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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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jedweden Wesens dar, da es sich am eigentlichsten über sich
selbst erhebt in ein Höheres, Umfassenderes hinein, in einen
Ring gleichsam einer höheren Individualität, die seine eigene
kleine bloß als ein Stäubchen mit umfaßt. Der Hering,
wenn er sich in diese Stimmung erheben soll, kann in seinem
kleinen Fischgehirn, das bloß erst wie ein paar Knötchen in
einem dünnen Strang durch seinen Schädel liegt, noch nicht
bewußt sich versenken in die ewige Gottnatur des Meisters
Goethe, die Nebelflecke umfaßt wie Menschen und Heringe.
Der höchste Überakt seines Individuums ist die Zeugung,
der Moment, da sein kleines Dasein eingeht in den großen
Ring der Art, in den ewigen Hering gleichsam, der Jahr¬
hunderttausende durch die fortgepflanzten Generationen sich
erhält, in die platonische Idee des Herings, die etwas gewaltig
viel Höheres, Umfassenderes ist als der Einzelhering in seinem
schnellen Lebensstündlein.

Aber nun es zu dem großen Akte wirklich kommt, siehst
du auch diese Heringe noch ganz nach der uralten, groben
Methode ihr Liebesschifflein steuern. Vom Milchner, dem
Manneshering, geht der Samen ab durch eine regelrechte Art
Pollution, und vom Rogener, dem Heringsweibe, fallen die
Eier einfach wie ein Tropfen Menstruationsblut, auf dem eine
jungfräuliche Eizelle selbständig an Tageslicht schwimmt. In¬
dem die Männlein meist unten schwänzeln und eine tiefere
Schicht Seewassers mit ihrer Pollutionsmilch erfüllen, während
die Weiblein von oben her ihre Eier durch diese Samenwolke
hindurchfallen lassen, entsteht auf gut Glück die eigentliche Hoch¬
zeit von Samenzelle und Eizelle, -- auf gut Glück und dank
einer braven Verschwendung von beiden Seiten. Die Masse
thut's! Das einzelne Ei eines Herings ist bloß ein Milli¬
meter groß und das einzelne Samentierchen natürlich noch
viel kleiner. Aber jeder weibliche Hering erzeugt dafür auch
seine dreißig- bis vierzigtausend Eier. Und wenn du dir aus
deiner Heringstonne eine leckere Milchmasse herausfischst,

jedweden Weſens dar, da es ſich am eigentlichſten über ſich
ſelbſt erhebt in ein Höheres, Umfaſſenderes hinein, in einen
Ring gleichſam einer höheren Individualität, die ſeine eigene
kleine bloß als ein Stäubchen mit umfaßt. Der Hering,
wenn er ſich in dieſe Stimmung erheben ſoll, kann in ſeinem
kleinen Fiſchgehirn, das bloß erſt wie ein paar Knötchen in
einem dünnen Strang durch ſeinen Schädel liegt, noch nicht
bewußt ſich verſenken in die ewige Gottnatur des Meiſters
Goethe, die Nebelflecke umfaßt wie Menſchen und Heringe.
Der höchſte Überakt ſeines Individuums iſt die Zeugung,
der Moment, da ſein kleines Daſein eingeht in den großen
Ring der Art, in den ewigen Hering gleichſam, der Jahr¬
hunderttauſende durch die fortgepflanzten Generationen ſich
erhält, in die platoniſche Idee des Herings, die etwas gewaltig
viel Höheres, Umfaſſenderes iſt als der Einzelhering in ſeinem
ſchnellen Lebensſtündlein.

Aber nun es zu dem großen Akte wirklich kommt, ſiehſt
du auch dieſe Heringe noch ganz nach der uralten, groben
Methode ihr Liebesſchifflein ſteuern. Vom Milchner, dem
Manneshering, geht der Samen ab durch eine regelrechte Art
Pollution, und vom Rogener, dem Heringsweibe, fallen die
Eier einfach wie ein Tropfen Menſtruationsblut, auf dem eine
jungfräuliche Eizelle ſelbſtändig an Tageslicht ſchwimmt. In¬
dem die Männlein meiſt unten ſchwänzeln und eine tiefere
Schicht Seewaſſers mit ihrer Pollutionsmilch erfüllen, während
die Weiblein von oben her ihre Eier durch dieſe Samenwolke
hindurchfallen laſſen, entſteht auf gut Glück die eigentliche Hoch¬
zeit von Samenzelle und Eizelle, — auf gut Glück und dank
einer braven Verſchwendung von beiden Seiten. Die Maſſe
thut's! Das einzelne Ei eines Herings iſt bloß ein Milli¬
meter groß und das einzelne Samentierchen natürlich noch
viel kleiner. Aber jeder weibliche Hering erzeugt dafür auch
ſeine dreißig- bis vierzigtauſend Eier. Und wenn du dir aus
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[203/0219] jedweden Weſens dar, da es ſich am eigentlichſten über ſich ſelbſt erhebt in ein Höheres, Umfaſſenderes hinein, in einen Ring gleichſam einer höheren Individualität, die ſeine eigene kleine bloß als ein Stäubchen mit umfaßt. Der Hering, wenn er ſich in dieſe Stimmung erheben ſoll, kann in ſeinem kleinen Fiſchgehirn, das bloß erſt wie ein paar Knötchen in einem dünnen Strang durch ſeinen Schädel liegt, noch nicht bewußt ſich verſenken in die ewige Gottnatur des Meiſters Goethe, die Nebelflecke umfaßt wie Menſchen und Heringe. Der höchſte Überakt ſeines Individuums iſt die Zeugung, der Moment, da ſein kleines Daſein eingeht in den großen Ring der Art, in den ewigen Hering gleichſam, der Jahr¬ hunderttauſende durch die fortgepflanzten Generationen ſich erhält, in die platoniſche Idee des Herings, die etwas gewaltig viel Höheres, Umfaſſenderes iſt als der Einzelhering in ſeinem ſchnellen Lebensſtündlein. Aber nun es zu dem großen Akte wirklich kommt, ſiehſt du auch dieſe Heringe noch ganz nach der uralten, groben Methode ihr Liebesſchifflein ſteuern. Vom Milchner, dem Manneshering, geht der Samen ab durch eine regelrechte Art Pollution, und vom Rogener, dem Heringsweibe, fallen die Eier einfach wie ein Tropfen Menſtruationsblut, auf dem eine jungfräuliche Eizelle ſelbſtändig an Tageslicht ſchwimmt. In¬ dem die Männlein meiſt unten ſchwänzeln und eine tiefere Schicht Seewaſſers mit ihrer Pollutionsmilch erfüllen, während die Weiblein von oben her ihre Eier durch dieſe Samenwolke hindurchfallen laſſen, entſteht auf gut Glück die eigentliche Hoch¬ zeit von Samenzelle und Eizelle, — auf gut Glück und dank einer braven Verſchwendung von beiden Seiten. Die Maſſe thut's! Das einzelne Ei eines Herings iſt bloß ein Milli¬ meter groß und das einzelne Samentierchen natürlich noch viel kleiner. Aber jeder weibliche Hering erzeugt dafür auch ſeine dreißig- bis vierzigtauſend Eier. Und wenn du dir aus deiner Heringstonne eine leckere Milchmaſſe herausfiſchſt,

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/219>, abgerufen am 24.11.2024.