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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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war ein Mensch. Spinoza war ein Mensch. Sie alle stammten
vom Affen ab, -- sie hatten ihn überwunden.

Die da drüben mögen sich prügeln oder auch beruhigen
bei dem Satz: immer behalten sie Unrecht und immer bleibt
er ein Stachel für sie. Sie stammen nicht von Göttern ab,
wie sie möchten. Sie sind Tier, kein Gottessohn. Aber sie
stammen auch noch nicht ab von diesem Tier. Sie sind es
selber noch. Vor Jahrtausenden gab es schon Menschen, die
nicht mehr Tier waren. Heute noch gibt es Menschentausende,
die noch nicht Mensch sind.

Dieser Schnitt, dieser rotblutige Schnitt, diese wahre Ge¬
burtswunde von nur lebendem Tier und erkenntnissuchendem
Menschen, geht aber durch jedes Sondergebiet auch, das du
dir im Menschlichen wählst.

Wir reden von der Liebe.

Von der Liebe des Menschen jetzt.

Du sagst, der Mensch kommt vom Affen herauf. Und
tiefer noch. Von so und so viel Tieren. Bis zur Ur-Zelle
herab. Darwin lehrt das. Eine neue Weisheit unserer Tage
setzt hier ein. Und von hier will auch das Liebesproblem des
Menschen also neu angesehen sein. Aber du mußt dir, ehe
wir davon reden können, jenes eine zuerst ganz klar stellen.

Auch in der Auffassung der Liebe geht der Schnitt zuerst
durch Mensch und Mensch.

Mensch im Alltagssinne und Denk-Mensch. Schaust du
hier klar, so siehst du sogar sofort noch ein Besonderes für
unseren Fall.

Walpurgisschauer der Natur wehen in dieser einsamen
Träumerstunde um dich her. Wirf dein Erkennen über Bord.
Lebe nur. Sei einer jener Menschen, die noch nicht eigentlich
Menschen sind. Schwimme, taumele, plätschere im einfachen
Leben. Und nun in dieses Leben Walpurgisrausch. Ein Weib
in deinem Arm -- und sonst nichts mehr. Liebe. Nicht ein
Erkenntnisbegriff. Wilde That. Nun wärst du eins mit dieser

war ein Menſch. Spinoza war ein Menſch. Sie alle ſtammten
vom Affen ab, — ſie hatten ihn überwunden.

Die da drüben mögen ſich prügeln oder auch beruhigen
bei dem Satz: immer behalten ſie Unrecht und immer bleibt
er ein Stachel für ſie. Sie ſtammen nicht von Göttern ab,
wie ſie möchten. Sie ſind Tier, kein Gottesſohn. Aber ſie
ſtammen auch noch nicht ab von dieſem Tier. Sie ſind es
ſelber noch. Vor Jahrtauſenden gab es ſchon Menſchen, die
nicht mehr Tier waren. Heute noch gibt es Menſchentauſende,
die noch nicht Menſch ſind.

Dieſer Schnitt, dieſer rotblutige Schnitt, dieſe wahre Ge¬
burtswunde von nur lebendem Tier und erkenntnisſuchendem
Menſchen, geht aber durch jedes Sondergebiet auch, das du
dir im Menſchlichen wählſt.

Wir reden von der Liebe.

Von der Liebe des Menſchen jetzt.

Du ſagſt, der Menſch kommt vom Affen herauf. Und
tiefer noch. Von ſo und ſo viel Tieren. Bis zur Ur-Zelle
herab. Darwin lehrt das. Eine neue Weisheit unſerer Tage
ſetzt hier ein. Und von hier will auch das Liebesproblem des
Menſchen alſo neu angeſehen ſein. Aber du mußt dir, ehe
wir davon reden können, jenes eine zuerſt ganz klar ſtellen.

Auch in der Auffaſſung der Liebe geht der Schnitt zuerſt
durch Menſch und Menſch.

Menſch im Alltagsſinne und Denk-Menſch. Schauſt du
hier klar, ſo ſiehſt du ſogar ſofort noch ein Beſonderes für
unſeren Fall.

Walpurgisſchauer der Natur wehen in dieſer einſamen
Träumerſtunde um dich her. Wirf dein Erkennen über Bord.
Lebe nur. Sei einer jener Menſchen, die noch nicht eigentlich
Menſchen ſind. Schwimme, taumele, plätſchere im einfachen
Leben. Und nun in dieſes Leben Walpurgisrauſch. Ein Weib
in deinem Arm — und ſonſt nichts mehr. Liebe. Nicht ein
Erkenntnisbegriff. Wilde That. Nun wärſt du eins mit dieſer

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[4/0020] war ein Menſch. Spinoza war ein Menſch. Sie alle ſtammten vom Affen ab, — ſie hatten ihn überwunden. Die da drüben mögen ſich prügeln oder auch beruhigen bei dem Satz: immer behalten ſie Unrecht und immer bleibt er ein Stachel für ſie. Sie ſtammen nicht von Göttern ab, wie ſie möchten. Sie ſind Tier, kein Gottesſohn. Aber ſie ſtammen auch noch nicht ab von dieſem Tier. Sie ſind es ſelber noch. Vor Jahrtauſenden gab es ſchon Menſchen, die nicht mehr Tier waren. Heute noch gibt es Menſchentauſende, die noch nicht Menſch ſind. Dieſer Schnitt, dieſer rotblutige Schnitt, dieſe wahre Ge¬ burtswunde von nur lebendem Tier und erkenntnisſuchendem Menſchen, geht aber durch jedes Sondergebiet auch, das du dir im Menſchlichen wählſt. Wir reden von der Liebe. Von der Liebe des Menſchen jetzt. Du ſagſt, der Menſch kommt vom Affen herauf. Und tiefer noch. Von ſo und ſo viel Tieren. Bis zur Ur-Zelle herab. Darwin lehrt das. Eine neue Weisheit unſerer Tage ſetzt hier ein. Und von hier will auch das Liebesproblem des Menſchen alſo neu angeſehen ſein. Aber du mußt dir, ehe wir davon reden können, jenes eine zuerſt ganz klar ſtellen. Auch in der Auffaſſung der Liebe geht der Schnitt zuerſt durch Menſch und Menſch. Menſch im Alltagsſinne und Denk-Menſch. Schauſt du hier klar, ſo ſiehſt du ſogar ſofort noch ein Beſonderes für unſeren Fall. Walpurgisſchauer der Natur wehen in dieſer einſamen Träumerſtunde um dich her. Wirf dein Erkennen über Bord. Lebe nur. Sei einer jener Menſchen, die noch nicht eigentlich Menſchen ſind. Schwimme, taumele, plätſchere im einfachen Leben. Und nun in dieſes Leben Walpurgisrauſch. Ein Weib in deinem Arm — und ſonſt nichts mehr. Liebe. Nicht ein Erkenntnisbegriff. Wilde That. Nun wärſt du eins mit dieſer

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/20>, abgerufen am 24.11.2024.