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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Distance gingen. Das gemeinsame Leben innerhalb eines
Liebes-Individuums ist aber keineswegs so eingeschränkt, daß
es bloß die mehr oder minder grobe und deutliche Vorbereitung
zu jenem Mischakt umschlösse und weiter nichts.

Erinnere dich an die unendliche Goldwelle, die sich
zwischen Liebenden über jede Handlung, jede Seelenregung
ausgießt. Denke bloß an das Aufblühen der Kunst, vor allem
der Dichtung, unter diesem Sonnenschein. Denke an die Fülle
der ganz feinen Regungen, die im edelsten Sinne als keusch zu
bezeichnen sind, also mit jenem Mischakt nach unserem hergebrachten
Wortsinn unmittelbar überhaupt nicht mehr zusammenhängen,
dennoch aber ihre wahre Pflanzstätte auf Erden, ihr unschuldig
reines Paradies nirgendwo anders haben als innerhalb des Ringes
von Liebesindividualitäten. Und denke an den ungeheuren Reich¬
tum ganz allgemein, den jede höhere Individualität für beide
umschlossenen Teile überhaupt bietet, die enormen Schutzfolgen
und die moralischen Kräftigungen. Nicht umsonst ist unser
höchstes Moralwort "Menschenliebe" selbst im Wortlaut aus
diesem Liebesring hervorgegangen. Alle und alle diese anderen
Werte jenseits jenes einen Aktes unterscheiden sich aber gerade
darin grundlegend von ihm, daß sie eben nicht auf Mischung
hinauslaufen, sondern daß bei noch so viel selig süßer Geistes-
und Leibeseinheit die Zweiheit der beiden Partner ihre
Distance wahrt.

Mag diese Distance groß oder gering sein, -- sie bleibt
stets so groß, daß jeder siphonophorische Verwachsungszug
schlechterdings aus dem Spiele bleibt genau so, wie er es in
jenem Exempel bei dem Verleger und Reporter blieb. Und
der ganze riesenhafte Reigen der Erscheinungen im Liebes-Indi¬
viduum, -- vom ersten rein lyrischen Morgenrot-Stadium,
das jenen Mischakt noch gar nicht bewußt ahnt, bis auf jenes
weiteste Feld hinaus, wo die bewußte Liebe als höchstes
Geistesgut mit eigenen Adlerflügeln sich hoch ins Blau über
jenen Akt hinaus erhebt, so hoch, daß auch sie ihn ganz wieder

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Diſtance gingen. Das gemeinſame Leben innerhalb eines
Liebes-Individuums iſt aber keineswegs ſo eingeſchränkt, daß
es bloß die mehr oder minder grobe und deutliche Vorbereitung
zu jenem Miſchakt umſchlöſſe und weiter nichts.

Erinnere dich an die unendliche Goldwelle, die ſich
zwiſchen Liebenden über jede Handlung, jede Seelenregung
ausgießt. Denke bloß an das Aufblühen der Kunſt, vor allem
der Dichtung, unter dieſem Sonnenſchein. Denke an die Fülle
der ganz feinen Regungen, die im edelſten Sinne als keuſch zu
bezeichnen ſind, alſo mit jenem Miſchakt nach unſerem hergebrachten
Wortſinn unmittelbar überhaupt nicht mehr zuſammenhängen,
dennoch aber ihre wahre Pflanzſtätte auf Erden, ihr unſchuldig
reines Paradies nirgendwo anders haben als innerhalb des Ringes
von Liebesindividualitäten. Und denke an den ungeheuren Reich¬
tum ganz allgemein, den jede höhere Individualität für beide
umſchloſſenen Teile überhaupt bietet, die enormen Schutzfolgen
und die moraliſchen Kräftigungen. Nicht umſonſt iſt unſer
höchſtes Moralwort „Menſchenliebe“ ſelbſt im Wortlaut aus
dieſem Liebesring hervorgegangen. Alle und alle dieſe anderen
Werte jenſeits jenes einen Aktes unterſcheiden ſich aber gerade
darin grundlegend von ihm, daß ſie eben nicht auf Miſchung
hinauslaufen, ſondern daß bei noch ſo viel ſelig ſüßer Geiſtes-
und Leibeseinheit die Zweiheit der beiden Partner ihre
Diſtance wahrt.

Mag dieſe Diſtance groß oder gering ſein, — ſie bleibt
ſtets ſo groß, daß jeder ſiphonophoriſche Verwachſungszug
ſchlechterdings aus dem Spiele bleibt genau ſo, wie er es in
jenem Exempel bei dem Verleger und Reporter blieb. Und
der ganze rieſenhafte Reigen der Erſcheinungen im Liebes-Indi¬
viduum, — vom erſten rein lyriſchen Morgenrot-Stadium,
das jenen Miſchakt noch gar nicht bewußt ahnt, bis auf jenes
weiteſte Feld hinaus, wo die bewußte Liebe als höchſtes
Geiſtesgut mit eigenen Adlerflügeln ſich hoch ins Blau über
jenen Akt hinaus erhebt, ſo hoch, daß auch ſie ihn ganz wieder

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[145/0161] Diſtance gingen. Das gemeinſame Leben innerhalb eines Liebes-Individuums iſt aber keineswegs ſo eingeſchränkt, daß es bloß die mehr oder minder grobe und deutliche Vorbereitung zu jenem Miſchakt umſchlöſſe und weiter nichts. Erinnere dich an die unendliche Goldwelle, die ſich zwiſchen Liebenden über jede Handlung, jede Seelenregung ausgießt. Denke bloß an das Aufblühen der Kunſt, vor allem der Dichtung, unter dieſem Sonnenſchein. Denke an die Fülle der ganz feinen Regungen, die im edelſten Sinne als keuſch zu bezeichnen ſind, alſo mit jenem Miſchakt nach unſerem hergebrachten Wortſinn unmittelbar überhaupt nicht mehr zuſammenhängen, dennoch aber ihre wahre Pflanzſtätte auf Erden, ihr unſchuldig reines Paradies nirgendwo anders haben als innerhalb des Ringes von Liebesindividualitäten. Und denke an den ungeheuren Reich¬ tum ganz allgemein, den jede höhere Individualität für beide umſchloſſenen Teile überhaupt bietet, die enormen Schutzfolgen und die moraliſchen Kräftigungen. Nicht umſonſt iſt unſer höchſtes Moralwort „Menſchenliebe“ ſelbſt im Wortlaut aus dieſem Liebesring hervorgegangen. Alle und alle dieſe anderen Werte jenſeits jenes einen Aktes unterſcheiden ſich aber gerade darin grundlegend von ihm, daß ſie eben nicht auf Miſchung hinauslaufen, ſondern daß bei noch ſo viel ſelig ſüßer Geiſtes- und Leibeseinheit die Zweiheit der beiden Partner ihre Diſtance wahrt. Mag dieſe Diſtance groß oder gering ſein, — ſie bleibt ſtets ſo groß, daß jeder ſiphonophoriſche Verwachſungszug ſchlechterdings aus dem Spiele bleibt genau ſo, wie er es in jenem Exempel bei dem Verleger und Reporter blieb. Und der ganze rieſenhafte Reigen der Erſcheinungen im Liebes-Indi¬ viduum, — vom erſten rein lyriſchen Morgenrot-Stadium, das jenen Miſchakt noch gar nicht bewußt ahnt, bis auf jenes weiteſte Feld hinaus, wo die bewußte Liebe als höchſtes Geiſtesgut mit eigenen Adlerflügeln ſich hoch ins Blau über jenen Akt hinaus erhebt, ſo hoch, daß auch ſie ihn ganz wieder 10

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/161>, abgerufen am 22.11.2024.