bestimmt hat. Tief im Schooße eines liebenden Weibes die Ei-Zelle. Aus der Verschmelzung beider erwächst ein Kind. Es lacht dich an mit seinen lichten neuen Augen und greift nach dir mit seinen rosigen Händchen, -- diesem Kinde wirst du doch die Seele nicht absprechen?
Woher aber stammt sie?
Aus jenen zwei vereinigten Zellen, der Samenzelle und Eizelle. Und du entdeckst im Charakter, in der Seele des Kindes Züge von dir. Es muß nicht bloß eine körperliche Zelle, -- es muß Seele von dir eingeströmt sein in dieses Kind beim Zeugungsakt, -- Seele mit jener einzelnen los¬ gelösten Zelle deines Leibes, der Samenzelle. Eine Seele mußte wohnen in diesem Zellchen, eine "Zell-Seele", die, obwohl nur ein unendliches Bruchteilchen deines großen Mannes-Ich, doch eine Note trug von dir, ein geheimstes Erkennungszeichen, das der neuen Kindesseele einen Zug gab von "dir".
Was aber die Samen-Zelle bei dir besitzt, wenn du Mann bist, -- die Ei-Zelle, wenn du Weib bist, -- -- warum soll es nicht jede Zelle deines Leibes besitzen? Jede auch eine Zell-Seele, jede auch einen seelischen Orientierungspunkt, ein "Ich", eine echte geistige Individualität. Aus solchen Zell- Seelen, solchen geistigen Individualitäten setzt sich dann deine ganze Seele, deine geistige Ganz-Individualität genau so zusammen wie dein ganzer Körper, deine körperliche Ganz- Individualität aus den kleinen Zell-Leiblein. Dein "Ich", subjektiv für dich die absolute Einheit, ist vom Standpunkt der kleinen Zellen-Ichs nur eine Klammer, ein Zusammenschluß. In der Klammer liegen die Zell-Seelen, vielleicht noch zu Organ-Seelen vereint, als Millionen subjektiver "Ichs". Die Klammer aber ist abermals ein neues, höheres Ich, -- als "Ich" nicht teilbar, so wenig die Klammer als solche teilbar ist, -- aber objektiv teilbar in dem, was innerhalb der Klammer steht.
beſtimmt hat. Tief im Schooße eines liebenden Weibes die Ei-Zelle. Aus der Verſchmelzung beider erwächſt ein Kind. Es lacht dich an mit ſeinen lichten neuen Augen und greift nach dir mit ſeinen roſigen Händchen, — dieſem Kinde wirſt du doch die Seele nicht abſprechen?
Woher aber ſtammt ſie?
Aus jenen zwei vereinigten Zellen, der Samenzelle und Eizelle. Und du entdeckſt im Charakter, in der Seele des Kindes Züge von dir. Es muß nicht bloß eine körperliche Zelle, — es muß Seele von dir eingeſtrömt ſein in dieſes Kind beim Zeugungsakt, — Seele mit jener einzelnen los¬ gelöſten Zelle deines Leibes, der Samenzelle. Eine Seele mußte wohnen in dieſem Zellchen, eine „Zell-Seele“, die, obwohl nur ein unendliches Bruchteilchen deines großen Mannes-Ich, doch eine Note trug von dir, ein geheimſtes Erkennungszeichen, das der neuen Kindesſeele einen Zug gab von „dir“.
Was aber die Samen-Zelle bei dir beſitzt, wenn du Mann biſt, — die Ei-Zelle, wenn du Weib biſt, — — warum ſoll es nicht jede Zelle deines Leibes beſitzen? Jede auch eine Zell-Seele, jede auch einen ſeeliſchen Orientierungspunkt, ein „Ich“, eine echte geiſtige Individualität. Aus ſolchen Zell- Seelen, ſolchen geiſtigen Individualitäten ſetzt ſich dann deine ganze Seele, deine geiſtige Ganz-Individualität genau ſo zuſammen wie dein ganzer Körper, deine körperliche Ganz- Individualität aus den kleinen Zell-Leiblein. Dein „Ich“, ſubjektiv für dich die abſolute Einheit, iſt vom Standpunkt der kleinen Zellen-Ichs nur eine Klammer, ein Zuſammenſchluß. In der Klammer liegen die Zell-Seelen, vielleicht noch zu Organ-Seelen vereint, als Millionen ſubjektiver „Ichs“. Die Klammer aber iſt abermals ein neues, höheres Ich, — als „Ich“ nicht teilbar, ſo wenig die Klammer als ſolche teilbar iſt, — aber objektiv teilbar in dem, was innerhalb der Klammer ſteht.
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beſtimmt hat. Tief im Schooße eines liebenden Weibes die
Ei-Zelle. Aus der Verſchmelzung beider erwächſt ein Kind.
Es lacht dich an mit ſeinen lichten neuen Augen und greift
nach dir mit ſeinen roſigen Händchen, — dieſem Kinde wirſt
du doch die Seele nicht abſprechen?
Woher aber ſtammt ſie?
Aus jenen zwei vereinigten Zellen, der Samenzelle und
Eizelle. Und du entdeckſt im Charakter, in der Seele des
Kindes Züge von dir. Es muß nicht bloß eine körperliche
Zelle, — es muß Seele von dir eingeſtrömt ſein in dieſes
Kind beim Zeugungsakt, — Seele mit jener einzelnen los¬
gelöſten Zelle deines Leibes, der Samenzelle. Eine Seele
mußte wohnen in dieſem Zellchen, eine „Zell-Seele“, die,
obwohl nur ein unendliches Bruchteilchen deines großen
Mannes-Ich, doch eine Note trug von dir, ein geheimſtes
Erkennungszeichen, das der neuen Kindesſeele einen Zug gab
von „dir“.
Was aber die Samen-Zelle bei dir beſitzt, wenn du Mann
biſt, — die Ei-Zelle, wenn du Weib biſt, — — warum ſoll
es nicht jede Zelle deines Leibes beſitzen? Jede auch eine
Zell-Seele, jede auch einen ſeeliſchen Orientierungspunkt, ein
„Ich“, eine echte geiſtige Individualität. Aus ſolchen Zell-
Seelen, ſolchen geiſtigen Individualitäten ſetzt ſich dann deine
ganze Seele, deine geiſtige Ganz-Individualität genau ſo
zuſammen wie dein ganzer Körper, deine körperliche Ganz-
Individualität aus den kleinen Zell-Leiblein. Dein „Ich“,
ſubjektiv für dich die abſolute Einheit, iſt vom Standpunkt der
kleinen Zellen-Ichs nur eine Klammer, ein Zuſammenſchluß.
In der Klammer liegen die Zell-Seelen, vielleicht noch zu
Organ-Seelen vereint, als Millionen ſubjektiver „Ichs“. Die
Klammer aber iſt abermals ein neues, höheres Ich, — als
„Ich“ nicht teilbar, ſo wenig die Klammer als ſolche teilbar
iſt, — aber objektiv teilbar in dem, was innerhalb der
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/138>, abgerufen am 22.11.2024.
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