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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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nur halb. Karges Los. Aus wenigen Anzeichen müssen wir
den Glauben an das Ganze schöpfen, unseren Trost der Welt.
Aber ist die Liebe nicht das stärkste aller Zeichen, so weit
unser Wissen reicht? Aus der Liebe stieg nicht nur die Ent¬
wickelung. Mit ihr kam auch in dieser Entwickelung der erste
zage Friedenshauch. Das erste Singen und Summen wie
traumverlorener Klang von einer Überwindung des rauhen
Existenzkampfes durch ein mächtigeres harmonisches Prinzip.
Was wissen wir auf winzigem Einzelstern unter Millionen
von Weltversöhnung, Welterlösung, vollkommenem Weltenglück!
Und doch blüht in der Menschenliebe dieses kleinen Sternes
eine Blume auf, so süß und schön, daß sich der "Weltenfriede"
auf unsere Lippe drängt. So greift die Liebe in unser
Bitterstes: den Kampf.

Aber mehr. Es war der alte Traum des Glaubens:
nicht nur den Kampf zu lösen, sondern auch den Tod. Liebe,
die wirkliche, nicht die mystisch dunkle, in der Natur lehrt uns
einzig und allein, wie über das starre Individuum Zusammen¬
schlüsse greifen, Zusammenschlüsse, in denen das Individuum
allerdings auch wie aus strengem Bande sich langsam löst,
doch nicht mit der Bitterkeit des Todes, sondern in eine
höhere, seligere Einheit hinein. Mann und Weib, Eltern und
Kind, Mensch in Menschheit, Blut in Geist, Geist in Ideal,
in überströmenden Weltentraum. Liebe ist die einzige frei¬
willige Auflösung des Individuums, der schmerzlose, unsäglich
selige Tod, den jede Kreatur in unendlicher brennender Sehn¬
sucht sucht ..... Steigen dir hier nicht Geisterhände über
Geisterhände auf, die auf ein tiefes Geheimnis deuten --
nicht auf ein Geheimnis jenseits aller Wirklichkeitsdinge, son¬
dern gerade innerhalb der greifbarsten Natur? Ein Ge¬
heimnis, vielleicht einmal stark genug, unsere Enkel lächeln
Zu lassen über alle Todesfurcht, auch ohne daß der alte
Glaube mit seinen Träumen wiederkehrt? Gewiß: es scheint,
daß aus unserem natürlichen Entwickelungsbilde der Welt --

nur halb. Karges Los. Aus wenigen Anzeichen müſſen wir
den Glauben an das Ganze ſchöpfen, unſeren Troſt der Welt.
Aber iſt die Liebe nicht das ſtärkſte aller Zeichen, ſo weit
unſer Wiſſen reicht? Aus der Liebe ſtieg nicht nur die Ent¬
wickelung. Mit ihr kam auch in dieſer Entwickelung der erſte
zage Friedenshauch. Das erſte Singen und Summen wie
traumverlorener Klang von einer Überwindung des rauhen
Exiſtenzkampfes durch ein mächtigeres harmoniſches Prinzip.
Was wiſſen wir auf winzigem Einzelſtern unter Millionen
von Weltverſöhnung, Welterlöſung, vollkommenem Weltenglück!
Und doch blüht in der Menſchenliebe dieſes kleinen Sternes
eine Blume auf, ſo ſüß und ſchön, daß ſich der „Weltenfriede“
auf unſere Lippe drängt. So greift die Liebe in unſer
Bitterſtes: den Kampf.

Aber mehr. Es war der alte Traum des Glaubens:
nicht nur den Kampf zu löſen, ſondern auch den Tod. Liebe,
die wirkliche, nicht die myſtiſch dunkle, in der Natur lehrt uns
einzig und allein, wie über das ſtarre Individuum Zuſammen¬
ſchlüſſe greifen, Zuſammenſchlüſſe, in denen das Individuum
allerdings auch wie aus ſtrengem Bande ſich langſam löſt,
doch nicht mit der Bitterkeit des Todes, ſondern in eine
höhere, ſeligere Einheit hinein. Mann und Weib, Eltern und
Kind, Menſch in Menſchheit, Blut in Geiſt, Geiſt in Ideal,
in überſtrömenden Weltentraum. Liebe iſt die einzige frei¬
willige Auflöſung des Individuums, der ſchmerzloſe, unſäglich
ſelige Tod, den jede Kreatur in unendlicher brennender Sehn¬
ſucht ſucht ..... Steigen dir hier nicht Geiſterhände über
Geiſterhände auf, die auf ein tiefes Geheimnis deuten —
nicht auf ein Geheimnis jenſeits aller Wirklichkeitsdinge, ſon¬
dern gerade innerhalb der greifbarſten Natur? Ein Ge¬
heimnis, vielleicht einmal ſtark genug, unſere Enkel lächeln
Zu laſſen über alle Todesfurcht, auch ohne daß der alte
Glaube mit ſeinen Träumen wiederkehrt? Gewiß: es ſcheint,
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[38/0054] nur halb. Karges Los. Aus wenigen Anzeichen müſſen wir den Glauben an das Ganze ſchöpfen, unſeren Troſt der Welt. Aber iſt die Liebe nicht das ſtärkſte aller Zeichen, ſo weit unſer Wiſſen reicht? Aus der Liebe ſtieg nicht nur die Ent¬ wickelung. Mit ihr kam auch in dieſer Entwickelung der erſte zage Friedenshauch. Das erſte Singen und Summen wie traumverlorener Klang von einer Überwindung des rauhen Exiſtenzkampfes durch ein mächtigeres harmoniſches Prinzip. Was wiſſen wir auf winzigem Einzelſtern unter Millionen von Weltverſöhnung, Welterlöſung, vollkommenem Weltenglück! Und doch blüht in der Menſchenliebe dieſes kleinen Sternes eine Blume auf, ſo ſüß und ſchön, daß ſich der „Weltenfriede“ auf unſere Lippe drängt. So greift die Liebe in unſer Bitterſtes: den Kampf. Aber mehr. Es war der alte Traum des Glaubens: nicht nur den Kampf zu löſen, ſondern auch den Tod. Liebe, die wirkliche, nicht die myſtiſch dunkle, in der Natur lehrt uns einzig und allein, wie über das ſtarre Individuum Zuſammen¬ ſchlüſſe greifen, Zuſammenſchlüſſe, in denen das Individuum allerdings auch wie aus ſtrengem Bande ſich langſam löſt, doch nicht mit der Bitterkeit des Todes, ſondern in eine höhere, ſeligere Einheit hinein. Mann und Weib, Eltern und Kind, Menſch in Menſchheit, Blut in Geiſt, Geiſt in Ideal, in überſtrömenden Weltentraum. Liebe iſt die einzige frei¬ willige Auflöſung des Individuums, der ſchmerzloſe, unſäglich ſelige Tod, den jede Kreatur in unendlicher brennender Sehn¬ ſucht ſucht ..... Steigen dir hier nicht Geiſterhände über Geiſterhände auf, die auf ein tiefes Geheimnis deuten — nicht auf ein Geheimnis jenſeits aller Wirklichkeitsdinge, ſon¬ dern gerade innerhalb der greifbarſten Natur? Ein Ge¬ heimnis, vielleicht einmal ſtark genug, unſere Enkel lächeln Zu laſſen über alle Todesfurcht, auch ohne daß der alte Glaube mit ſeinen Träumen wiederkehrt? Gewiß: es ſcheint, daß aus unſerem natürlichen Entwickelungsbilde der Welt —

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/54>, abgerufen am 22.11.2024.