Das Weiblein hält bloß seine Eier noch lose bei sich fest, indem es sie einfach in seinen Atmungsapparat, die sogenannten Kiemenblätter, wie in eine Fischreuse vorläufig mal hineinschluckt.
Das Männlein dagegen stößt seine Fracht offen heraus und erfüllt zeitweilig das ganze Wasser vor der aufgeklappten Schale der Jungfrau mit eitel Samen. Die Jungfrau atmet tief, -- das heißt: sie zieht einen großen Schluck Wasser in ihre Kiemen -- und die Sache ist gemacht: Samen und Eier sind beisammen.
Später schwärmen die Jungen dann aus der mütterlichen Atmungstasche aus. Sie schwärmen. Du mußt dir nämlich ein für allemal vorstellen, daß die junge, frisch ausgeschlüpfte Muschel zwar schon eine kleine Schale, aber noch keineswegs mit ihr die seßhafte Neigung des alten Tieres zu besitzen pflegt. Besonders die Jungen der meerbewohnenden Muscheln schwimmen und wimmeln noch längere Zeit mit ihrem Doppelschälchen hucke¬ pack im offenen Wasser umher und suchen sich einen geeigneten Ort zur Ansiedlung, ehe sie endlich der zunehmenden Schwere ihres natürlichen Häusleins nachgebend sich wirklich irgendwo dauernd festsetzen. Die Jungen der meisten Süßwassermuscheln klammern sich wenigstens an Fische an und lassen sich von diesen oft mehrere Monate lang im Wasser spazieren führen.
Im großen und ganzen ist nun dieser einfache Hergang auch der Liebesroman unserer Auster. Bloß eine Besonderheit hat sie voraus. Gerade sie ist nämlich als Ausnahme unter ihren Schwestern Zwitter: sie erzeugt im gleichen Leibe, ja sogar geradezu im gleichen Organ Eier sowohl wie Samen. Trotzdem findet die Befruchtung ganz in der geschilderten Weise statt. Denn die Natur hat einmal wieder ihr Gesetz gegen die Selbstbefruchtung mit Nachdruck durchgesetzt.
Gewiß: dasselbe Organ im Leibe eines und desselben Austertiers erzeugt Samen und Eier, Männliches und Weib¬ liches; aber es erzeugt beide nicht zu gleicher Zeit, sondern abwechselnd. Heute sprossen Eier und lösen sich ab, sie
Das Weiblein hält bloß ſeine Eier noch loſe bei ſich feſt, indem es ſie einfach in ſeinen Atmungsapparat, die ſogenannten Kiemenblätter, wie in eine Fiſchreuſe vorläufig mal hineinſchluckt.
Das Männlein dagegen ſtößt ſeine Fracht offen heraus und erfüllt zeitweilig das ganze Waſſer vor der aufgeklappten Schale der Jungfrau mit eitel Samen. Die Jungfrau atmet tief, — das heißt: ſie zieht einen großen Schluck Waſſer in ihre Kiemen — und die Sache iſt gemacht: Samen und Eier ſind beiſammen.
Später ſchwärmen die Jungen dann aus der mütterlichen Atmungstaſche aus. Sie ſchwärmen. Du mußt dir nämlich ein für allemal vorſtellen, daß die junge, friſch ausgeſchlüpfte Muſchel zwar ſchon eine kleine Schale, aber noch keineswegs mit ihr die ſeßhafte Neigung des alten Tieres zu beſitzen pflegt. Beſonders die Jungen der meerbewohnenden Muſcheln ſchwimmen und wimmeln noch längere Zeit mit ihrem Doppelſchälchen hucke¬ pack im offenen Waſſer umher und ſuchen ſich einen geeigneten Ort zur Anſiedlung, ehe ſie endlich der zunehmenden Schwere ihres natürlichen Häusleins nachgebend ſich wirklich irgendwo dauernd feſtſetzen. Die Jungen der meiſten Süßwaſſermuſcheln klammern ſich wenigſtens an Fiſche an und laſſen ſich von dieſen oft mehrere Monate lang im Waſſer ſpazieren führen.
Im großen und ganzen iſt nun dieſer einfache Hergang auch der Liebesroman unſerer Auſter. Bloß eine Beſonderheit hat ſie voraus. Gerade ſie iſt nämlich als Ausnahme unter ihren Schweſtern Zwitter: ſie erzeugt im gleichen Leibe, ja ſogar geradezu im gleichen Organ Eier ſowohl wie Samen. Trotzdem findet die Befruchtung ganz in der geſchilderten Weiſe ſtatt. Denn die Natur hat einmal wieder ihr Geſetz gegen die Selbſtbefruchtung mit Nachdruck durchgeſetzt.
Gewiß: dasſelbe Organ im Leibe eines und desſelben Auſtertiers erzeugt Samen und Eier, Männliches und Weib¬ liches; aber es erzeugt beide nicht zu gleicher Zeit, ſondern abwechſelnd. Heute ſproſſen Eier und löſen ſich ab, ſie
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Das Weiblein hält bloß ſeine Eier noch loſe bei ſich feſt,
indem es ſie einfach in ſeinen Atmungsapparat, die ſogenannten
Kiemenblätter, wie in eine Fiſchreuſe vorläufig mal hineinſchluckt.
Das Männlein dagegen ſtößt ſeine Fracht offen heraus
und erfüllt zeitweilig das ganze Waſſer vor der aufgeklappten
Schale der Jungfrau mit eitel Samen. Die Jungfrau atmet
tief, — das heißt: ſie zieht einen großen Schluck Waſſer in
ihre Kiemen — und die Sache iſt gemacht: Samen und Eier
ſind beiſammen.
Später ſchwärmen die Jungen dann aus der mütterlichen
Atmungstaſche aus. Sie ſchwärmen. Du mußt dir nämlich
ein für allemal vorſtellen, daß die junge, friſch ausgeſchlüpfte
Muſchel zwar ſchon eine kleine Schale, aber noch keineswegs
mit ihr die ſeßhafte Neigung des alten Tieres zu beſitzen pflegt.
Beſonders die Jungen der meerbewohnenden Muſcheln ſchwimmen
und wimmeln noch längere Zeit mit ihrem Doppelſchälchen hucke¬
pack im offenen Waſſer umher und ſuchen ſich einen geeigneten
Ort zur Anſiedlung, ehe ſie endlich der zunehmenden Schwere
ihres natürlichen Häusleins nachgebend ſich wirklich irgendwo
dauernd feſtſetzen. Die Jungen der meiſten Süßwaſſermuſcheln
klammern ſich wenigſtens an Fiſche an und laſſen ſich von
dieſen oft mehrere Monate lang im Waſſer ſpazieren führen.
Im großen und ganzen iſt nun dieſer einfache Hergang
auch der Liebesroman unſerer Auſter. Bloß eine Beſonderheit
hat ſie voraus. Gerade ſie iſt nämlich als Ausnahme unter
ihren Schweſtern Zwitter: ſie erzeugt im gleichen Leibe, ja
ſogar geradezu im gleichen Organ Eier ſowohl wie Samen.
Trotzdem findet die Befruchtung ganz in der geſchilderten Weiſe
ſtatt. Denn die Natur hat einmal wieder ihr Geſetz gegen die
Selbſtbefruchtung mit Nachdruck durchgeſetzt.
Gewiß: dasſelbe Organ im Leibe eines und desſelben
Auſtertiers erzeugt Samen und Eier, Männliches und Weib¬
liches; aber es erzeugt beide nicht zu gleicher Zeit, ſondern
abwechſelnd. Heute ſproſſen Eier und löſen ſich ab, ſie
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/299>, abgerufen am 28.11.2024.
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