipfel ge¬<lb/>
weſen: ein Selbſtfreſſen, Selbſtverdauen der eigenen Geſchlechts¬<lb/>ſtoffe. So etwas ging aber einfach nicht an.</p><lb/><p>Als der Magen auf der Wurmſtufe Schlauch wurde,<lb/>
alſo auch hinten eine Öffnung, einen After, bekam, wäre<lb/></p></div></body></text></TEI>
[232/0248]
Zellen der Magenwand. An Stelle der Hautliebe fortan die
Magenliebe!
In der That ſiehſt du dieſes Stadium prächtig entwickelt
bei einer großen Anzahl jener ſchönen Quallen oder Meduſen,
deren Leibesglocke ja eigentlich nichts iſt als ein umgeſtülpter,
ſchwimmender Polyp. Ganz folgerichtig ſondern ſich hier in
beſtimmten Winkeln des Magens die Samenzellen und Eizellen
ab und gewinnen durch den offenen Mund des Erzeugers das
Weite. Eine Begattung nach Blaufelchenart hätte hier nicht
mehr im Hühneraugenſinne, ſondern allen Ernſtes auf dem
Wege des Kuſſes zu geſchehen. Zunächſt ſtrenggenommen
noch gröber: durch Erbrechen. Der Mund des einen Liebes¬
partners eruptierte Samen, der des anderen Eier. Und die
Liebesthür wäre einfach die einzige hier vorhandene Leibesthür
mit: der Mund. Es ſcheint aber, als habe ſich die Geſchichte
früh ſchon etwas wirklich bloß Kußartigem angenähert aus
guten Gründen.
Auch das Innere des Magens erwies ſich nämlich auf
die Dauer als ein ebenſo ſchlechter Venuswinkel wie die äußere
Haut.
Je mehr und verbeſſerter dieſer Magen ſich als reiner
Freßapparat ausgeſtaltete, deſto mißlicher mußte der Aufent¬
halt in ihm für alle Dinge werden, die ſelber nicht verdaut
werden wollten. Sie gerieten in ein Gedränge von aller¬
hand eingepumptem Stoff, der auf die Verdauung hin unter¬
ſucht, hin und her gewurſtelt, mit ſcharfen Saucen übergoſſen
und ausgeſaugt wurde, — und die Gefahr war eine hoch¬
gradige, wenn nicht im Schwall erdrückt, ſo doch einfach
nolens volens mitverarbeitet zu werden. Das wäre denn
der Konflikt von Liebe und Freſſen auf ſeinem Gipfel ge¬
weſen: ein Selbſtfreſſen, Selbſtverdauen der eigenen Geſchlechts¬
ſtoffe. So etwas ging aber einfach nicht an.
Als der Magen auf der Wurmſtufe Schlauch wurde,
alſo auch hinten eine Öffnung, einen After, bekam, wäre
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/248>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.