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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Käses, die den Tellerrand nehmen, im großen, -- und da
sind wir. Geht's nicht über Schaffhausen weiter, dann süd¬
wärts die Aar und Limmat. Vorüber am alten Zürich mit
seinen starren Kirchen und seinen verträumten Schwänen,
durch den langen blauen Zürichersee um Hutten-Ufenau im
melancholischen Mondenschimmer, in den tiefen, bösen, menschen¬
fressenden, grünen, grünen Walensee, -- und bis zum obersten
Rhein. Oder unter der braunen, bilderbunten Holzbrücke von
Luzern dahin, quer durch das goldgrüne Feigenblatt des Vier¬
waldstätter Sees, bei den klassischen Tellstätten vorüber und
endlich kletternd von Strudel zu Strudel die kochende weiße
Reuß hinan bis zu den ersten blutroten Alpenrosensträußchen
am granitenen Hochgebirgsbusen. Die uralten Liebesstätten sind
hier oben. Älter vielleicht als die Hebung dieser Alpenriesen.
Älter jedenfalls als die ungeheure Absenkung des Rheinstroms
ins endlos zurückgeflohene Meer.

Und jetzt endlich, bei den Urväter-Penaten, kommt das
Liebeswerk, -- der Lohn dieser ganzen Kreuzfahrt durch halb
Europa.

Dem ausgewachsenen, voll reifen Lachsritter schwillt auch
wieder einmal so zu sagen der Kamm vor Liebeslust, sein Bauch
wird glutrot und auf dem Kopf fließen die gewöhnlichen roten
Flecken zu Purpurzacken zusammen. Alsbald sind Ritter und
Dame genau wie bei den Forellen einig, um die Liebesgrube
zu graben. Die Dame gräbt sie im Sande aus, der Ritter
wacht. Sind die ersten Eier gelegt, so besamt er sie, alles auch
hier nach Forellenart. Zwar wird von manchem lustigen Inter¬
mezzo gemeldet, daß einem Nibelungen-Epiker endlosen Stoff
böte. Es giebt da Scherze ganz ähnlich wie bei den Hirschen.
Junges liebesgrünes, aber schon liebestolles Mannesvolk schlägt
sich wohl herzu, während alles im ernsthaftesten Gange ist.
Mit ritterlichem Zorn stürzt sich der stattliche Herr im Recht
auf jeden Zudringlichen. Aber derweil er die Ehre der ehe¬
lichen Sandgrube gegen einen Bösen verteidigt, legt das Weib

Käſes, die den Tellerrand nehmen, im großen, — und da
ſind wir. Geht's nicht über Schaffhauſen weiter, dann ſüd¬
wärts die Aar und Limmat. Vorüber am alten Zürich mit
ſeinen ſtarren Kirchen und ſeinen verträumten Schwänen,
durch den langen blauen Züricherſee um Hutten-Ufenau im
melancholiſchen Mondenſchimmer, in den tiefen, böſen, menſchen¬
freſſenden, grünen, grünen Walenſee, — und bis zum oberſten
Rhein. Oder unter der braunen, bilderbunten Holzbrücke von
Luzern dahin, quer durch das goldgrüne Feigenblatt des Vier¬
waldſtätter Sees, bei den klaſſiſchen Tellſtätten vorüber und
endlich kletternd von Strudel zu Strudel die kochende weiße
Reuß hinan bis zu den erſten blutroten Alpenroſenſträußchen
am granitenen Hochgebirgsbuſen. Die uralten Liebesſtätten ſind
hier oben. Älter vielleicht als die Hebung dieſer Alpenrieſen.
Älter jedenfalls als die ungeheure Abſenkung des Rheinſtroms
ins endlos zurückgeflohene Meer.

Und jetzt endlich, bei den Urväter-Penaten, kommt das
Liebeswerk, — der Lohn dieſer ganzen Kreuzfahrt durch halb
Europa.

Dem ausgewachſenen, voll reifen Lachsritter ſchwillt auch
wieder einmal ſo zu ſagen der Kamm vor Liebesluſt, ſein Bauch
wird glutrot und auf dem Kopf fließen die gewöhnlichen roten
Flecken zu Purpurzacken zuſammen. Alsbald ſind Ritter und
Dame genau wie bei den Forellen einig, um die Liebesgrube
zu graben. Die Dame gräbt ſie im Sande aus, der Ritter
wacht. Sind die erſten Eier gelegt, ſo beſamt er ſie, alles auch
hier nach Forellenart. Zwar wird von manchem luſtigen Inter¬
mezzo gemeldet, daß einem Nibelungen-Epiker endloſen Stoff
böte. Es giebt da Scherze ganz ähnlich wie bei den Hirſchen.
Junges liebesgrünes, aber ſchon liebestolles Mannesvolk ſchlägt
ſich wohl herzu, während alles im ernſthafteſten Gange iſt.
Mit ritterlichem Zorn ſtürzt ſich der ſtattliche Herr im Recht
auf jeden Zudringlichen. Aber derweil er die Ehre der ehe¬
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[222/0238] Käſes, die den Tellerrand nehmen, im großen, — und da ſind wir. Geht's nicht über Schaffhauſen weiter, dann ſüd¬ wärts die Aar und Limmat. Vorüber am alten Zürich mit ſeinen ſtarren Kirchen und ſeinen verträumten Schwänen, durch den langen blauen Züricherſee um Hutten-Ufenau im melancholiſchen Mondenſchimmer, in den tiefen, böſen, menſchen¬ freſſenden, grünen, grünen Walenſee, — und bis zum oberſten Rhein. Oder unter der braunen, bilderbunten Holzbrücke von Luzern dahin, quer durch das goldgrüne Feigenblatt des Vier¬ waldſtätter Sees, bei den klaſſiſchen Tellſtätten vorüber und endlich kletternd von Strudel zu Strudel die kochende weiße Reuß hinan bis zu den erſten blutroten Alpenroſenſträußchen am granitenen Hochgebirgsbuſen. Die uralten Liebesſtätten ſind hier oben. Älter vielleicht als die Hebung dieſer Alpenrieſen. Älter jedenfalls als die ungeheure Abſenkung des Rheinſtroms ins endlos zurückgeflohene Meer. Und jetzt endlich, bei den Urväter-Penaten, kommt das Liebeswerk, — der Lohn dieſer ganzen Kreuzfahrt durch halb Europa. Dem ausgewachſenen, voll reifen Lachsritter ſchwillt auch wieder einmal ſo zu ſagen der Kamm vor Liebesluſt, ſein Bauch wird glutrot und auf dem Kopf fließen die gewöhnlichen roten Flecken zu Purpurzacken zuſammen. Alsbald ſind Ritter und Dame genau wie bei den Forellen einig, um die Liebesgrube zu graben. Die Dame gräbt ſie im Sande aus, der Ritter wacht. Sind die erſten Eier gelegt, ſo beſamt er ſie, alles auch hier nach Forellenart. Zwar wird von manchem luſtigen Inter¬ mezzo gemeldet, daß einem Nibelungen-Epiker endloſen Stoff böte. Es giebt da Scherze ganz ähnlich wie bei den Hirſchen. Junges liebesgrünes, aber ſchon liebestolles Mannesvolk ſchlägt ſich wohl herzu, während alles im ernſthafteſten Gange iſt. Mit ritterlichem Zorn ſtürzt ſich der ſtattliche Herr im Recht auf jeden Zudringlichen. Aber derweil er die Ehre der ehe¬ lichen Sandgrube gegen einen Böſen verteidigt, legt das Weib

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/238>, abgerufen am 06.05.2024.