träumen ließen, darauf steuern wir in all unseren besten Mo¬ menten bereits bewußt hin: auf den Versuch, sämtliche fünfzehn¬ hundert Millionen Menschen zu einem Stock, einem Baum, einem unermeßlichen erdumspannenden Riff zusammenzukeilen, -- zu dem einen wahren Überindividuum, -- dem Übermenschen "Mensch¬ heit". Christus ist gewissermaßen der große Markstein, auf dem diese oberste Stockbildung zum ersten Mal als Wegweisung bewußt angeschrieben stand. Das Gebot "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" war die allgewaltige Stockparole gegenüber der alten Personenweisheit.
Aber lassen wir diese äußerste, immerhin ja doch auch jetzt noch ideale und so zu sagen hypothetische Sache. Auch ganz abgesehen von dem Menschheits-Begriff ist die gesamte engere Geschichtsüberlieferung des Menschentiers eine einzige große Folge von äußerst anschaulichen Stockbildungen. Alle unsere Begriffe von Dörfern, Städten, Gemeinden, Innungen, Kasten und Ständen, von Gesellschaft und Gesellschaftsschichten, von Staaten, Geschlechtern, Völkern, Nationen im modernsten Sinne, von sozialen Genossenschaften und so weiter und weiter, -- sie fallen sämtlich hierher.
Dabei mußt du allerdings gewisse charakteristische Unter¬ schiede gegen jene Pflanzen-, Korallen- und Siphonophoren- Stöcke nicht außer Acht lassen.
Du bist eben beim Menschen turmhoch über diesen niederen Lebewesen. Der Zug zum Individualisieren, zur Individuen-Bildung, der aus geheimnisvoller Ur-Wurzel durch die ganze Natur heraufkommt, hat aus dir schon auf der Stufe der einzelnen Menschen-Person etwas so Eigenartiges geschaffen, daß darüber hinaus auch nur sehr eigenartige Wege offen bleiben. Schließlich ist es ja der Individualisierungstrieb der Natur selbst, der überall und so also auch bei dir wieder auf noch höheren Zusammenschluß drängt und die Personen mit Gewalt wieder genau so zu höheren Stock-Individuen vereinheitlichen will, wie er tiefer unten die Zellen zu Personen
9
träumen ließen, darauf ſteuern wir in all unſeren beſten Mo¬ menten bereits bewußt hin: auf den Verſuch, ſämtliche fünfzehn¬ hundert Millionen Menſchen zu einem Stock, einem Baum, einem unermeßlichen erdumſpannenden Riff zuſammenzukeilen, — zu dem einen wahren Überindividuum, — dem Übermenſchen „Menſch¬ heit“. Chriſtus iſt gewiſſermaßen der große Markſtein, auf dem dieſe oberſte Stockbildung zum erſten Mal als Wegweiſung bewußt angeſchrieben ſtand. Das Gebot „Liebe deinen Nächſten wie dich ſelbſt“ war die allgewaltige Stockparole gegenüber der alten Perſonenweisheit.
Aber laſſen wir dieſe äußerſte, immerhin ja doch auch jetzt noch ideale und ſo zu ſagen hypothetiſche Sache. Auch ganz abgeſehen von dem Menſchheits-Begriff iſt die geſamte engere Geſchichtsüberlieferung des Menſchentiers eine einzige große Folge von äußerſt anſchaulichen Stockbildungen. Alle unſere Begriffe von Dörfern, Städten, Gemeinden, Innungen, Kaſten und Ständen, von Geſellſchaft und Geſellſchaftsſchichten, von Staaten, Geſchlechtern, Völkern, Nationen im modernſten Sinne, von ſozialen Genoſſenſchaften und ſo weiter und weiter, — ſie fallen ſämtlich hierher.
Dabei mußt du allerdings gewiſſe charakteriſtiſche Unter¬ ſchiede gegen jene Pflanzen-, Korallen- und Siphonophoren- Stöcke nicht außer Acht laſſen.
Du biſt eben beim Menſchen turmhoch über dieſen niederen Lebeweſen. Der Zug zum Individualiſieren, zur Individuen-Bildung, der aus geheimnisvoller Ur-Wurzel durch die ganze Natur heraufkommt, hat aus dir ſchon auf der Stufe der einzelnen Menſchen-Perſon etwas ſo Eigenartiges geſchaffen, daß darüber hinaus auch nur ſehr eigenartige Wege offen bleiben. Schließlich iſt es ja der Individualiſierungstrieb der Natur ſelbſt, der überall und ſo alſo auch bei dir wieder auf noch höheren Zuſammenſchluß drängt und die Perſonen mit Gewalt wieder genau ſo zu höheren Stock-Individuen vereinheitlichen will, wie er tiefer unten die Zellen zu Perſonen
9
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0145"n="129"/>
träumen ließen, darauf ſteuern wir in all unſeren beſten Mo¬<lb/>
menten bereits bewußt hin: auf den Verſuch, ſämtliche fünfzehn¬<lb/>
hundert Millionen Menſchen zu <hirendition="#g">einem</hi> Stock, <hirendition="#g">einem</hi> Baum, <hirendition="#g">einem</hi><lb/>
unermeßlichen erdumſpannenden Riff zuſammenzukeilen, — zu<lb/>
dem einen wahren Überindividuum, — dem Übermenſchen „Menſch¬<lb/>
heit“. Chriſtus iſt gewiſſermaßen der große Markſtein, auf dem<lb/>
dieſe oberſte Stockbildung zum erſten Mal als Wegweiſung bewußt<lb/>
angeſchrieben ſtand. Das Gebot „Liebe deinen Nächſten wie<lb/>
dich ſelbſt“ war die allgewaltige Stockparole gegenüber der<lb/>
alten Perſonenweisheit.</p><lb/><p>Aber laſſen wir dieſe äußerſte, immerhin ja doch auch<lb/>
jetzt noch ideale und ſo zu ſagen hypothetiſche Sache. Auch<lb/>
ganz abgeſehen von dem Menſchheits-Begriff iſt die geſamte<lb/>
engere Geſchichtsüberlieferung des Menſchentiers eine einzige<lb/>
große Folge von äußerſt anſchaulichen Stockbildungen. Alle<lb/>
unſere Begriffe von Dörfern, Städten, Gemeinden, Innungen,<lb/>
Kaſten und Ständen, von Geſellſchaft und Geſellſchaftsſchichten,<lb/>
von Staaten, Geſchlechtern, Völkern, Nationen im modernſten<lb/>
Sinne, von ſozialen Genoſſenſchaften und ſo weiter und weiter,<lb/>—ſie fallen <hirendition="#g">ſämtlich</hi> hierher.</p><lb/><p>Dabei mußt du allerdings gewiſſe charakteriſtiſche Unter¬<lb/>ſchiede gegen jene Pflanzen-, Korallen- und Siphonophoren-<lb/>
Stöcke nicht außer Acht laſſen.</p><lb/><p>Du biſt eben beim Menſchen turmhoch über dieſen<lb/>
niederen Lebeweſen. Der Zug zum Individualiſieren, zur<lb/>
Individuen-Bildung, der aus geheimnisvoller Ur-Wurzel durch<lb/>
die ganze Natur heraufkommt, hat aus dir ſchon auf der<lb/>
Stufe der einzelnen Menſchen-Perſon etwas ſo Eigenartiges<lb/>
geſchaffen, daß darüber hinaus auch nur ſehr eigenartige Wege<lb/>
offen bleiben. Schließlich iſt es ja der Individualiſierungstrieb<lb/>
der Natur ſelbſt, der überall und ſo alſo auch bei dir wieder<lb/>
auf noch höheren Zuſammenſchluß drängt und die Perſonen<lb/>
mit Gewalt wieder genau ſo zu höheren Stock-Individuen<lb/>
vereinheitlichen will, wie er tiefer unten die Zellen zu Perſonen<lb/><fwplace="bottom"type="sig">9<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[129/0145]
träumen ließen, darauf ſteuern wir in all unſeren beſten Mo¬
menten bereits bewußt hin: auf den Verſuch, ſämtliche fünfzehn¬
hundert Millionen Menſchen zu einem Stock, einem Baum, einem
unermeßlichen erdumſpannenden Riff zuſammenzukeilen, — zu
dem einen wahren Überindividuum, — dem Übermenſchen „Menſch¬
heit“. Chriſtus iſt gewiſſermaßen der große Markſtein, auf dem
dieſe oberſte Stockbildung zum erſten Mal als Wegweiſung bewußt
angeſchrieben ſtand. Das Gebot „Liebe deinen Nächſten wie
dich ſelbſt“ war die allgewaltige Stockparole gegenüber der
alten Perſonenweisheit.
Aber laſſen wir dieſe äußerſte, immerhin ja doch auch
jetzt noch ideale und ſo zu ſagen hypothetiſche Sache. Auch
ganz abgeſehen von dem Menſchheits-Begriff iſt die geſamte
engere Geſchichtsüberlieferung des Menſchentiers eine einzige
große Folge von äußerſt anſchaulichen Stockbildungen. Alle
unſere Begriffe von Dörfern, Städten, Gemeinden, Innungen,
Kaſten und Ständen, von Geſellſchaft und Geſellſchaftsſchichten,
von Staaten, Geſchlechtern, Völkern, Nationen im modernſten
Sinne, von ſozialen Genoſſenſchaften und ſo weiter und weiter,
— ſie fallen ſämtlich hierher.
Dabei mußt du allerdings gewiſſe charakteriſtiſche Unter¬
ſchiede gegen jene Pflanzen-, Korallen- und Siphonophoren-
Stöcke nicht außer Acht laſſen.
Du biſt eben beim Menſchen turmhoch über dieſen
niederen Lebeweſen. Der Zug zum Individualiſieren, zur
Individuen-Bildung, der aus geheimnisvoller Ur-Wurzel durch
die ganze Natur heraufkommt, hat aus dir ſchon auf der
Stufe der einzelnen Menſchen-Perſon etwas ſo Eigenartiges
geſchaffen, daß darüber hinaus auch nur ſehr eigenartige Wege
offen bleiben. Schließlich iſt es ja der Individualiſierungstrieb
der Natur ſelbſt, der überall und ſo alſo auch bei dir wieder
auf noch höheren Zuſammenſchluß drängt und die Perſonen
mit Gewalt wieder genau ſo zu höheren Stock-Individuen
vereinheitlichen will, wie er tiefer unten die Zellen zu Perſonen
9
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/145>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.