bildungen ein, bildest wieder eine Person im Stock, eine Zelle in der Menschheit und so und so viel engeren Verbänden innerhalb dieser Menschheit. Entwickeln sich da über deine Person weg auch neue Genossenschaftsseelen, höhere psychische Zusammenschlüsse, die den körperlichen Hand in Hand laufen? Würde jede gemeinsame Handlung von Menschen-Personen der Keim sein auch zur Entstehung einer Seele, die sich über diesen Personen aufthäte, wie deine eigene Seele sich über den ge¬ meinsam arbeitenden Zellseelchen deines Leibes aufgethan hat?
Die schlichte Phantasie des Volkes hat vor Jahrtausenden schon dem Baum, der auch ein solcher Stock, eine solche höhere Genossenschaft aus so und so viel Einzelpersonen ist, eine Dryas, eine Baumseele beigelegt, -- und der materialistische Naturforscher von heute sieht, von einer ganz verschiedenen Ecke aus, doch auch in dem Stock jener Siphonophoren-Quallen, der als solcher absolut einheitliche Handlungen vollführt, wieder eine einheitliche Seele thätig, eine echte Stock- oder Genossen¬ schaftsseele. Bei uns Menschen selber aber reden wir seit Alters von Menschheitsseele, von Volksgeist, ja wir gebrauchen wie in geheimem Zwang im Tagesleben diese seelischen Be¬ zeichnungen geradezu öfter, wenn von unseren höheren Zu¬ sammenschlüssen die Rede ist, als die entsprechenden körperlichen.
Wenn wir uns besinnen, pflegen wir allerdings hinzu zu setzen, daß das alles nur "symbolisch" gemeint sei. Ich meine aber, es ließe sich immerhin einmal darüber diskutieren, ob die Sache nicht auch einmal eben nicht symbolisch gefaßt werden könnte. Der ganze neuere Individualbegriff, der uns jetzt so oft in unserer Debatte beschäftigt hat, scheint mir durchaus auf einen Punkt zuzusteuern, wo etwas derart mindestens möglich würde. Es ließe sich freilich der Ideengang kaum auf diesem Rocken weiterspinnen, es sei denn, daß die ganze Seelentheorie erst eine neue Grundlage erhielte auf dem Fleck, wo man bis¬ her Lebend und Tot, Organisch und Unorganisch, Mechanistisch und Psychisch, Bewußt und Unbewußt, "lebendes" Körperorgan
bildungen ein, bildeſt wieder eine Perſon im Stock, eine Zelle in der Menſchheit und ſo und ſo viel engeren Verbänden innerhalb dieſer Menſchheit. Entwickeln ſich da über deine Perſon weg auch neue Genoſſenſchaftsſeelen, höhere pſychiſche Zuſammenſchlüſſe, die den körperlichen Hand in Hand laufen? Würde jede gemeinſame Handlung von Menſchen-Perſonen der Keim ſein auch zur Entſtehung einer Seele, die ſich über dieſen Perſonen aufthäte, wie deine eigene Seele ſich über den ge¬ meinſam arbeitenden Zellſeelchen deines Leibes aufgethan hat?
Die ſchlichte Phantaſie des Volkes hat vor Jahrtauſenden ſchon dem Baum, der auch ein ſolcher Stock, eine ſolche höhere Genoſſenſchaft aus ſo und ſo viel Einzelperſonen iſt, eine Dryas, eine Baumſeele beigelegt, — und der materialiſtiſche Naturforſcher von heute ſieht, von einer ganz verſchiedenen Ecke aus, doch auch in dem Stock jener Siphonophoren-Quallen, der als ſolcher abſolut einheitliche Handlungen vollführt, wieder eine einheitliche Seele thätig, eine echte Stock- oder Genoſſen¬ ſchaftsſeele. Bei uns Menſchen ſelber aber reden wir ſeit Alters von Menſchheitsſeele, von Volksgeiſt, ja wir gebrauchen wie in geheimem Zwang im Tagesleben dieſe ſeeliſchen Be¬ zeichnungen geradezu öfter, wenn von unſeren höheren Zu¬ ſammenſchlüſſen die Rede iſt, als die entſprechenden körperlichen.
Wenn wir uns beſinnen, pflegen wir allerdings hinzu zu ſetzen, daß das alles nur „ſymboliſch“ gemeint ſei. Ich meine aber, es ließe ſich immerhin einmal darüber diskutieren, ob die Sache nicht auch einmal eben nicht ſymboliſch gefaßt werden könnte. Der ganze neuere Individualbegriff, der uns jetzt ſo oft in unſerer Debatte beſchäftigt hat, ſcheint mir durchaus auf einen Punkt zuzuſteuern, wo etwas derart mindeſtens möglich würde. Es ließe ſich freilich der Ideengang kaum auf dieſem Rocken weiterſpinnen, es ſei denn, daß die ganze Seelentheorie erſt eine neue Grundlage erhielte auf dem Fleck, wo man bis¬ her Lebend und Tot, Organiſch und Unorganiſch, Mechaniſtiſch und Pſychiſch, Bewußt und Unbewußt, „lebendes“ Körperorgan
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0154"n="138"/>
bildungen ein, bildeſt wieder eine Perſon im Stock, eine Zelle<lb/>
in der Menſchheit und ſo und ſo viel engeren Verbänden<lb/>
innerhalb dieſer Menſchheit. Entwickeln ſich da über deine<lb/>
Perſon weg auch neue Genoſſenſchaftsſeelen, höhere pſychiſche<lb/>
Zuſammenſchlüſſe, die den körperlichen Hand in Hand laufen?<lb/>
Würde jede gemeinſame Handlung von Menſchen-Perſonen der<lb/>
Keim ſein auch zur Entſtehung einer Seele, die ſich über dieſen<lb/>
Perſonen aufthäte, wie deine eigene Seele ſich über den ge¬<lb/>
meinſam arbeitenden Zellſeelchen deines Leibes aufgethan hat?</p><lb/><p>Die ſchlichte Phantaſie des Volkes hat vor Jahrtauſenden<lb/>ſchon dem Baum, der auch ein ſolcher Stock, eine ſolche höhere<lb/>
Genoſſenſchaft aus ſo und ſo viel Einzelperſonen iſt, eine<lb/>
Dryas, eine Baumſeele beigelegt, — und der materialiſtiſche<lb/>
Naturforſcher von heute ſieht, von einer ganz verſchiedenen<lb/>
Ecke aus, doch auch in dem Stock jener Siphonophoren-Quallen,<lb/>
der als ſolcher abſolut einheitliche Handlungen vollführt, wieder<lb/>
eine einheitliche Seele thätig, eine echte Stock- oder Genoſſen¬<lb/>ſchaftsſeele. Bei uns Menſchen ſelber aber <hirendition="#g">reden</hi> wir ſeit<lb/>
Alters von Menſchheitsſeele, von Volksgeiſt, ja wir gebrauchen<lb/>
wie in geheimem Zwang im Tagesleben dieſe ſeeliſchen Be¬<lb/>
zeichnungen geradezu öfter, wenn von unſeren höheren Zu¬<lb/>ſammenſchlüſſen die Rede iſt, als die entſprechenden körperlichen.</p><lb/><p>Wenn wir uns beſinnen, pflegen wir allerdings hinzu zu<lb/>ſetzen, daß das alles nur „ſymboliſch“ gemeint ſei. Ich meine<lb/>
aber, es ließe ſich immerhin einmal darüber diskutieren, ob<lb/>
die Sache nicht auch einmal eben <hirendition="#g">nicht</hi>ſymboliſch gefaßt werden<lb/>
könnte. Der ganze neuere Individualbegriff, der uns jetzt ſo<lb/>
oft in unſerer Debatte beſchäftigt hat, ſcheint mir durchaus auf<lb/>
einen Punkt zuzuſteuern, wo etwas derart mindeſtens möglich<lb/>
würde. Es ließe ſich freilich der Ideengang kaum auf dieſem<lb/>
Rocken weiterſpinnen, es ſei denn, daß die ganze Seelentheorie<lb/>
erſt eine neue Grundlage erhielte auf dem Fleck, wo man bis¬<lb/>
her Lebend und Tot, Organiſch und Unorganiſch, Mechaniſtiſch<lb/>
und Pſychiſch, Bewußt und Unbewußt, „lebendes“ Körperorgan<lb/></p></div></body></text></TEI>
[138/0154]
bildungen ein, bildeſt wieder eine Perſon im Stock, eine Zelle
in der Menſchheit und ſo und ſo viel engeren Verbänden
innerhalb dieſer Menſchheit. Entwickeln ſich da über deine
Perſon weg auch neue Genoſſenſchaftsſeelen, höhere pſychiſche
Zuſammenſchlüſſe, die den körperlichen Hand in Hand laufen?
Würde jede gemeinſame Handlung von Menſchen-Perſonen der
Keim ſein auch zur Entſtehung einer Seele, die ſich über dieſen
Perſonen aufthäte, wie deine eigene Seele ſich über den ge¬
meinſam arbeitenden Zellſeelchen deines Leibes aufgethan hat?
Die ſchlichte Phantaſie des Volkes hat vor Jahrtauſenden
ſchon dem Baum, der auch ein ſolcher Stock, eine ſolche höhere
Genoſſenſchaft aus ſo und ſo viel Einzelperſonen iſt, eine
Dryas, eine Baumſeele beigelegt, — und der materialiſtiſche
Naturforſcher von heute ſieht, von einer ganz verſchiedenen
Ecke aus, doch auch in dem Stock jener Siphonophoren-Quallen,
der als ſolcher abſolut einheitliche Handlungen vollführt, wieder
eine einheitliche Seele thätig, eine echte Stock- oder Genoſſen¬
ſchaftsſeele. Bei uns Menſchen ſelber aber reden wir ſeit
Alters von Menſchheitsſeele, von Volksgeiſt, ja wir gebrauchen
wie in geheimem Zwang im Tagesleben dieſe ſeeliſchen Be¬
zeichnungen geradezu öfter, wenn von unſeren höheren Zu¬
ſammenſchlüſſen die Rede iſt, als die entſprechenden körperlichen.
Wenn wir uns beſinnen, pflegen wir allerdings hinzu zu
ſetzen, daß das alles nur „ſymboliſch“ gemeint ſei. Ich meine
aber, es ließe ſich immerhin einmal darüber diskutieren, ob
die Sache nicht auch einmal eben nicht ſymboliſch gefaßt werden
könnte. Der ganze neuere Individualbegriff, der uns jetzt ſo
oft in unſerer Debatte beſchäftigt hat, ſcheint mir durchaus auf
einen Punkt zuzuſteuern, wo etwas derart mindeſtens möglich
würde. Es ließe ſich freilich der Ideengang kaum auf dieſem
Rocken weiterſpinnen, es ſei denn, daß die ganze Seelentheorie
erſt eine neue Grundlage erhielte auf dem Fleck, wo man bis¬
her Lebend und Tot, Organiſch und Unorganiſch, Mechaniſtiſch
und Pſychiſch, Bewußt und Unbewußt, „lebendes“ Körperorgan
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/154>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.