Ungeheuerliche. Die Vestalinnen sollen sich in einer Kette von Generationen zunächst immer wiederholen, damit die Neu¬ entstehung von befruchtungsfähigen Neuköniginnen möglichst über die drohnenlose Herbst- und Winterszeit hinaus verzettelt werde bis in den Frühling. Da die "Königin" auch für die Jungfernzeugung (also Männerproduktion) genügt, soll auch diese bei den Vestalinnen als Regel eingehen und nur für den Notfall als latente "Kraft" bestehen bleiben. Das Schicksal der Männer im Stamme soll sich endlich auch nach bestimmten Prinzip regeln: sie sollen, anstatt sonst ruhmlos im Weiten sich zu verlieren, noch eine Weile das Gnadenbrot behalten, um allerdings dann um so schonungsloser der Vernichtung in öffent¬ licher Metzelei zu verfallen. Eines Tages hast du den Bienen¬ staat. Nun laß den Menschen noch gute Häuslein bieten .....
du bist am Ziel.
Bliebe die zweite Frage. Es ist ein interessanter Fall, ganz gewiß, dieser mit der Biene. Aber nun fragt sich: steckte hier wirklich ein Fortschrittsprinzip? Unwillkürlich wird man verführt zu glauben, hier müsse ein wirklicher großer Fort¬ schritt liegen, weil eine so große soziale Einigung auf den ersten Blick sich aufdrängt.
Es ist keine Einigung nach dem alten Siphonophoren¬ prinzip. Du erinnerst dich: die Quallen, die wie ein Ratten¬ könig zu einer Art Übertier verwuchsen. Ich ging damals nicht weiter darauf ein, dieses siphonophorische Übertier zu kritisieren. Es war gebaut auf völlige Arbeitsteilung. Ganze Tierindividuen wurden wieder zu "Organen", -- diese zu Mägen mit Mäulern, jene zu Schwimmglocken und so weiter. In der ganzen höheren Tierwelt oberhalb der Würmer ist etwas derartiges nun nicht möglich geworden. Das muß seinen guten Grund gehabt haben. Und man sieht ihn leicht genug. Er liegt in der zunehmenden Individualisierung. Je fester die Individuen, desto schwerer, ja schließlich unmöglich diese Art der sozialen Einigung durch körperliches Zusammenwachsen.
Ungeheuerliche. Die Veſtalinnen ſollen ſich in einer Kette von Generationen zunächſt immer wiederholen, damit die Neu¬ entſtehung von befruchtungsfähigen Neuköniginnen möglichſt über die drohnenloſe Herbſt- und Winterszeit hinaus verzettelt werde bis in den Frühling. Da die „Königin“ auch für die Jungfernzeugung (alſo Männerproduktion) genügt, ſoll auch dieſe bei den Veſtalinnen als Regel eingehen und nur für den Notfall als latente „Kraft“ beſtehen bleiben. Das Schickſal der Männer im Stamme ſoll ſich endlich auch nach beſtimmten Prinzip regeln: ſie ſollen, anſtatt ſonſt ruhmlos im Weiten ſich zu verlieren, noch eine Weile das Gnadenbrot behalten, um allerdings dann um ſo ſchonungsloſer der Vernichtung in öffent¬ licher Metzelei zu verfallen. Eines Tages haſt du den Bienen¬ ſtaat. Nun laß den Menſchen noch gute Häuslein bieten .....
du biſt am Ziel.
Bliebe die zweite Frage. Es iſt ein intereſſanter Fall, ganz gewiß, dieſer mit der Biene. Aber nun fragt ſich: ſteckte hier wirklich ein Fortſchrittsprinzip? Unwillkürlich wird man verführt zu glauben, hier müſſe ein wirklicher großer Fort¬ ſchritt liegen, weil eine ſo große ſoziale Einigung auf den erſten Blick ſich aufdrängt.
Es iſt keine Einigung nach dem alten Siphonophoren¬ prinzip. Du erinnerſt dich: die Quallen, die wie ein Ratten¬ könig zu einer Art Übertier verwuchſen. Ich ging damals nicht weiter darauf ein, dieſes ſiphonophoriſche Übertier zu kritiſieren. Es war gebaut auf völlige Arbeitsteilung. Ganze Tierindividuen wurden wieder zu „Organen“, — dieſe zu Mägen mit Mäulern, jene zu Schwimmglocken und ſo weiter. In der ganzen höheren Tierwelt oberhalb der Würmer iſt etwas derartiges nun nicht möglich geworden. Das muß ſeinen guten Grund gehabt haben. Und man ſieht ihn leicht genug. Er liegt in der zunehmenden Individualiſierung. Je feſter die Individuen, deſto ſchwerer, ja ſchließlich unmöglich dieſe Art der ſozialen Einigung durch körperliches Zuſammenwachſen.
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Ungeheuerliche. Die Veſtalinnen ſollen ſich in einer Kette von
Generationen zunächſt immer wiederholen, damit die Neu¬
entſtehung von befruchtungsfähigen Neuköniginnen möglichſt
über die drohnenloſe Herbſt- und Winterszeit hinaus verzettelt
werde bis in den Frühling. Da die „Königin“ auch für die
Jungfernzeugung (alſo Männerproduktion) genügt, ſoll auch
dieſe bei den Veſtalinnen als Regel eingehen und nur für den
Notfall als latente „Kraft“ beſtehen bleiben. Das Schickſal
der Männer im Stamme ſoll ſich endlich auch nach beſtimmten
Prinzip regeln: ſie ſollen, anſtatt ſonſt ruhmlos im Weiten ſich
zu verlieren, noch eine Weile das Gnadenbrot behalten, um
allerdings dann um ſo ſchonungsloſer der Vernichtung in öffent¬
licher Metzelei zu verfallen. Eines Tages haſt du den Bienen¬
ſtaat. Nun laß den Menſchen noch gute Häuslein bieten .....
du biſt am Ziel.
Bliebe die zweite Frage. Es iſt ein intereſſanter Fall,
ganz gewiß, dieſer mit der Biene. Aber nun fragt ſich: ſteckte
hier wirklich ein Fortſchrittsprinzip? Unwillkürlich wird man
verführt zu glauben, hier müſſe ein wirklicher großer Fort¬
ſchritt liegen, weil eine ſo große ſoziale Einigung auf den
erſten Blick ſich aufdrängt.
Es iſt keine Einigung nach dem alten Siphonophoren¬
prinzip. Du erinnerſt dich: die Quallen, die wie ein Ratten¬
könig zu einer Art Übertier verwuchſen. Ich ging damals
nicht weiter darauf ein, dieſes ſiphonophoriſche Übertier zu
kritiſieren. Es war gebaut auf völlige Arbeitsteilung. Ganze
Tierindividuen wurden wieder zu „Organen“, — dieſe zu
Mägen mit Mäulern, jene zu Schwimmglocken und ſo weiter.
In der ganzen höheren Tierwelt oberhalb der Würmer iſt
etwas derartiges nun nicht möglich geworden. Das muß ſeinen
guten Grund gehabt haben. Und man ſieht ihn leicht genug.
Er liegt in der zunehmenden Individualiſierung. Je feſter die
Individuen, deſto ſchwerer, ja ſchließlich unmöglich dieſe Art
der ſozialen Einigung durch körperliches Zuſammenwachſen.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/413>, abgerufen am 27.11.2024.
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