um eine besondere geschlechtliche Reizung, deren Detail wir nur mit unserem beschränkten Menschenverstande, der nicht in die Geheimnisse der verliebten Schneckenseele selbst hineinzuschauen vermag, nicht ganz klar zu ergründen vermögen. Ist der Liebespfeil aus seinem Köcher geschnellt, so geht der eigentliche Naturakt des weiteren rasch und glatt von statten. Von beiden Parteien werden die Begattungsglieder gleichzeitig vorgestülpt und je in des Genossen Geschlechtspforte eingesenkt. Jetzt, nachdem die Liebespfeile ihre Thätigkeit bewährt, zeigt sich auch, warum der leere Kessel da drinnen vorhanden war. In ihn greift jetzt das fremde Geschlechtsglied ein und setzt hier jene wohl verpackte Samenpatrone ab, auf daß ihr Inhalt gelegenen¬ falles auf die vorbeidrängenden Eier wohlthätig herabregne und die Befruchtung vollziehe.
So empfängt auch hier jede der beiden Schnecken als Weib und giebt zugleich als Mann. Ist der große Akt aber vorbei, so bleibt jede zunächst nur noch eins: nämlich Mutter.
Die befruchteten Eier reifen vollends aus, indem sie durch besondere Drüsenabsonderungen noch im Leibe der Alten mit einer schönen harten Kalkschale umgeben werden, die ihnen eine auffällige Ähnlichkeit mit schneeweißen Vogeleiern verleiht. Bei unseren einheimischen Arten natürlich mit unendlich liliputanischen Vogeleiern von höchstens sechs Millimetern Durchmesser. Doch giebt es südamerikanische Landschnecken, die allen Ernstes ein Ei legen so groß wie ein volles Taubenei. Unsere Weinberg¬ mutter legt durchschnittlich immer ein Eierhäufchen von sechzig bis achtzig Stück hintereinander ab. Ehe sie aber daran geht, baut sie sich selbst eine sichere Wiege dazu. Sie, die sonst nicht an Graben denkt, wühlt sich auf einmal mit dem Vorderkörper, so weit sie ihn nur aus ihrem Hause zu drängen vermag, tief in feuchte Erde ein, bis ein rundes Loch von etwa sieben Zenti¬ meter Tiefgang offen ist. Über dieses Loch kauert sie sich dann hin, immer so, daß ihr Schneckenhaus das Ganze von oben zudeckt und verbirgt. Jetzt erst werden die Eier in Zeit von
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um eine beſondere geſchlechtliche Reizung, deren Detail wir nur mit unſerem beſchränkten Menſchenverſtande, der nicht in die Geheimniſſe der verliebten Schneckenſeele ſelbſt hineinzuſchauen vermag, nicht ganz klar zu ergründen vermögen. Iſt der Liebespfeil aus ſeinem Köcher geſchnellt, ſo geht der eigentliche Naturakt des weiteren raſch und glatt von ſtatten. Von beiden Parteien werden die Begattungsglieder gleichzeitig vorgeſtülpt und je in des Genoſſen Geſchlechtspforte eingeſenkt. Jetzt, nachdem die Liebespfeile ihre Thätigkeit bewährt, zeigt ſich auch, warum der leere Keſſel da drinnen vorhanden war. In ihn greift jetzt das fremde Geſchlechtsglied ein und ſetzt hier jene wohl verpackte Samenpatrone ab, auf daß ihr Inhalt gelegenen¬ falles auf die vorbeidrängenden Eier wohlthätig herabregne und die Befruchtung vollziehe.
So empfängt auch hier jede der beiden Schnecken als Weib und giebt zugleich als Mann. Iſt der große Akt aber vorbei, ſo bleibt jede zunächſt nur noch eins: nämlich Mutter.
Die befruchteten Eier reifen vollends aus, indem ſie durch beſondere Drüſenabſonderungen noch im Leibe der Alten mit einer ſchönen harten Kalkſchale umgeben werden, die ihnen eine auffällige Ähnlichkeit mit ſchneeweißen Vogeleiern verleiht. Bei unſeren einheimiſchen Arten natürlich mit unendlich liliputaniſchen Vogeleiern von höchſtens ſechs Millimetern Durchmeſſer. Doch giebt es ſüdamerikaniſche Landſchnecken, die allen Ernſtes ein Ei legen ſo groß wie ein volles Taubenei. Unſere Weinberg¬ mutter legt durchſchnittlich immer ein Eierhäufchen von ſechzig bis achtzig Stück hintereinander ab. Ehe ſie aber daran geht, baut ſie ſich ſelbſt eine ſichere Wiege dazu. Sie, die ſonſt nicht an Graben denkt, wühlt ſich auf einmal mit dem Vorderkörper, ſo weit ſie ihn nur aus ihrem Hauſe zu drängen vermag, tief in feuchte Erde ein, bis ein rundes Loch von etwa ſieben Zenti¬ meter Tiefgang offen iſt. Über dieſes Loch kauert ſie ſich dann hin, immer ſo, daß ihr Schneckenhaus das Ganze von oben zudeckt und verbirgt. Jetzt erſt werden die Eier in Zeit von
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um eine beſondere geſchlechtliche Reizung, deren Detail wir nur
mit unſerem beſchränkten Menſchenverſtande, der nicht in die
Geheimniſſe der verliebten Schneckenſeele ſelbſt hineinzuſchauen
vermag, nicht ganz klar zu ergründen vermögen. Iſt der
Liebespfeil aus ſeinem Köcher geſchnellt, ſo geht der eigentliche
Naturakt des weiteren raſch und glatt von ſtatten. Von beiden
Parteien werden die Begattungsglieder gleichzeitig vorgeſtülpt
und je in des Genoſſen Geſchlechtspforte eingeſenkt. Jetzt,
nachdem die Liebespfeile ihre Thätigkeit bewährt, zeigt ſich auch,
warum der leere Keſſel da drinnen vorhanden war. In ihn
greift jetzt das fremde Geſchlechtsglied ein und ſetzt hier jene
wohl verpackte Samenpatrone ab, auf daß ihr Inhalt gelegenen¬
falles auf die vorbeidrängenden Eier wohlthätig herabregne und
die Befruchtung vollziehe.
So empfängt auch hier jede der beiden Schnecken als Weib
und giebt zugleich als Mann. Iſt der große Akt aber vorbei,
ſo bleibt jede zunächſt nur noch eins: nämlich Mutter.
Die befruchteten Eier reifen vollends aus, indem ſie durch
beſondere Drüſenabſonderungen noch im Leibe der Alten mit
einer ſchönen harten Kalkſchale umgeben werden, die ihnen eine
auffällige Ähnlichkeit mit ſchneeweißen Vogeleiern verleiht. Bei
unſeren einheimiſchen Arten natürlich mit unendlich liliputaniſchen
Vogeleiern von höchſtens ſechs Millimetern Durchmeſſer. Doch
giebt es ſüdamerikaniſche Landſchnecken, die allen Ernſtes ein
Ei legen ſo groß wie ein volles Taubenei. Unſere Weinberg¬
mutter legt durchſchnittlich immer ein Eierhäufchen von ſechzig
bis achtzig Stück hintereinander ab. Ehe ſie aber daran geht,
baut ſie ſich ſelbſt eine ſichere Wiege dazu. Sie, die ſonſt nicht
an Graben denkt, wühlt ſich auf einmal mit dem Vorderkörper,
ſo weit ſie ihn nur aus ihrem Hauſe zu drängen vermag, tief
in feuchte Erde ein, bis ein rundes Loch von etwa ſieben Zenti¬
meter Tiefgang offen iſt. Über dieſes Loch kauert ſie ſich dann
hin, immer ſo, daß ihr Schneckenhaus das Ganze von oben
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/305>, abgerufen am 24.11.2024.
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