Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

und "totes Werkzeug" im Sinne von Weltentrennungen aus¬
einander geschnitten hat. Auch das liebe Wörtchen "Symbolisch"
müßte eine ordentliche Revision dabei erleben, da es heute
etwas sehr in unseren Leichtsinn hineingeraten ist. Wir thun
mit ihm so gern alles mögliche ab, als sei es nun erledigt --
und übersehen total, wie verflucht einheitlich die Welt ist, wie
unser scheinbar spielendes Vergleichen immer und immer
wieder auf wirkliche Gleichheiten stößt, und wie wir echte Gleich¬
nisse gerade für die tiefsten Dinge wie Ich, Seele, Individuum
gar nicht besitzen, sondern allemal dabei wieder auf ein gewisses
Urphänomen hinauslaufen, das uns aus tausend Verkleidungen
der Welt mit denselben glühenden Augen anblitzt.

[Abbildung]

Doch nicht in dieses Zauberreich wollte ich dich weiter
und weiter verführen. Meinem Zweck zunächst genügt, daß du
höhere Individuenbildung auch beim Menschen zugiebst einfach
im Grundsinne jenes schlichten Exempels vom Verleger und
Reporter. Individuenbildung, die mehrere individuelle Menschen-
Personen durch einen neuen, höheren Ring wieder zu einer
neuen Einheit aneinanderfügt.

Im Rahmen einfach einer solchen Bildung bewegt sich
dann auch der Mensch, der liebt.

Darum das große Wunder, daß bei der Liebe immer zwei
Menschen-Personen in Betracht kommen. Daß du hier im
Grase, obwohl ein ganzer "Mensch" und frei, einsam, auf
dich gestellt als solcher, doch im Liebessinne nur eine Hälfte
bist.

Über dir hier und deiner ergänzenden zweiten Liebeshälfte
erhebt sich als höhere Einheit, die ihr erst beide zusammen
verkörpert, das menschliche Liebes-Individuum.

Wir wollen das Wort festhalten, da es ein sehr brauch¬
bares ist. Denke dir am besten immer ein festes Bild dabei:
etwa eines der alten meisterhaften Adam- und Evabilder, --

und „totes Werkzeug“ im Sinne von Weltentrennungen aus¬
einander geſchnitten hat. Auch das liebe Wörtchen „Symboliſch“
müßte eine ordentliche Reviſion dabei erleben, da es heute
etwas ſehr in unſeren Leichtſinn hineingeraten iſt. Wir thun
mit ihm ſo gern alles mögliche ab, als ſei es nun erledigt —
und überſehen total, wie verflucht einheitlich die Welt iſt, wie
unſer ſcheinbar ſpielendes Vergleichen immer und immer
wieder auf wirkliche Gleichheiten ſtößt, und wie wir echte Gleich¬
niſſe gerade für die tiefſten Dinge wie Ich, Seele, Individuum
gar nicht beſitzen, ſondern allemal dabei wieder auf ein gewiſſes
Urphänomen hinauslaufen, das uns aus tauſend Verkleidungen
der Welt mit denſelben glühenden Augen anblitzt.

[Abbildung]

Doch nicht in dieſes Zauberreich wollte ich dich weiter
und weiter verführen. Meinem Zweck zunächſt genügt, daß du
höhere Individuenbildung auch beim Menſchen zugiebſt einfach
im Grundſinne jenes ſchlichten Exempels vom Verleger und
Reporter. Individuenbildung, die mehrere individuelle Menſchen-
Perſonen durch einen neuen, höheren Ring wieder zu einer
neuen Einheit aneinanderfügt.

Im Rahmen einfach einer ſolchen Bildung bewegt ſich
dann auch der Menſch, der liebt.

Darum das große Wunder, daß bei der Liebe immer zwei
Menſchen-Perſonen in Betracht kommen. Daß du hier im
Graſe, obwohl ein ganzer „Menſch“ und frei, einſam, auf
dich geſtellt als ſolcher, doch im Liebesſinne nur eine Hälfte
biſt.

Über dir hier und deiner ergänzenden zweiten Liebeshälfte
erhebt ſich als höhere Einheit, die ihr erſt beide zuſammen
verkörpert, das menſchliche Liebes-Individuum.

Wir wollen das Wort feſthalten, da es ein ſehr brauch¬
bares iſt. Denke dir am beſten immer ein feſtes Bild dabei:
etwa eines der alten meiſterhaften Adam- und Evabilder, —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0155" n="139"/>
und &#x201E;totes Werkzeug&#x201C; im Sinne von Weltentrennungen aus¬<lb/>
einander ge&#x017F;chnitten hat. Auch das liebe Wörtchen &#x201E;Symboli&#x017F;ch&#x201C;<lb/>
müßte eine ordentliche Revi&#x017F;ion dabei erleben, da es heute<lb/>
etwas &#x017F;ehr in un&#x017F;eren Leicht&#x017F;inn hineingeraten i&#x017F;t. Wir thun<lb/>
mit ihm &#x017F;o gern alles mögliche ab, als &#x017F;ei es nun erledigt &#x2014;<lb/>
und über&#x017F;ehen total, wie verflucht einheitlich die Welt i&#x017F;t, wie<lb/>
un&#x017F;er &#x017F;cheinbar &#x017F;pielendes Vergleichen immer und immer<lb/>
wieder auf wirkliche Gleichheiten &#x017F;tößt, und wie wir echte Gleich¬<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e gerade für die tief&#x017F;ten Dinge wie Ich, Seele, Individuum<lb/>
gar nicht be&#x017F;itzen, &#x017F;ondern allemal dabei wieder auf ein gewi&#x017F;&#x017F;es<lb/>
Urphänomen hinauslaufen, das uns aus tau&#x017F;end Verkleidungen<lb/>
der Welt mit den&#x017F;elben glühenden Augen anblitzt.</p><lb/>
        <figure/>
        <p>Doch nicht in die&#x017F;es Zauberreich wollte ich dich weiter<lb/>
und weiter verführen. Meinem Zweck zunäch&#x017F;t genügt, daß du<lb/>
höhere Individuenbildung auch beim Men&#x017F;chen zugieb&#x017F;t einfach<lb/>
im Grund&#x017F;inne jenes &#x017F;chlichten Exempels vom Verleger und<lb/>
Reporter. Individuenbildung, die mehrere individuelle Men&#x017F;chen-<lb/>
Per&#x017F;onen durch einen neuen, höheren Ring wieder zu einer<lb/>
neuen Einheit aneinanderfügt.</p><lb/>
        <p>Im Rahmen einfach einer &#x017F;olchen Bildung bewegt &#x017F;ich<lb/>
dann auch <hi rendition="#g">der Men&#x017F;ch</hi>, <hi rendition="#g">der liebt</hi>.</p><lb/>
        <p>Darum das große Wunder, daß bei der Liebe immer zwei<lb/>
Men&#x017F;chen-Per&#x017F;onen in Betracht kommen. Daß du hier im<lb/>
Gra&#x017F;e, obwohl ein ganzer &#x201E;Men&#x017F;ch&#x201C; und frei, ein&#x017F;am, auf<lb/>
dich ge&#x017F;tellt als &#x017F;olcher, doch im Liebes&#x017F;inne nur eine <hi rendition="#g">Hälfte</hi><lb/>
bi&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Über dir hier und deiner ergänzenden zweiten Liebeshälfte<lb/>
erhebt &#x017F;ich als höhere Einheit, die ihr er&#x017F;t beide zu&#x017F;ammen<lb/>
verkörpert, das men&#x017F;chliche <hi rendition="#g">Liebes-Individuum</hi>.</p><lb/>
        <p>Wir wollen das Wort fe&#x017F;thalten, da es ein &#x017F;ehr brauch¬<lb/>
bares i&#x017F;t. Denke dir am be&#x017F;ten immer ein fe&#x017F;tes Bild dabei:<lb/>
etwa eines der alten mei&#x017F;terhaften Adam- und Evabilder, &#x2014;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0155] und „totes Werkzeug“ im Sinne von Weltentrennungen aus¬ einander geſchnitten hat. Auch das liebe Wörtchen „Symboliſch“ müßte eine ordentliche Reviſion dabei erleben, da es heute etwas ſehr in unſeren Leichtſinn hineingeraten iſt. Wir thun mit ihm ſo gern alles mögliche ab, als ſei es nun erledigt — und überſehen total, wie verflucht einheitlich die Welt iſt, wie unſer ſcheinbar ſpielendes Vergleichen immer und immer wieder auf wirkliche Gleichheiten ſtößt, und wie wir echte Gleich¬ niſſe gerade für die tiefſten Dinge wie Ich, Seele, Individuum gar nicht beſitzen, ſondern allemal dabei wieder auf ein gewiſſes Urphänomen hinauslaufen, das uns aus tauſend Verkleidungen der Welt mit denſelben glühenden Augen anblitzt. [Abbildung] Doch nicht in dieſes Zauberreich wollte ich dich weiter und weiter verführen. Meinem Zweck zunächſt genügt, daß du höhere Individuenbildung auch beim Menſchen zugiebſt einfach im Grundſinne jenes ſchlichten Exempels vom Verleger und Reporter. Individuenbildung, die mehrere individuelle Menſchen- Perſonen durch einen neuen, höheren Ring wieder zu einer neuen Einheit aneinanderfügt. Im Rahmen einfach einer ſolchen Bildung bewegt ſich dann auch der Menſch, der liebt. Darum das große Wunder, daß bei der Liebe immer zwei Menſchen-Perſonen in Betracht kommen. Daß du hier im Graſe, obwohl ein ganzer „Menſch“ und frei, einſam, auf dich geſtellt als ſolcher, doch im Liebesſinne nur eine Hälfte biſt. Über dir hier und deiner ergänzenden zweiten Liebeshälfte erhebt ſich als höhere Einheit, die ihr erſt beide zuſammen verkörpert, das menſchliche Liebes-Individuum. Wir wollen das Wort feſthalten, da es ein ſehr brauch¬ bares iſt. Denke dir am beſten immer ein feſtes Bild dabei: etwa eines der alten meiſterhaften Adam- und Evabilder, —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/155
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/155>, abgerufen am 22.11.2024.