tritt bekanntlich unter gesunden Verhältnissen alle vier Wochen ein und setzt erst aus, wenn eine Schwangerschaft begonnen hat. Selbst bei zwanzig Schwangerschaften in dreißig Reife¬ jahren eines Weibes würde ein ziemlicher Spielraum bleiben für Eiverluste dieser Art vorher, dazwischen und nachher. Aber nun der ja unendlich häufigere Fall von weniger Schwanger¬ schaften bis zu gar keinen! Denke an jene zwei Kinder, die streng genommen allein nötig wären. Hier blieben achtund¬ zwanzig Jahre frei, jedes zu zwölf Monaten. Und jeder dieser Monate bedeutete mindestens ein reifes, losgelöstes, im weib¬ lichen Organ reifendes, wanderndes -- und untergehendes Ei. Es wären dreihundertsechsunddreißig Eizellen, die auch so in ihrer Blüte noch elendiglich abstürben, ohne zum Ziel zu kommen. Bei einer alten Jungfer blieben gar dreihundertund¬ sechzig als Opfer.
Du kannst dir ein hübsches Anschauungsbild der zweiund¬ siebzigtausend Beeren an der weiblichen Traube machen, wenn du dir einmal jedes Ei dabei zu der reifen Größe von einem fünftel Millimeter Durchmesser entwickelt denkst und dir dann diese Eier hintereinander reihst wie eine Perlenschnur oder auch wie eine jener Eierschnüre, die von den Kröten dort in ihrem Tümpel zur Frühlingszeit abgelegt werden. Du erhälst eine Schnur von rund vierzehn Meter Länge. Wenn sie die nötige Solidität hätte, könntest du dich daran aus den Fenstern des dritten Stocks einer turmhohen Berliner Mietskaserne herablassen. Und diese vierzehn Meter jetzt stehen gegen jenen Gedankenstrich von vier Millimetern, der für zwanzig Kinder genügte .....
An und für sich will ja solche Anhäufung von Zellen im großen Zellenstaate des menschlichen Leibes nicht viel bedeuten. In diesem unermeßlichen Gewimmel der Zellen verschwimmen diese zweiundsiebzigtausend noch mit wie eine Bagatelle. Die wenigsten Menschen machen sich ja einen Begriff davon, welche Längen herauskämen, wenn man sich überhaupt das gesamte
tritt bekanntlich unter geſunden Verhältniſſen alle vier Wochen ein und ſetzt erſt aus, wenn eine Schwangerſchaft begonnen hat. Selbſt bei zwanzig Schwangerſchaften in dreißig Reife¬ jahren eines Weibes würde ein ziemlicher Spielraum bleiben für Eiverluſte dieſer Art vorher, dazwiſchen und nachher. Aber nun der ja unendlich häufigere Fall von weniger Schwanger¬ ſchaften bis zu gar keinen! Denke an jene zwei Kinder, die ſtreng genommen allein nötig wären. Hier blieben achtund¬ zwanzig Jahre frei, jedes zu zwölf Monaten. Und jeder dieſer Monate bedeutete mindeſtens ein reifes, losgelöſtes, im weib¬ lichen Organ reifendes, wanderndes — und untergehendes Ei. Es wären dreihundertſechsunddreißig Eizellen, die auch ſo in ihrer Blüte noch elendiglich abſtürben, ohne zum Ziel zu kommen. Bei einer alten Jungfer blieben gar dreihundertund¬ ſechzig als Opfer.
Du kannſt dir ein hübſches Anſchauungsbild der zweiund¬ ſiebzigtauſend Beeren an der weiblichen Traube machen, wenn du dir einmal jedes Ei dabei zu der reifen Größe von einem fünftel Millimeter Durchmeſſer entwickelt denkſt und dir dann dieſe Eier hintereinander reihſt wie eine Perlenſchnur oder auch wie eine jener Eierſchnüre, die von den Kröten dort in ihrem Tümpel zur Frühlingszeit abgelegt werden. Du erhälſt eine Schnur von rund vierzehn Meter Länge. Wenn ſie die nötige Solidität hätte, könnteſt du dich daran aus den Fenſtern des dritten Stocks einer turmhohen Berliner Mietskaſerne herablaſſen. Und dieſe vierzehn Meter jetzt ſtehen gegen jenen Gedankenſtrich von vier Millimetern, der für zwanzig Kinder genügte .....
An und für ſich will ja ſolche Anhäufung von Zellen im großen Zellenſtaate des menſchlichen Leibes nicht viel bedeuten. In dieſem unermeßlichen Gewimmel der Zellen verſchwimmen dieſe zweiundſiebzigtauſend noch mit wie eine Bagatelle. Die wenigſten Menſchen machen ſich ja einen Begriff davon, welche Längen herauskämen, wenn man ſich überhaupt das geſamte
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0187"n="171"/>
tritt bekanntlich unter geſunden Verhältniſſen alle vier Wochen<lb/>
ein und ſetzt erſt aus, wenn eine Schwangerſchaft begonnen<lb/>
hat. Selbſt bei zwanzig Schwangerſchaften in dreißig Reife¬<lb/>
jahren eines Weibes würde ein ziemlicher Spielraum bleiben<lb/>
für Eiverluſte dieſer Art vorher, dazwiſchen und nachher. Aber<lb/>
nun der ja unendlich häufigere Fall von weniger Schwanger¬<lb/>ſchaften bis zu gar keinen! Denke an jene zwei Kinder, die<lb/>ſtreng genommen allein nötig wären. Hier blieben achtund¬<lb/>
zwanzig Jahre frei, jedes zu zwölf Monaten. Und jeder dieſer<lb/>
Monate bedeutete mindeſtens <hirendition="#g">ein</hi> reifes, losgelöſtes, im weib¬<lb/>
lichen Organ reifendes, wanderndes — und untergehendes Ei.<lb/>
Es wären dreihundertſechsunddreißig Eizellen, die auch ſo in<lb/>
ihrer Blüte noch elendiglich abſtürben, ohne zum Ziel zu<lb/>
kommen. Bei einer alten Jungfer blieben gar dreihundertund¬<lb/>ſechzig als Opfer.</p><lb/><p>Du kannſt dir ein hübſches Anſchauungsbild der zweiund¬<lb/>ſiebzigtauſend Beeren an der weiblichen Traube machen, wenn<lb/>
du dir einmal <hirendition="#g">jedes</hi> Ei dabei zu der reifen Größe von einem<lb/>
fünftel Millimeter Durchmeſſer entwickelt denkſt und dir dann<lb/>
dieſe Eier hintereinander reihſt wie eine Perlenſchnur oder auch<lb/>
wie eine jener Eierſchnüre, die von den Kröten dort in ihrem<lb/>
Tümpel zur Frühlingszeit abgelegt werden. Du erhälſt eine<lb/>
Schnur von rund <hirendition="#g">vierzehn Meter Länge</hi>. Wenn ſie die<lb/>
nötige Solidität hätte, könnteſt du dich daran aus den Fenſtern<lb/>
des dritten Stocks einer turmhohen Berliner Mietskaſerne<lb/>
herablaſſen. Und dieſe vierzehn Meter jetzt ſtehen gegen jenen<lb/>
Gedankenſtrich von vier Millimetern, der für zwanzig Kinder<lb/>
genügte .....</p><lb/><p>An und für ſich will ja ſolche Anhäufung von Zellen im<lb/>
großen Zellenſtaate des menſchlichen Leibes nicht viel bedeuten.<lb/>
In dieſem unermeßlichen Gewimmel der Zellen verſchwimmen<lb/>
dieſe zweiundſiebzigtauſend noch mit wie eine Bagatelle. Die<lb/>
wenigſten Menſchen machen ſich ja einen Begriff davon, welche<lb/>
Längen herauskämen, wenn man ſich überhaupt das geſamte<lb/></p></div></body></text></TEI>
[171/0187]
tritt bekanntlich unter geſunden Verhältniſſen alle vier Wochen
ein und ſetzt erſt aus, wenn eine Schwangerſchaft begonnen
hat. Selbſt bei zwanzig Schwangerſchaften in dreißig Reife¬
jahren eines Weibes würde ein ziemlicher Spielraum bleiben
für Eiverluſte dieſer Art vorher, dazwiſchen und nachher. Aber
nun der ja unendlich häufigere Fall von weniger Schwanger¬
ſchaften bis zu gar keinen! Denke an jene zwei Kinder, die
ſtreng genommen allein nötig wären. Hier blieben achtund¬
zwanzig Jahre frei, jedes zu zwölf Monaten. Und jeder dieſer
Monate bedeutete mindeſtens ein reifes, losgelöſtes, im weib¬
lichen Organ reifendes, wanderndes — und untergehendes Ei.
Es wären dreihundertſechsunddreißig Eizellen, die auch ſo in
ihrer Blüte noch elendiglich abſtürben, ohne zum Ziel zu
kommen. Bei einer alten Jungfer blieben gar dreihundertund¬
ſechzig als Opfer.
Du kannſt dir ein hübſches Anſchauungsbild der zweiund¬
ſiebzigtauſend Beeren an der weiblichen Traube machen, wenn
du dir einmal jedes Ei dabei zu der reifen Größe von einem
fünftel Millimeter Durchmeſſer entwickelt denkſt und dir dann
dieſe Eier hintereinander reihſt wie eine Perlenſchnur oder auch
wie eine jener Eierſchnüre, die von den Kröten dort in ihrem
Tümpel zur Frühlingszeit abgelegt werden. Du erhälſt eine
Schnur von rund vierzehn Meter Länge. Wenn ſie die
nötige Solidität hätte, könnteſt du dich daran aus den Fenſtern
des dritten Stocks einer turmhohen Berliner Mietskaſerne
herablaſſen. Und dieſe vierzehn Meter jetzt ſtehen gegen jenen
Gedankenſtrich von vier Millimetern, der für zwanzig Kinder
genügte .....
An und für ſich will ja ſolche Anhäufung von Zellen im
großen Zellenſtaate des menſchlichen Leibes nicht viel bedeuten.
In dieſem unermeßlichen Gewimmel der Zellen verſchwimmen
dieſe zweiundſiebzigtauſend noch mit wie eine Bagatelle. Die
wenigſten Menſchen machen ſich ja einen Begriff davon, welche
Längen herauskämen, wenn man ſich überhaupt das geſamte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/187>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.