Verleger und Reporter von der guten Länge des transatlan¬ tischen Kabels dürfte eine etwas ungemütliche und nicht gerade erleichternde Lebenszugabe sein! Jeder der Interessenten benützt also das bewußte Kabel nur als ideales Leibesende gerade so lange, als er dem andern etwas zu sagen hat, genau so wie er Feder und Papier nur so lange benutzt. Nach ihm mögen andere Menschenpersonen zu ihren besonderen Genossenschafts-Zwecken den langen Stiel verwerten oder er mag auch zeitweise wieder ganz tot, ohne jede Vermenschlichung durch durchtelegraphierte Sprachzeichen in der Abgrundschwärze seines Ozeans liegen, wo die Tiefsee-Leuchtfische über ihn hin¬ huschen und die Seelilien um ihn wogen.
Doch welches Mittel nun gewählt werde: der Vertrag ist fertig und die eigentliche ergänzende Genossenschaftsleistung der beiden beginnt. Jetzt erst recht kein Zusammenwachsen nach Quallenart. Der Brodherr, der Verleger, bleibt in Amerika ruhig sitzen. Der Reporter aber eilt, als sein Mit-Auge und Mit-Ohr, in Europa an den vereinbarten Fleck. Nachdem er mit den klaren Sinnen seines individuellen Zellleibes genug gesehen und gehört, ohne so lange durch irgend einen Stiel von so und so viel Meilen Ausdehnung und horrendem Metall¬ gewicht in seiner freien einzel-individuellen Beweglichkeit ge¬ hemmt zu sein, -- geht er dann abermals aufs Telegraphen¬ amt. Er setzt das Gesehene und das Gehörte wiederum in jene allgemein vereinbarten Menschheits-Zeichen, die Schrift¬ buchstaben, um und läßt diese Schrift Wort für Wort durch den ungeheuren Kabelstiel als elektrische Wellen nach Amerika "telegraphieren". Dort erhält sie der andere annähernd so gut, wie wenn das Kabel ein echter Nervenstrang in einem einheitlichen Individuum wäre, der vom Ohr und Auge des einen unmittelbar zum Gehirn des andern leitete. Es ist zwar für den Leser drüben noch ein gewisser Phantasieakt nötig, der das Wort wieder in innere Bilder umsetzt, aber darauf ist das Menschengehirn eben schon geschult und die Methoden werden
Verleger und Reporter von der guten Länge des transatlan¬ tiſchen Kabels dürfte eine etwas ungemütliche und nicht gerade erleichternde Lebenszugabe ſein! Jeder der Intereſſenten benützt alſo das bewußte Kabel nur als ideales Leibesende gerade ſo lange, als er dem andern etwas zu ſagen hat, genau ſo wie er Feder und Papier nur ſo lange benutzt. Nach ihm mögen andere Menſchenperſonen zu ihren beſonderen Genoſſenſchafts-Zwecken den langen Stiel verwerten oder er mag auch zeitweiſe wieder ganz tot, ohne jede Vermenſchlichung durch durchtelegraphierte Sprachzeichen in der Abgrundſchwärze ſeines Ozeans liegen, wo die Tiefſee-Leuchtfiſche über ihn hin¬ huſchen und die Seelilien um ihn wogen.
Doch welches Mittel nun gewählt werde: der Vertrag iſt fertig und die eigentliche ergänzende Genoſſenſchaftsleiſtung der beiden beginnt. Jetzt erſt recht kein Zuſammenwachſen nach Quallenart. Der Brodherr, der Verleger, bleibt in Amerika ruhig ſitzen. Der Reporter aber eilt, als ſein Mit-Auge und Mit-Ohr, in Europa an den vereinbarten Fleck. Nachdem er mit den klaren Sinnen ſeines individuellen Zellleibes genug geſehen und gehört, ohne ſo lange durch irgend einen Stiel von ſo und ſo viel Meilen Ausdehnung und horrendem Metall¬ gewicht in ſeiner freien einzel-individuellen Beweglichkeit ge¬ hemmt zu ſein, — geht er dann abermals aufs Telegraphen¬ amt. Er ſetzt das Geſehene und das Gehörte wiederum in jene allgemein vereinbarten Menſchheits-Zeichen, die Schrift¬ buchſtaben, um und läßt dieſe Schrift Wort für Wort durch den ungeheuren Kabelſtiel als elektriſche Wellen nach Amerika „telegraphieren“. Dort erhält ſie der andere annähernd ſo gut, wie wenn das Kabel ein echter Nervenſtrang in einem einheitlichen Individuum wäre, der vom Ohr und Auge des einen unmittelbar zum Gehirn des andern leitete. Es iſt zwar für den Leſer drüben noch ein gewiſſer Phantaſieakt nötig, der das Wort wieder in innere Bilder umſetzt, aber darauf iſt das Menſchengehirn eben ſchon geſchult und die Methoden werden
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Verleger und Reporter von der guten Länge des transatlan¬
tiſchen Kabels dürfte eine etwas ungemütliche und nicht gerade
erleichternde Lebenszugabe ſein! Jeder der Intereſſenten
benützt alſo das bewußte Kabel nur als ideales Leibesende
gerade ſo lange, als er dem andern etwas zu ſagen hat,
genau ſo wie er Feder und Papier nur ſo lange benutzt.
Nach ihm mögen andere Menſchenperſonen zu ihren beſonderen
Genoſſenſchafts-Zwecken den langen Stiel verwerten oder er
mag auch zeitweiſe wieder ganz tot, ohne jede Vermenſchlichung
durch durchtelegraphierte Sprachzeichen in der Abgrundſchwärze
ſeines Ozeans liegen, wo die Tiefſee-Leuchtfiſche über ihn hin¬
huſchen und die Seelilien um ihn wogen.
Doch welches Mittel nun gewählt werde: der Vertrag iſt
fertig und die eigentliche ergänzende Genoſſenſchaftsleiſtung der
beiden beginnt. Jetzt erſt recht kein Zuſammenwachſen nach
Quallenart. Der Brodherr, der Verleger, bleibt in Amerika
ruhig ſitzen. Der Reporter aber eilt, als ſein Mit-Auge und
Mit-Ohr, in Europa an den vereinbarten Fleck. Nachdem er
mit den klaren Sinnen ſeines individuellen Zellleibes genug
geſehen und gehört, ohne ſo lange durch irgend einen Stiel
von ſo und ſo viel Meilen Ausdehnung und horrendem Metall¬
gewicht in ſeiner freien einzel-individuellen Beweglichkeit ge¬
hemmt zu ſein, — geht er dann abermals aufs Telegraphen¬
amt. Er ſetzt das Geſehene und das Gehörte wiederum in
jene allgemein vereinbarten Menſchheits-Zeichen, die Schrift¬
buchſtaben, um und läßt dieſe Schrift Wort für Wort durch
den ungeheuren Kabelſtiel als elektriſche Wellen nach Amerika
„telegraphieren“. Dort erhält ſie der andere annähernd ſo
gut, wie wenn das Kabel ein echter Nervenſtrang in einem
einheitlichen Individuum wäre, der vom Ohr und Auge des
einen unmittelbar zum Gehirn des andern leitete. Es iſt zwar
für den Leſer drüben noch ein gewiſſer Phantaſieakt nötig, der
das Wort wieder in innere Bilder umſetzt, aber darauf iſt das
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/150>, abgerufen am 22.11.2024.
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