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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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mertem Eierstock, begattungsfähigem Scheideneingang und nor¬
maler Samentasche. Diese Thatsache, ist, wie du begreifst,
von höchster Tragweite für die Beurteilung des ganzen
Wunders dieser Bienenfamilie überhaupt! Sofort siehst du
aber zunächst damit das oben gestellte Rätsel gelöst: warum
aus befruchteten Weibeseiern Vestalinnen und nicht wieder ge¬
schlechtsreife Weiber wurden.

Thatsächlich gab und giebt jedes befruchtete Ei der Königin
in der Anlage wieder ein echtes, normales Weib. Je nach
der Fütterung in der Kindheit verkümmert aber dieses Weib
schon früh zur Vestalin -- oder es reift wirklich aus zur
Königin.

Mit anderen Worten: die Vestalin ist als solche streng¬
genommen ein Kunstprodukt, erzwungen erst nachträglich durch
mangelhafte Ernährung. Den ganzen vorigen Sommer hin¬
durch haben die Vestalinnen des Stockes in ihrer Eigenschaft
als Kindermädchen immer nur wieder Vestalinnen absichtlich
entstehen lassen. Und jetzt zum erstenmal sind sie ebenso ab¬
sichtlich von ihrem Prinzip abgewichen und haben durch schein¬
bar "bessere", das heißt offenbar zum erstenmal überhaupt
normale Päppelung eines Kleinen eine "Königin" zum Aus¬
wachsen gebracht.

Das Faktum steht dabei absolut fest. Du kannst eine noch
ganz kleine Päppelmade der Königinwiege mit einem anderen
Kleinen in einer beliebigen Vestalinnenwiege vertauschen: un¬
abänderlich wird das Junge in der vornehmen Wiege bei seiner
Normalkost Königin, das andere mit seiner Arbeiterbettelkost
Vestalin. Ja noch mehr. Gesetzt, der Stock verliert die Königin
durch jähen Todesfall im Frühjahr, noch ehe Königswiegen
erbaut und belegt sind. Dann wird einfach eine beliebige
junge, schon zur Vestalin bestimmte Made nachträglich mit
Luxuskost zur Königin aufgepäppelt. Und diese Sache gar ist
noch extremer beobachtet worden. Gesetzt die Königin stirbt
und es ist zur Zeit im ganzen Stock auch keine aufpäppelbare

mertem Eierſtock, begattungsfähigem Scheideneingang und nor¬
maler Samentaſche. Dieſe Thatſache, iſt, wie du begreifſt,
von höchſter Tragweite für die Beurteilung des ganzen
Wunders dieſer Bienenfamilie überhaupt! Sofort ſiehſt du
aber zunächſt damit das oben geſtellte Rätſel gelöſt: warum
aus befruchteten Weibeseiern Veſtalinnen und nicht wieder ge¬
ſchlechtsreife Weiber wurden.

Thatſächlich gab und giebt jedes befruchtete Ei der Königin
in der Anlage wieder ein echtes, normales Weib. Je nach
der Fütterung in der Kindheit verkümmert aber dieſes Weib
ſchon früh zur Veſtalin — oder es reift wirklich aus zur
Königin.

Mit anderen Worten: die Veſtalin iſt als ſolche ſtreng¬
genommen ein Kunſtprodukt, erzwungen erſt nachträglich durch
mangelhafte Ernährung. Den ganzen vorigen Sommer hin¬
durch haben die Veſtalinnen des Stockes in ihrer Eigenſchaft
als Kindermädchen immer nur wieder Veſtalinnen abſichtlich
entſtehen laſſen. Und jetzt zum erſtenmal ſind ſie ebenſo ab¬
ſichtlich von ihrem Prinzip abgewichen und haben durch ſchein¬
bar „beſſere“, das heißt offenbar zum erſtenmal überhaupt
normale Päppelung eines Kleinen eine „Königin“ zum Aus¬
wachſen gebracht.

Das Faktum ſteht dabei abſolut feſt. Du kannſt eine noch
ganz kleine Päppelmade der Königinwiege mit einem anderen
Kleinen in einer beliebigen Veſtalinnenwiege vertauſchen: un¬
abänderlich wird das Junge in der vornehmen Wiege bei ſeiner
Normalkoſt Königin, das andere mit ſeiner Arbeiterbettelkoſt
Veſtalin. Ja noch mehr. Geſetzt, der Stock verliert die Königin
durch jähen Todesfall im Frühjahr, noch ehe Königswiegen
erbaut und belegt ſind. Dann wird einfach eine beliebige
junge, ſchon zur Veſtalin beſtimmte Made nachträglich mit
Luxuskoſt zur Königin aufgepäppelt. Und dieſe Sache gar iſt
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[384/0400] mertem Eierſtock, begattungsfähigem Scheideneingang und nor¬ maler Samentaſche. Dieſe Thatſache, iſt, wie du begreifſt, von höchſter Tragweite für die Beurteilung des ganzen Wunders dieſer Bienenfamilie überhaupt! Sofort ſiehſt du aber zunächſt damit das oben geſtellte Rätſel gelöſt: warum aus befruchteten Weibeseiern Veſtalinnen und nicht wieder ge¬ ſchlechtsreife Weiber wurden. Thatſächlich gab und giebt jedes befruchtete Ei der Königin in der Anlage wieder ein echtes, normales Weib. Je nach der Fütterung in der Kindheit verkümmert aber dieſes Weib ſchon früh zur Veſtalin — oder es reift wirklich aus zur Königin. Mit anderen Worten: die Veſtalin iſt als ſolche ſtreng¬ genommen ein Kunſtprodukt, erzwungen erſt nachträglich durch mangelhafte Ernährung. Den ganzen vorigen Sommer hin¬ durch haben die Veſtalinnen des Stockes in ihrer Eigenſchaft als Kindermädchen immer nur wieder Veſtalinnen abſichtlich entſtehen laſſen. Und jetzt zum erſtenmal ſind ſie ebenſo ab¬ ſichtlich von ihrem Prinzip abgewichen und haben durch ſchein¬ bar „beſſere“, das heißt offenbar zum erſtenmal überhaupt normale Päppelung eines Kleinen eine „Königin“ zum Aus¬ wachſen gebracht. Das Faktum ſteht dabei abſolut feſt. Du kannſt eine noch ganz kleine Päppelmade der Königinwiege mit einem anderen Kleinen in einer beliebigen Veſtalinnenwiege vertauſchen: un¬ abänderlich wird das Junge in der vornehmen Wiege bei ſeiner Normalkoſt Königin, das andere mit ſeiner Arbeiterbettelkoſt Veſtalin. Ja noch mehr. Geſetzt, der Stock verliert die Königin durch jähen Todesfall im Frühjahr, noch ehe Königswiegen erbaut und belegt ſind. Dann wird einfach eine beliebige junge, ſchon zur Veſtalin beſtimmte Made nachträglich mit Luxuskoſt zur Königin aufgepäppelt. Und dieſe Sache gar iſt noch extremer beobachtet worden. Geſetzt die Königin ſtirbt und es iſt zur Zeit im ganzen Stock auch keine aufpäppelbare

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/400>, abgerufen am 10.05.2024.