überlebenden Samentierchen vom vorigen Jahr, die nach wie vor in ihrer Samentasche eines eigenen Fortlebens sich er¬ freuen, das noch die Erzeugung zahlloser weiterer Vestalinnen und Königinnen zu garantieren scheint. Was sich allerdings in der That erfüllt, ist der erste Teil deiner logischen Schlußkette. Nur daß er sich in Anbetracht vergnügten Weiterlebens der Königin-Mutter unter etwas revolutionären Formen recht ge¬ waltsam gestalten muß.
Das geht doch nicht an: zwei Königinnen im Staat mit voller Zeugethätigkeit. Die Zahl der Vestalinnen müßte damit alsbald ins ungeheuerliche wachsen und überhaupt in allem ein embarras de richesse an Mutterschaftsdingen entstehen, der jegliche Ordnung störte. Schon jetzt, mit den neuesten gehäuften Frühlingserfolgen der alten Königin, ist der Stock ja übervoll. Was ist zu machen: es muß halt eine Teilung erfolgen, -- eine Teilung des ganzen Personals in zwei Stämme, von denen nur einer am Platze bleiben kann, der andere aber aus¬ wandern muß! Jeder Stamm, versteht sich, mit einer Königin, -- dieser mit der alten, jener mit der neuen. Wie die alten italischen Stämme in schwerer Zeit eine ganze Generation reifender Jünglinge und Jungfrauen als "Weihefrühling" (ver sacrum) frei in die Hand der Götter gaben, indem sie sie einfach zum Auswandern zwangen, -- so muß auch hier einer der beiden Spaltungsschwärme als Weihefrühling ins Ungewisse des Exils zu neuer Heimatssuche gehen. Alter Brauch in der weisen Bienenwelt ist nur, daß das verständige ältere Geschlecht sich dazu zunächst versteht, nicht das unreife, junge.
Eines Tages ist die Larvenzeit der jungen Königin in ihrer Königswiege zu Ende. Aus der noch verschlossenen Wiege schallt ein seltsam tütender Ton. Das ist das Signal. Um die alte Königin sammelt sich ein Stamm von zehn- bis fünf¬ zehntausend Vestalinnen, und dann geht's auf und davon. Der "Hauptschwarm" verläßt den Korb, wie der Bienenzüchter sagt. Willig läßt er sich vom Imker einfangen und in ein neues Haus
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überlebenden Samentierchen vom vorigen Jahr, die nach wie vor in ihrer Samentaſche eines eigenen Fortlebens ſich er¬ freuen, das noch die Erzeugung zahlloſer weiterer Veſtalinnen und Königinnen zu garantieren ſcheint. Was ſich allerdings in der That erfüllt, iſt der erſte Teil deiner logiſchen Schlußkette. Nur daß er ſich in Anbetracht vergnügten Weiterlebens der Königin-Mutter unter etwas revolutionären Formen recht ge¬ waltſam geſtalten muß.
Das geht doch nicht an: zwei Königinnen im Staat mit voller Zeugethätigkeit. Die Zahl der Veſtalinnen müßte damit alsbald ins ungeheuerliche wachſen und überhaupt in allem ein embarras de richesse an Mutterſchaftsdingen entſtehen, der jegliche Ordnung ſtörte. Schon jetzt, mit den neueſten gehäuften Frühlingserfolgen der alten Königin, iſt der Stock ja übervoll. Was iſt zu machen: es muß halt eine Teilung erfolgen, — eine Teilung des ganzen Perſonals in zwei Stämme, von denen nur einer am Platze bleiben kann, der andere aber aus¬ wandern muß! Jeder Stamm, verſteht ſich, mit einer Königin, — dieſer mit der alten, jener mit der neuen. Wie die alten italiſchen Stämme in ſchwerer Zeit eine ganze Generation reifender Jünglinge und Jungfrauen als „Weihefrühling“ (ver sacrum) frei in die Hand der Götter gaben, indem ſie ſie einfach zum Auswandern zwangen, — ſo muß auch hier einer der beiden Spaltungsſchwärme als Weihefrühling ins Ungewiſſe des Exils zu neuer Heimatsſuche gehen. Alter Brauch in der weiſen Bienenwelt iſt nur, daß das verſtändige ältere Geſchlecht ſich dazu zunächſt verſteht, nicht das unreife, junge.
Eines Tages iſt die Larvenzeit der jungen Königin in ihrer Königswiege zu Ende. Aus der noch verſchloſſenen Wiege ſchallt ein ſeltſam tütender Ton. Das iſt das Signal. Um die alte Königin ſammelt ſich ein Stamm von zehn- bis fünf¬ zehntauſend Veſtalinnen, und dann geht's auf und davon. Der „Hauptſchwarm“ verläßt den Korb, wie der Bienenzüchter ſagt. Willig läßt er ſich vom Imker einfangen und in ein neues Haus
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überlebenden Samentierchen vom vorigen Jahr, die nach wie
vor in ihrer Samentaſche eines eigenen Fortlebens ſich er¬
freuen, das noch die Erzeugung zahlloſer weiterer Veſtalinnen
und Königinnen zu garantieren ſcheint. Was ſich allerdings in
der That erfüllt, iſt der erſte Teil deiner logiſchen Schlußkette.
Nur daß er ſich in Anbetracht vergnügten Weiterlebens der
Königin-Mutter unter etwas revolutionären Formen recht ge¬
waltſam geſtalten muß.
Das geht doch nicht an: zwei Königinnen im Staat mit
voller Zeugethätigkeit. Die Zahl der Veſtalinnen müßte damit
alsbald ins ungeheuerliche wachſen und überhaupt in allem
ein embarras de richesse an Mutterſchaftsdingen entſtehen, der
jegliche Ordnung ſtörte. Schon jetzt, mit den neueſten gehäuften
Frühlingserfolgen der alten Königin, iſt der Stock ja übervoll.
Was iſt zu machen: es muß halt eine Teilung erfolgen, —
eine Teilung des ganzen Perſonals in zwei Stämme, von
denen nur einer am Platze bleiben kann, der andere aber aus¬
wandern muß! Jeder Stamm, verſteht ſich, mit einer Königin,
— dieſer mit der alten, jener mit der neuen. Wie die alten
italiſchen Stämme in ſchwerer Zeit eine ganze Generation reifender
Jünglinge und Jungfrauen als „Weihefrühling“ (ver sacrum)
frei in die Hand der Götter gaben, indem ſie ſie einfach zum
Auswandern zwangen, — ſo muß auch hier einer der beiden
Spaltungsſchwärme als Weihefrühling ins Ungewiſſe des Exils
zu neuer Heimatsſuche gehen. Alter Brauch in der weiſen
Bienenwelt iſt nur, daß das verſtändige ältere Geſchlecht ſich
dazu zunächſt verſteht, nicht das unreife, junge.
Eines Tages iſt die Larvenzeit der jungen Königin in
ihrer Königswiege zu Ende. Aus der noch verſchloſſenen Wiege
ſchallt ein ſeltſam tütender Ton. Das iſt das Signal. Um
die alte Königin ſammelt ſich ein Stamm von zehn- bis fünf¬
zehntauſend Veſtalinnen, und dann geht's auf und davon. Der
„Hauptſchwarm“ verläßt den Korb, wie der Bienenzüchter ſagt.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/403>, abgerufen am 22.11.2024.
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