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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Wieder grübelst du und beobachtest. Und -- du wirst
jetzt schon Jahre des Studiums brauchen -- abermals kommst
du auf ein Neues.

Zunächst kontrollierst du die Königin in ihrer einsam¬
hoffnungsvollen Thätigkeit. Da liegt gerade wieder so ein
frisch gelegtes Ei. Unters Mikroskop damit. Hier ist die Ei¬
zelle. Die gab der königlich-weibliche Eierstock aus sich, ohne
fremde Beihilfe. Aber hier, -- hier sind ja auch Samen¬
tierchen! Das Ei ist zweifellos im Moment, da es gelegt
wurde, geradezu überschüttet worden mit Mannessamen. Woher?

Du nimmst dir eine Königin her und schneidest ihr den
Bauch auf. Da hast du's. Am Eileiter eine große dicke
"Samentasche". Gefüllt mit Mannessamen. Erinnere dich an
die Weinbergschnecken und Spinnen. Wie die auch nicht bloß
den Samen einfach bei der Begattung schon an die Eizellen
gelangen ließen. Sondern wie sie sich eine besondere Leibes¬
tasche gleichsam auf Reserve mit Samen füllen ließen, die sie
dann nachmals beliebig über den reifen Eiern zu entladen
wußten. Die Lösung dämmert dir auf. Mag unsere Frau
Königin auch an die sechzigtausend Eier in einem Jahre
legen: begattet braucht sie sich nur einmal ganz zu Anfang
zu haben. Damals füllte man ihr das Samenreservoir. Sie
aber ist seitdem gleichsam in einem Idealsinne doppelgeschlecht¬
lich: indem die einmal empfangenen fremden Samentierchen in
ihrem Geheimfach ihr in dulce infinitum lustig weiter leben,
hat sie jederzeit genug "Mann" zur Hand, um alle ihre
sechzigtausend Eier Stück für Stück, wie sie ihr reifen und sich
im Laufe der Monate vordrängen, selber und ohne weitere
wirkliche Manneshilfe zu "befruchten", -- das heißt, mit dem
nötigen Lebensfutter im Sinne unserer uralten Zwergengeschichte
zu versehen.

Und so ist's wirklich. Im Frühjahr war ein Tag, da
verließ Fräulein Königin die Burg. "Als alle Knospen
sprangen", tummelte sie sich hoch in den Lüften umher.

Wieder grübelſt du und beobachteſt. Und — du wirſt
jetzt ſchon Jahre des Studiums brauchen — abermals kommſt
du auf ein Neues.

Zunächſt kontrollierſt du die Königin in ihrer einſam¬
hoffnungsvollen Thätigkeit. Da liegt gerade wieder ſo ein
friſch gelegtes Ei. Unters Mikroſkop damit. Hier iſt die Ei¬
zelle. Die gab der königlich-weibliche Eierſtock aus ſich, ohne
fremde Beihilfe. Aber hier, — hier ſind ja auch Samen¬
tierchen! Das Ei iſt zweifellos im Moment, da es gelegt
wurde, geradezu überſchüttet worden mit Mannesſamen. Woher?

Du nimmſt dir eine Königin her und ſchneideſt ihr den
Bauch auf. Da haſt du's. Am Eileiter eine große dicke
„Samentaſche“. Gefüllt mit Mannesſamen. Erinnere dich an
die Weinbergſchnecken und Spinnen. Wie die auch nicht bloß
den Samen einfach bei der Begattung ſchon an die Eizellen
gelangen ließen. Sondern wie ſie ſich eine beſondere Leibes¬
taſche gleichſam auf Reſerve mit Samen füllen ließen, die ſie
dann nachmals beliebig über den reifen Eiern zu entladen
wußten. Die Löſung dämmert dir auf. Mag unſere Frau
Königin auch an die ſechzigtauſend Eier in einem Jahre
legen: begattet braucht ſie ſich nur einmal ganz zu Anfang
zu haben. Damals füllte man ihr das Samenreſervoir. Sie
aber iſt ſeitdem gleichſam in einem Idealſinne doppelgeſchlecht¬
lich: indem die einmal empfangenen fremden Samentierchen in
ihrem Geheimfach ihr in dulce infinitum luſtig weiter leben,
hat ſie jederzeit genug „Mann“ zur Hand, um alle ihre
ſechzigtauſend Eier Stück für Stück, wie ſie ihr reifen und ſich
im Laufe der Monate vordrängen, ſelber und ohne weitere
wirkliche Manneshilfe zu „befruchten“, — das heißt, mit dem
nötigen Lebensfutter im Sinne unſerer uralten Zwergengeſchichte
zu verſehen.

Und ſo iſt's wirklich. Im Frühjahr war ein Tag, da
verließ Fräulein Königin die Burg. „Als alle Knoſpen
ſprangen“, tummelte ſie ſich hoch in den Lüften umher.

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[372/0388] Wieder grübelſt du und beobachteſt. Und — du wirſt jetzt ſchon Jahre des Studiums brauchen — abermals kommſt du auf ein Neues. Zunächſt kontrollierſt du die Königin in ihrer einſam¬ hoffnungsvollen Thätigkeit. Da liegt gerade wieder ſo ein friſch gelegtes Ei. Unters Mikroſkop damit. Hier iſt die Ei¬ zelle. Die gab der königlich-weibliche Eierſtock aus ſich, ohne fremde Beihilfe. Aber hier, — hier ſind ja auch Samen¬ tierchen! Das Ei iſt zweifellos im Moment, da es gelegt wurde, geradezu überſchüttet worden mit Mannesſamen. Woher? Du nimmſt dir eine Königin her und ſchneideſt ihr den Bauch auf. Da haſt du's. Am Eileiter eine große dicke „Samentaſche“. Gefüllt mit Mannesſamen. Erinnere dich an die Weinbergſchnecken und Spinnen. Wie die auch nicht bloß den Samen einfach bei der Begattung ſchon an die Eizellen gelangen ließen. Sondern wie ſie ſich eine beſondere Leibes¬ taſche gleichſam auf Reſerve mit Samen füllen ließen, die ſie dann nachmals beliebig über den reifen Eiern zu entladen wußten. Die Löſung dämmert dir auf. Mag unſere Frau Königin auch an die ſechzigtauſend Eier in einem Jahre legen: begattet braucht ſie ſich nur einmal ganz zu Anfang zu haben. Damals füllte man ihr das Samenreſervoir. Sie aber iſt ſeitdem gleichſam in einem Idealſinne doppelgeſchlecht¬ lich: indem die einmal empfangenen fremden Samentierchen in ihrem Geheimfach ihr in dulce infinitum luſtig weiter leben, hat ſie jederzeit genug „Mann“ zur Hand, um alle ihre ſechzigtauſend Eier Stück für Stück, wie ſie ihr reifen und ſich im Laufe der Monate vordrängen, ſelber und ohne weitere wirkliche Manneshilfe zu „befruchten“, — das heißt, mit dem nötigen Lebensfutter im Sinne unſerer uralten Zwergengeſchichte zu verſehen. Und ſo iſt's wirklich. Im Frühjahr war ein Tag, da verließ Fräulein Königin die Burg. „Als alle Knoſpen ſprangen“, tummelte ſie ſich hoch in den Lüften umher.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/388>, abgerufen am 22.11.2024.