Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

überdies alle Tage besser. Die Hör- und Seh-Person in
Europa hat jedenfalls innerhalb der Möglichkeit ihre Schuldig¬
keit gethan. Nun kommt umgekehrt die Magen-Person in
Amerika an die Reihe.

Das Kabel, das eben Nervenstrang war, muß jetzt
Magenschlauch werden. Natürlich auch das jetzt bei Leibe nicht
auf die unappetitliche Art, daß es sich als eine transatlantische
Nabelschnur von weit mehr als tausend Kilometer Länge
zwischen dem Verdauungsdarm des Verlegers und dem Darm
des hungrigen Schriftstellers aufthäte, worauf schon verarbeiteter
Nährsaft etwa von einer Austernmahlzeit des einen in den
andern, der wie ein Bandwurm saugte, zum Überströmen käme.
Der Amerikaner berechnet vielmehr einfach den Wert, den das
Hör- und Seh-Telegramm in Worten für ihn hat. Und er
giebt den entsprechenden Nahrungswert zunächst ebenfalls in
Worten zurück. Er telegraphiert auf demselben Kabelwege an
ein Bankhaus in Berlin und weist dem Reporter eine ent¬
sprechende Summe Geldes an. Dieses Geld bedeutet aber
eine neue Sorte schon althergebrachter Sozialeinrichtung der
Kulturmenschheit, abermals eine gewisse Zeichen-Vereinbarung
gleich der Sprache. Indem der Reporter bei der Bank seine
Geldscheine erhebt, bekommt er eine ganz bestimmte Marke in
die Hand, die ihm jeder europäische Restaurateur so und so
oft in ein gutes Diner umwechselt, -- er ist "gefüttert".

Betrachtest du dir die Menschheit um dich her im Lichte
dieses Exempels, das erst das eigentlich Menschliche gegenüber
dem Pflanzlichen und Siphonophorischen festlegt, so kann dir
wohl vollends kein Zweifel bleiben, daß du allenthalben in
einer Welt höherer Individuenbildung auch bei deinen Menschen
lebst. Nicht bloß der Verleger und sein Reporter im Exempel
bilden ein solches höheres Individuum mit Arbeitsteilung.
Du und ich, wie wir uns hier unterhalten, wir bilden eins.
Wie ich hier mit dir rede, habe ich den geheimnisvollen
Siphonophorenstiel zwischen uns errichtet: Luftwellen, Licht¬

überdies alle Tage beſſer. Die Hör- und Seh-Perſon in
Europa hat jedenfalls innerhalb der Möglichkeit ihre Schuldig¬
keit gethan. Nun kommt umgekehrt die Magen-Perſon in
Amerika an die Reihe.

Das Kabel, das eben Nervenſtrang war, muß jetzt
Magenſchlauch werden. Natürlich auch das jetzt bei Leibe nicht
auf die unappetitliche Art, daß es ſich als eine transatlantiſche
Nabelſchnur von weit mehr als tauſend Kilometer Länge
zwiſchen dem Verdauungsdarm des Verlegers und dem Darm
des hungrigen Schriftſtellers aufthäte, worauf ſchon verarbeiteter
Nährſaft etwa von einer Auſternmahlzeit des einen in den
andern, der wie ein Bandwurm ſaugte, zum Überſtrömen käme.
Der Amerikaner berechnet vielmehr einfach den Wert, den das
Hör- und Seh-Telegramm in Worten für ihn hat. Und er
giebt den entſprechenden Nahrungswert zunächſt ebenfalls in
Worten zurück. Er telegraphiert auf demſelben Kabelwege an
ein Bankhaus in Berlin und weiſt dem Reporter eine ent¬
ſprechende Summe Geldes an. Dieſes Geld bedeutet aber
eine neue Sorte ſchon althergebrachter Sozialeinrichtung der
Kulturmenſchheit, abermals eine gewiſſe Zeichen-Vereinbarung
gleich der Sprache. Indem der Reporter bei der Bank ſeine
Geldſcheine erhebt, bekommt er eine ganz beſtimmte Marke in
die Hand, die ihm jeder europäiſche Reſtaurateur ſo und ſo
oft in ein gutes Diner umwechſelt, — er iſt „gefüttert“.

Betrachteſt du dir die Menſchheit um dich her im Lichte
dieſes Exempels, das erſt das eigentlich Menſchliche gegenüber
dem Pflanzlichen und Siphonophoriſchen feſtlegt, ſo kann dir
wohl vollends kein Zweifel bleiben, daß du allenthalben in
einer Welt höherer Individuenbildung auch bei deinen Menſchen
lebſt. Nicht bloß der Verleger und ſein Reporter im Exempel
bilden ein ſolches höheres Individuum mit Arbeitsteilung.
Du und ich, wie wir uns hier unterhalten, wir bilden eins.
Wie ich hier mit dir rede, habe ich den geheimnisvollen
Siphonophorenſtiel zwiſchen uns errichtet: Luftwellen, Licht¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0151" n="135"/>
überdies alle Tage be&#x017F;&#x017F;er. Die Hör- und Seh-Per&#x017F;on in<lb/>
Europa hat jedenfalls innerhalb der Möglichkeit ihre Schuldig¬<lb/>
keit gethan. Nun kommt umgekehrt die Magen-Per&#x017F;on in<lb/>
Amerika an die Reihe.</p><lb/>
        <p>Das Kabel, das eben Nerven&#x017F;trang war, muß jetzt<lb/>
Magen&#x017F;chlauch werden. Natürlich auch das jetzt bei Leibe nicht<lb/>
auf die unappetitliche Art, daß es &#x017F;ich als eine transatlanti&#x017F;che<lb/>
Nabel&#x017F;chnur von weit mehr als tau&#x017F;end Kilometer Länge<lb/>
zwi&#x017F;chen dem Verdauungsdarm des Verlegers und dem Darm<lb/>
des hungrigen Schrift&#x017F;tellers aufthäte, worauf &#x017F;chon verarbeiteter<lb/>
Nähr&#x017F;aft etwa von einer Au&#x017F;ternmahlzeit des einen in den<lb/>
andern, der wie ein Bandwurm &#x017F;augte, zum Über&#x017F;trömen käme.<lb/>
Der Amerikaner berechnet vielmehr einfach den Wert, den das<lb/>
Hör- und Seh-Telegramm in Worten für ihn hat. Und er<lb/>
giebt den ent&#x017F;prechenden Nahrungswert zunäch&#x017F;t ebenfalls in<lb/>
Worten zurück. Er telegraphiert auf dem&#x017F;elben Kabelwege an<lb/>
ein Bankhaus in Berlin und wei&#x017F;t dem Reporter eine ent¬<lb/>
&#x017F;prechende Summe Geldes an. Die&#x017F;es Geld bedeutet aber<lb/>
eine neue Sorte &#x017F;chon althergebrachter Sozialeinrichtung der<lb/>
Kulturmen&#x017F;chheit, abermals eine gewi&#x017F;&#x017F;e Zeichen-Vereinbarung<lb/>
gleich der Sprache. Indem der Reporter bei der Bank &#x017F;eine<lb/>
Geld&#x017F;cheine erhebt, bekommt er eine ganz be&#x017F;timmte Marke in<lb/>
die Hand, die ihm jeder europäi&#x017F;che Re&#x017F;taurateur &#x017F;o und &#x017F;o<lb/>
oft in ein gutes Diner umwech&#x017F;elt, &#x2014; er i&#x017F;t &#x201E;gefüttert&#x201C;.</p><lb/>
        <p>Betrachte&#x017F;t du dir die Men&#x017F;chheit um dich her im Lichte<lb/>
die&#x017F;es Exempels, das er&#x017F;t das eigentlich Men&#x017F;chliche gegenüber<lb/>
dem Pflanzlichen und Siphonophori&#x017F;chen fe&#x017F;tlegt, &#x017F;o kann dir<lb/>
wohl vollends kein Zweifel bleiben, daß du allenthalben in<lb/>
einer Welt höherer Individuenbildung auch bei deinen Men&#x017F;chen<lb/>
leb&#x017F;t. Nicht bloß der Verleger und &#x017F;ein Reporter im Exempel<lb/>
bilden ein &#x017F;olches höheres Individuum mit Arbeitsteilung.<lb/>
Du und ich, wie wir uns hier unterhalten, wir bilden eins.<lb/>
Wie ich hier mit dir rede, habe ich den geheimnisvollen<lb/>
Siphonophoren&#x017F;tiel zwi&#x017F;chen uns errichtet: Luftwellen, Licht¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0151] überdies alle Tage beſſer. Die Hör- und Seh-Perſon in Europa hat jedenfalls innerhalb der Möglichkeit ihre Schuldig¬ keit gethan. Nun kommt umgekehrt die Magen-Perſon in Amerika an die Reihe. Das Kabel, das eben Nervenſtrang war, muß jetzt Magenſchlauch werden. Natürlich auch das jetzt bei Leibe nicht auf die unappetitliche Art, daß es ſich als eine transatlantiſche Nabelſchnur von weit mehr als tauſend Kilometer Länge zwiſchen dem Verdauungsdarm des Verlegers und dem Darm des hungrigen Schriftſtellers aufthäte, worauf ſchon verarbeiteter Nährſaft etwa von einer Auſternmahlzeit des einen in den andern, der wie ein Bandwurm ſaugte, zum Überſtrömen käme. Der Amerikaner berechnet vielmehr einfach den Wert, den das Hör- und Seh-Telegramm in Worten für ihn hat. Und er giebt den entſprechenden Nahrungswert zunächſt ebenfalls in Worten zurück. Er telegraphiert auf demſelben Kabelwege an ein Bankhaus in Berlin und weiſt dem Reporter eine ent¬ ſprechende Summe Geldes an. Dieſes Geld bedeutet aber eine neue Sorte ſchon althergebrachter Sozialeinrichtung der Kulturmenſchheit, abermals eine gewiſſe Zeichen-Vereinbarung gleich der Sprache. Indem der Reporter bei der Bank ſeine Geldſcheine erhebt, bekommt er eine ganz beſtimmte Marke in die Hand, die ihm jeder europäiſche Reſtaurateur ſo und ſo oft in ein gutes Diner umwechſelt, — er iſt „gefüttert“. Betrachteſt du dir die Menſchheit um dich her im Lichte dieſes Exempels, das erſt das eigentlich Menſchliche gegenüber dem Pflanzlichen und Siphonophoriſchen feſtlegt, ſo kann dir wohl vollends kein Zweifel bleiben, daß du allenthalben in einer Welt höherer Individuenbildung auch bei deinen Menſchen lebſt. Nicht bloß der Verleger und ſein Reporter im Exempel bilden ein ſolches höheres Individuum mit Arbeitsteilung. Du und ich, wie wir uns hier unterhalten, wir bilden eins. Wie ich hier mit dir rede, habe ich den geheimnisvollen Siphonophorenſtiel zwiſchen uns errichtet: Luftwellen, Licht¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/151
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/151>, abgerufen am 04.05.2024.