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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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gelegenen Geschlechtswerkstätten. Sollte der männliche Samen
also bei der Begattung durch irgend ein Organ des Tinten¬
mannes bis an die wahre weibliche Eierstelle gebracht werden,
so müßte das betreffende männliche Organ erst durch den er¬
wähnten Spalt oder Trichter in den großen Hohlraum ein¬
geführt werden. Du ahnst, daß das ein gewaltig langes Be¬
gattungsglied nötig machte.

Die Sache wird aber noch komplizierter, wenn du siehst,
daß dieser Hohlraum und seine Außenöffnung für gewöhnlich
noch anderen wichtigen Zwecken ihres Besitzers dienen. Sie
vermitteln zunächst seine Atmung: in den Hohlraum öffnen
sich seine Kiemen, die von dem durch den Spalt eintretenden
Meerwasser bespült und mit Sauerstoff versorgt werden. Ferner
dient der Hohlraum als äußerst sinnreicher Schwimmapparat:
indem er Wasser durch den Spalt aufnimmt, dann der Spalt
fest zugepreßt und das Wasser durch die erwähnte kleine Röhre
neben ihm gewaltsam ausgetrieben wird, entsteht ein kräftiger
Rückstoß, der den ganzen leichten Tintenfisch pfeilschnell rück¬
wärts dahinschießen läßt. Eine zeitweilige Versperrung der
Hohlraumspalte durch ein eindringendes Mannesglied würde
also, wie du begreifst, hier sowohl mit dem wichtigsten Be¬
wegungsmechanismus wie mit der Atmung in Kollision kommen:
es wäre, ins Menschliche umgedeutet, schon allein das letztere
etwa so, wie wenn die Luftröhre des Weibes zugleich als
Scheide dienen und bei der Begattung das männliche Werkzeug
in die Stimmritze eingeführt werden sollte!

Der Tintenfisch, wie gesagt, macht das Unmögliche möglich.

Auf den ersten äußeren Anblick scheint es allerdings, als
habe der Tintenmann weder ein entsprechend langes noch ein
kurzes Geschlechtsglied am Leibe, sondern überhaupt keins.
Sein Leibessack erscheint als der gleiche lückenlose Apfel wie
der des Tintenweibes, mit Spalt und Röhre, aber ohne jede
Andeutung eines besonderen Mannesapparates. Aber der
Beobachter bei jenem wüsten Liebeskampf der Tintengatten

gelegenen Geſchlechtswerkſtätten. Sollte der männliche Samen
alſo bei der Begattung durch irgend ein Organ des Tinten¬
mannes bis an die wahre weibliche Eierſtelle gebracht werden,
ſo müßte das betreffende männliche Organ erſt durch den er¬
wähnten Spalt oder Trichter in den großen Hohlraum ein¬
geführt werden. Du ahnſt, daß das ein gewaltig langes Be¬
gattungsglied nötig machte.

Die Sache wird aber noch komplizierter, wenn du ſiehſt,
daß dieſer Hohlraum und ſeine Außenöffnung für gewöhnlich
noch anderen wichtigen Zwecken ihres Beſitzers dienen. Sie
vermitteln zunächſt ſeine Atmung: in den Hohlraum öffnen
ſich ſeine Kiemen, die von dem durch den Spalt eintretenden
Meerwaſſer beſpült und mit Sauerſtoff verſorgt werden. Ferner
dient der Hohlraum als äußerſt ſinnreicher Schwimmapparat:
indem er Waſſer durch den Spalt aufnimmt, dann der Spalt
feſt zugepreßt und das Waſſer durch die erwähnte kleine Röhre
neben ihm gewaltſam ausgetrieben wird, entſteht ein kräftiger
Rückſtoß, der den ganzen leichten Tintenfiſch pfeilſchnell rück¬
wärts dahinſchießen läßt. Eine zeitweilige Verſperrung der
Hohlraumſpalte durch ein eindringendes Mannesglied würde
alſo, wie du begreifſt, hier ſowohl mit dem wichtigſten Be¬
wegungsmechanismus wie mit der Atmung in Kolliſion kommen:
es wäre, ins Menſchliche umgedeutet, ſchon allein das letztere
etwa ſo, wie wenn die Luftröhre des Weibes zugleich als
Scheide dienen und bei der Begattung das männliche Werkzeug
in die Stimmritze eingeführt werden ſollte!

Der Tintenfiſch, wie geſagt, macht das Unmögliche möglich.

Auf den erſten äußeren Anblick ſcheint es allerdings, als
habe der Tintenmann weder ein entſprechend langes noch ein
kurzes Geſchlechtsglied am Leibe, ſondern überhaupt keins.
Sein Leibesſack erſcheint als der gleiche lückenloſe Apfel wie
der des Tintenweibes, mit Spalt und Röhre, aber ohne jede
Andeutung eines beſonderen Mannesapparates. Aber der
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[299/0315] gelegenen Geſchlechtswerkſtätten. Sollte der männliche Samen alſo bei der Begattung durch irgend ein Organ des Tinten¬ mannes bis an die wahre weibliche Eierſtelle gebracht werden, ſo müßte das betreffende männliche Organ erſt durch den er¬ wähnten Spalt oder Trichter in den großen Hohlraum ein¬ geführt werden. Du ahnſt, daß das ein gewaltig langes Be¬ gattungsglied nötig machte. Die Sache wird aber noch komplizierter, wenn du ſiehſt, daß dieſer Hohlraum und ſeine Außenöffnung für gewöhnlich noch anderen wichtigen Zwecken ihres Beſitzers dienen. Sie vermitteln zunächſt ſeine Atmung: in den Hohlraum öffnen ſich ſeine Kiemen, die von dem durch den Spalt eintretenden Meerwaſſer beſpült und mit Sauerſtoff verſorgt werden. Ferner dient der Hohlraum als äußerſt ſinnreicher Schwimmapparat: indem er Waſſer durch den Spalt aufnimmt, dann der Spalt feſt zugepreßt und das Waſſer durch die erwähnte kleine Röhre neben ihm gewaltſam ausgetrieben wird, entſteht ein kräftiger Rückſtoß, der den ganzen leichten Tintenfiſch pfeilſchnell rück¬ wärts dahinſchießen läßt. Eine zeitweilige Verſperrung der Hohlraumſpalte durch ein eindringendes Mannesglied würde alſo, wie du begreifſt, hier ſowohl mit dem wichtigſten Be¬ wegungsmechanismus wie mit der Atmung in Kolliſion kommen: es wäre, ins Menſchliche umgedeutet, ſchon allein das letztere etwa ſo, wie wenn die Luftröhre des Weibes zugleich als Scheide dienen und bei der Begattung das männliche Werkzeug in die Stimmritze eingeführt werden ſollte! Der Tintenfiſch, wie geſagt, macht das Unmögliche möglich. Auf den erſten äußeren Anblick ſcheint es allerdings, als habe der Tintenmann weder ein entſprechend langes noch ein kurzes Geſchlechtsglied am Leibe, ſondern überhaupt keins. Sein Leibesſack erſcheint als der gleiche lückenloſe Apfel wie der des Tintenweibes, mit Spalt und Röhre, aber ohne jede Andeutung eines beſonderen Mannesapparates. Aber der Beobachter bei jenem wüſten Liebeskampf der Tintengatten

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/315>, abgerufen am 13.05.2024.