Leibes, ausgestreut, noch während deine leibliche und geistige Individualität als Ganzes fest besteht, gleichsam ins "Objektive" hinein. Dir selber entgegentretend wie in geheimnißvoll ver¬ größertem Spiegelbild. Was siehst du? Dich durchdringt ein dumpfer Schauer. Du stehst in einem der ganz großen, ganz weihevollen Momente. Du siehst nicht in ferne Welten, in Doppelsonnen und Milchstraßen. Das hier ist ein Tröpflein von dir selbst. Ein Stücklein deines Ich. Sieh rasch zu. Es entschwindet, trocknet dir ein unter der Hand, es stirbt, roh losgelöst von dir. Aber noch lebt es. Ein weißer Fleck, ein kleines Meer. Und darin sich regend eine Menge winziger Körperchen. Sie zucken, bewegen sich von der Stelle, wimmeln stoßweise durcheinander. Jedes Körperchen ist ein einzelnes "Samentierchen", eine einzelne losgelöste, befreite Zelle deines Leibes. An einer Stelle hat sich dein Zellenverband gelockert, hat so und so viel Einzelzellchen lebend aus sich entlassen. Das war der vortretende Samen. Und hier siehst du als Ganzes jetzt selber diese Zellchen. Sie bewegen sich, leben, jedes für sich. Jedes entspricht in seinen Lebensregungen auch äußerlich einem jener Urwesen, die nie etwas anderes darstellen als eine Zelle überhaupt. Warum soll nicht jedes dieser Samenzellchen auch ein echtes seelisches Individuum sein gleich diesen?
Du erhebst aber den Blick vom Mikroskop. Dein Auge verliert das vergrößerte weiße Tröpflein, das aus deinem Leibe stammt. Und die große Welt taucht dafür vor dir auf. Sterne in unendlichen Weiten des Raumes. Und unendliche Folge der Dinge nacheinander in der Zeit. Sie sterben ja jetzt unter deinem Mikroskop hier, deine Samenzellen des Experiments. Ihre uns erkennbare Bahn ist vollendet mit dieser letzten That, daß sie dich vor eine der größten Offenbarungen über dich selbst gestellt, -- daß sie dich dir selber in deinen individualisierten Teilen zeigten. Aber laß solches Samen¬ tierchen den rechten Ort erreichen, für den es die Natur
Leibes, ausgeſtreut, noch während deine leibliche und geiſtige Individualität als Ganzes feſt beſteht, gleichſam ins „Objektive“ hinein. Dir ſelber entgegentretend wie in geheimnißvoll ver¬ größertem Spiegelbild. Was ſiehſt du? Dich durchdringt ein dumpfer Schauer. Du ſtehſt in einem der ganz großen, ganz weihevollen Momente. Du ſiehſt nicht in ferne Welten, in Doppelſonnen und Milchſtraßen. Das hier iſt ein Tröpflein von dir ſelbſt. Ein Stücklein deines Ich. Sieh raſch zu. Es entſchwindet, trocknet dir ein unter der Hand, es ſtirbt, roh losgelöſt von dir. Aber noch lebt es. Ein weißer Fleck, ein kleines Meer. Und darin ſich regend eine Menge winziger Körperchen. Sie zucken, bewegen ſich von der Stelle, wimmeln ſtoßweiſe durcheinander. Jedes Körperchen iſt ein einzelnes „Samentierchen“, eine einzelne losgelöſte, befreite Zelle deines Leibes. An einer Stelle hat ſich dein Zellenverband gelockert, hat ſo und ſo viel Einzelzellchen lebend aus ſich entlaſſen. Das war der vortretende Samen. Und hier ſiehſt du als Ganzes jetzt ſelber dieſe Zellchen. Sie bewegen ſich, leben, jedes für ſich. Jedes entſpricht in ſeinen Lebensregungen auch äußerlich einem jener Urweſen, die nie etwas anderes darſtellen als eine Zelle überhaupt. Warum ſoll nicht jedes dieſer Samenzellchen auch ein echtes ſeeliſches Individuum ſein gleich dieſen?
Du erhebſt aber den Blick vom Mikroſkop. Dein Auge verliert das vergrößerte weiße Tröpflein, das aus deinem Leibe ſtammt. Und die große Welt taucht dafür vor dir auf. Sterne in unendlichen Weiten des Raumes. Und unendliche Folge der Dinge nacheinander in der Zeit. Sie ſterben ja jetzt unter deinem Mikroſkop hier, deine Samenzellen des Experiments. Ihre uns erkennbare Bahn iſt vollendet mit dieſer letzten That, daß ſie dich vor eine der größten Offenbarungen über dich ſelbſt geſtellt, — daß ſie dich dir ſelber in deinen individualiſierten Teilen zeigten. Aber laß ſolches Samen¬ tierchen den rechten Ort erreichen, für den es die Natur
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Leibes, ausgeſtreut, noch während deine leibliche und geiſtige
Individualität als Ganzes feſt beſteht, gleichſam ins „Objektive“
hinein. Dir ſelber entgegentretend wie in geheimnißvoll ver¬
größertem Spiegelbild. Was ſiehſt du? Dich durchdringt ein
dumpfer Schauer. Du ſtehſt in einem der ganz großen, ganz
weihevollen Momente. Du ſiehſt nicht in ferne Welten, in
Doppelſonnen und Milchſtraßen. Das hier iſt ein Tröpflein
von dir ſelbſt. Ein Stücklein deines Ich. Sieh raſch zu.
Es entſchwindet, trocknet dir ein unter der Hand, es ſtirbt,
roh losgelöſt von dir. Aber noch lebt es. Ein weißer Fleck,
ein kleines Meer. Und darin ſich regend eine Menge winziger
Körperchen. Sie zucken, bewegen ſich von der Stelle, wimmeln
ſtoßweiſe durcheinander. Jedes Körperchen iſt ein einzelnes
„Samentierchen“, eine einzelne losgelöſte, befreite Zelle deines
Leibes. An einer Stelle hat ſich dein Zellenverband gelockert,
hat ſo und ſo viel Einzelzellchen lebend aus ſich entlaſſen.
Das war der vortretende Samen. Und hier ſiehſt du als
Ganzes jetzt ſelber dieſe Zellchen. Sie bewegen ſich, leben,
jedes für ſich. Jedes entſpricht in ſeinen Lebensregungen auch
äußerlich einem jener Urweſen, die nie etwas anderes darſtellen
als eine Zelle überhaupt. Warum ſoll nicht jedes dieſer
Samenzellchen auch ein echtes ſeeliſches Individuum ſein
gleich dieſen?
Du erhebſt aber den Blick vom Mikroſkop. Dein Auge
verliert das vergrößerte weiße Tröpflein, das aus deinem Leibe
ſtammt. Und die große Welt taucht dafür vor dir auf.
Sterne in unendlichen Weiten des Raumes. Und unendliche
Folge der Dinge nacheinander in der Zeit. Sie ſterben ja
jetzt unter deinem Mikroſkop hier, deine Samenzellen des
Experiments. Ihre uns erkennbare Bahn iſt vollendet mit dieſer
letzten That, daß ſie dich vor eine der größten Offenbarungen
über dich ſelbſt geſtellt, — daß ſie dich dir ſelber in deinen
individualiſierten Teilen zeigten. Aber laß ſolches Samen¬
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/137>, abgerufen am 22.11.2024.
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