"Ehe wir hierher gekommen, Haben wir's zu Sinn genommen, Schwestern, Brüder, jetzt geschwind! Heut' bedarf's der kleinsten Reise, Zum vollgültigsten Beweise, Daß wir mehr als Fische sind."
Goethe (Aus der klassischen Walpurgisnacht.)
Die Thürfrage beim Begattungsakt löst dir gleich wieder eine "Absurdität" reinlich auf. Sie giebt dir nämlich einen Schlüssel dafür, warum in deinem hochbelobten Menschenleibe von heute zwei so grundverschiedene Dinge wie der dreckige Urin und die ehrwürdig köstlichen Zeugungsstoffe bei ihrer Ausfahrt aus dem tiefen Purpurschachte dieselbe Pforte benutzen.
Du weißt, wir haben schon einmal von den Thürverhält¬ nissen deines Körpers gesprochen. Ich lasse dabei die "Fenster" beiseite, die ich nicht als rechte Thüren rechne, also Augen und Ohren. Dann hatten wir zunächst bei dir in deinen ur¬ alten tierischen Ahnenformen nur ein regelrechtes Leibesthor: das war der Mund. Du erinnerst dich: du warst einmal ganz auf der Schwelle deiner Tierwerdung ein roher Zellen¬ klumpen, eine Art hohler Blase aus gleichartigen Zellen. Dann trat eine erste klare Arbeitsteilung ein. Die eine Abteilung der Zellen etablierte sich als schützende und empfindende Haut.
[Abbildung]
„Ehe wir hierher gekommen, Haben wir's zu Sinn genommen, Schweſtern, Brüder, jetzt geſchwind! Heut' bedarf's der kleinſten Reiſe, Zum vollgültigſten Beweiſe, Daß wir mehr als Fiſche ſind.“
Goethe (Aus der klaſſiſchen Walpurgisnacht.)
Die Thürfrage beim Begattungsakt löſt dir gleich wieder eine „Abſurdität“ reinlich auf. Sie giebt dir nämlich einen Schlüſſel dafür, warum in deinem hochbelobten Menſchenleibe von heute zwei ſo grundverſchiedene Dinge wie der dreckige Urin und die ehrwürdig köſtlichen Zeugungsſtoffe bei ihrer Ausfahrt aus dem tiefen Purpurſchachte dieſelbe Pforte benutzen.
Du weißt, wir haben ſchon einmal von den Thürverhält¬ niſſen deines Körpers geſprochen. Ich laſſe dabei die „Fenſter“ beiſeite, die ich nicht als rechte Thüren rechne, alſo Augen und Ohren. Dann hatten wir zunächſt bei dir in deinen ur¬ alten tieriſchen Ahnenformen nur ein regelrechtes Leibesthor: das war der Mund. Du erinnerſt dich: du warſt einmal ganz auf der Schwelle deiner Tierwerdung ein roher Zellen¬ klumpen, eine Art hohler Blaſe aus gleichartigen Zellen. Dann trat eine erſte klare Arbeitsteilung ein. Die eine Abteilung der Zellen etablierte ſich als ſchützende und empfindende Haut.
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„Ehe wir hierher gekommen,
Haben wir's zu Sinn genommen,
Schweſtern, Brüder, jetzt geſchwind!
Heut' bedarf's der kleinſten Reiſe,
Zum vollgültigſten Beweiſe,
Daß wir mehr als Fiſche ſind.“
Goethe (Aus der klaſſiſchen Walpurgisnacht.)
Die Thürfrage beim Begattungsakt löſt dir gleich wieder
eine „Abſurdität“ reinlich auf. Sie giebt dir nämlich einen
Schlüſſel dafür, warum in deinem hochbelobten Menſchenleibe
von heute zwei ſo grundverſchiedene Dinge wie der dreckige
Urin und die ehrwürdig köſtlichen Zeugungsſtoffe bei ihrer
Ausfahrt aus dem tiefen Purpurſchachte dieſelbe Pforte benutzen.
Du weißt, wir haben ſchon einmal von den Thürverhält¬
niſſen deines Körpers geſprochen. Ich laſſe dabei die „Fenſter“
beiſeite, die ich nicht als rechte Thüren rechne, alſo Augen
und Ohren. Dann hatten wir zunächſt bei dir in deinen ur¬
alten tieriſchen Ahnenformen nur ein regelrechtes Leibesthor:
das war der Mund. Du erinnerſt dich: du warſt einmal
ganz auf der Schwelle deiner Tierwerdung ein roher Zellen¬
klumpen, eine Art hohler Blaſe aus gleichartigen Zellen. Dann
trat eine erſte klare Arbeitsteilung ein. Die eine Abteilung
der Zellen etablierte ſich als ſchützende und empfindende Haut.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/245>, abgerufen am 23.11.2024.
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