Doch das war, alles noch nicht eigentlich, was ich dir zum Fall Bandwurm hinzufügen wollte.
Versetze dich noch einmal in die kunstvolle chemische Fabrik eines verdauenden Körpers, -- diesmal soll es beim Schaf sein. Eine besonders wichtige Halle dieser Fabrik heißt die Leber. Hier wird ein höchst köstlicher Extrakt destilliert, den der ganze Fabrikbetrieb aufs notwendigste braucht: die Galle. An der Grenze der betreffenden Halle liegt ein großes Reservoir für diesen Extrakt, die Gallenblase, und von der Halle wie von diesem Reservoir führt ein besonderer Leitungskanal in den Hauptsaal, wo die Verdauungsapparate arbeiten: der Gallen¬ gang, der im Darm mündet.
Hier, in diesem bedeutsamen Rohr der Fabrik, haust der Leberegel, ein Plattwurm, der als solcher da natürlich ebenso ein reiner Freibeuter und unberufener Mitesser ist wie der Bandwurm im Darme selbst.
Der Leberegel ist in seiner Art selbständiger als der Band¬ wurm: er hat noch seinen regelrechten eigenen Mund und Darm. Gerade darum ist er der Fabrik, in der er sich eingeschmuggelt hat, aber um so gefährlicher, er säuft, nicht Galle, sondern direkt Leberblut und greift die Kanalwände an. In Scharen beisammen am gleichen Ort, läßt er schließlich die ganze Fabrik bankrott werden: die Schafe sterben an sogenannter Leberfäule.
Einstweilen, solange der Nährstoff ihnen noch quillt, freuen die Leberegelein sich aber in ihrem Gallenkanal neben der Tafel auch an der Liebe. Alle selber doppelgeschlechtig, lieben sie nach Art der Bandwurmglieder kreuzweise und werfen be¬ trächtliche wohl befruchtete Eiermassen (Millionen von Einzel¬ eiern) in den großen Darmraum hinab, die mit dessen Abfällen ungestört ins Freie gelangen.
Das Schaf hat jetzt seine Schuldigkeit gethan und kann gehen. Der Regen schwemmt die Wiese ab, wo jene Fabrikabfälle sich zerstreut haben: die Egeleier gelangen ins Wasser und aus der zersprengten Schale huscht ein lustiger kleiner Embryo, ein
Doch das war, alles noch nicht eigentlich, was ich dir zum Fall Bandwurm hinzufügen wollte.
Verſetze dich noch einmal in die kunſtvolle chemiſche Fabrik eines verdauenden Körpers, — diesmal ſoll es beim Schaf ſein. Eine beſonders wichtige Halle dieſer Fabrik heißt die Leber. Hier wird ein höchſt köſtlicher Extrakt deſtilliert, den der ganze Fabrikbetrieb aufs notwendigſte braucht: die Galle. An der Grenze der betreffenden Halle liegt ein großes Reſervoir für dieſen Extrakt, die Gallenblaſe, und von der Halle wie von dieſem Reſervoir führt ein beſonderer Leitungskanal in den Hauptſaal, wo die Verdauungsapparate arbeiten: der Gallen¬ gang, der im Darm mündet.
Hier, in dieſem bedeutſamen Rohr der Fabrik, hauſt der Leberegel, ein Plattwurm, der als ſolcher da natürlich ebenſo ein reiner Freibeuter und unberufener Miteſſer iſt wie der Bandwurm im Darme ſelbſt.
Der Leberegel iſt in ſeiner Art ſelbſtändiger als der Band¬ wurm: er hat noch ſeinen regelrechten eigenen Mund und Darm. Gerade darum iſt er der Fabrik, in der er ſich eingeſchmuggelt hat, aber um ſo gefährlicher, er ſäuft, nicht Galle, ſondern direkt Leberblut und greift die Kanalwände an. In Scharen beiſammen am gleichen Ort, läßt er ſchließlich die ganze Fabrik bankrott werden: die Schafe ſterben an ſogenannter Leberfäule.
Einſtweilen, ſolange der Nährſtoff ihnen noch quillt, freuen die Leberegelein ſich aber in ihrem Gallenkanal neben der Tafel auch an der Liebe. Alle ſelber doppelgeſchlechtig, lieben ſie nach Art der Bandwurmglieder kreuzweiſe und werfen be¬ trächtliche wohl befruchtete Eiermaſſen (Millionen von Einzel¬ eiern) in den großen Darmraum hinab, die mit deſſen Abfällen ungeſtört ins Freie gelangen.
Das Schaf hat jetzt ſeine Schuldigkeit gethan und kann gehen. Der Regen ſchwemmt die Wieſe ab, wo jene Fabrikabfälle ſich zerſtreut haben: die Egeleier gelangen ins Waſſer und aus der zerſprengten Schale huſcht ein luſtiger kleiner Embryo, ein
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0263"n="247"/><p>Doch das war, alles noch nicht eigentlich, was ich dir<lb/>
zum Fall Bandwurm hinzufügen wollte.</p><lb/><p>Verſetze dich noch einmal in die kunſtvolle chemiſche Fabrik<lb/>
eines verdauenden Körpers, — diesmal ſoll es beim Schaf ſein.<lb/>
Eine beſonders wichtige Halle dieſer Fabrik heißt die Leber.<lb/>
Hier wird ein höchſt köſtlicher Extrakt deſtilliert, den der ganze<lb/>
Fabrikbetrieb aufs notwendigſte braucht: die Galle. An der<lb/>
Grenze der betreffenden Halle liegt ein großes Reſervoir für<lb/>
dieſen Extrakt, die Gallenblaſe, und von der Halle wie von<lb/>
dieſem Reſervoir führt ein beſonderer Leitungskanal in den<lb/>
Hauptſaal, wo die Verdauungsapparate arbeiten: der Gallen¬<lb/>
gang, der im Darm mündet.</p><lb/><p>Hier, in dieſem bedeutſamen Rohr der Fabrik, hauſt der<lb/>
Leberegel, ein Plattwurm, der als ſolcher da natürlich ebenſo<lb/>
ein reiner Freibeuter und unberufener Miteſſer iſt wie der<lb/>
Bandwurm im Darme ſelbſt.</p><lb/><p>Der Leberegel iſt in ſeiner Art ſelbſtändiger als der Band¬<lb/>
wurm: er hat noch ſeinen regelrechten eigenen Mund und Darm.<lb/>
Gerade darum iſt er der Fabrik, in der er ſich eingeſchmuggelt<lb/>
hat, aber um ſo gefährlicher, er ſäuft, nicht Galle, ſondern<lb/>
direkt Leberblut und greift die Kanalwände an. In Scharen<lb/>
beiſammen am gleichen Ort, läßt er ſchließlich die ganze Fabrik<lb/>
bankrott werden: die Schafe ſterben an ſogenannter Leberfäule.</p><lb/><p>Einſtweilen, ſolange der Nährſtoff ihnen noch quillt, freuen<lb/>
die Leberegelein ſich aber in ihrem Gallenkanal neben der<lb/>
Tafel auch an der Liebe. Alle ſelber doppelgeſchlechtig, lieben<lb/>ſie nach Art der Bandwurmglieder kreuzweiſe und werfen be¬<lb/>
trächtliche wohl befruchtete Eiermaſſen (Millionen von Einzel¬<lb/>
eiern) in den großen Darmraum hinab, die mit deſſen Abfällen<lb/>
ungeſtört ins Freie gelangen.</p><lb/><p>Das Schaf hat jetzt ſeine Schuldigkeit gethan und kann<lb/>
gehen. Der Regen ſchwemmt die Wieſe ab, wo jene Fabrikabfälle<lb/>ſich zerſtreut haben: die Egeleier gelangen ins Waſſer und aus<lb/>
der zerſprengten Schale huſcht ein luſtiger kleiner Embryo, ein<lb/></p></div></body></text></TEI>
[247/0263]
Doch das war, alles noch nicht eigentlich, was ich dir
zum Fall Bandwurm hinzufügen wollte.
Verſetze dich noch einmal in die kunſtvolle chemiſche Fabrik
eines verdauenden Körpers, — diesmal ſoll es beim Schaf ſein.
Eine beſonders wichtige Halle dieſer Fabrik heißt die Leber.
Hier wird ein höchſt köſtlicher Extrakt deſtilliert, den der ganze
Fabrikbetrieb aufs notwendigſte braucht: die Galle. An der
Grenze der betreffenden Halle liegt ein großes Reſervoir für
dieſen Extrakt, die Gallenblaſe, und von der Halle wie von
dieſem Reſervoir führt ein beſonderer Leitungskanal in den
Hauptſaal, wo die Verdauungsapparate arbeiten: der Gallen¬
gang, der im Darm mündet.
Hier, in dieſem bedeutſamen Rohr der Fabrik, hauſt der
Leberegel, ein Plattwurm, der als ſolcher da natürlich ebenſo
ein reiner Freibeuter und unberufener Miteſſer iſt wie der
Bandwurm im Darme ſelbſt.
Der Leberegel iſt in ſeiner Art ſelbſtändiger als der Band¬
wurm: er hat noch ſeinen regelrechten eigenen Mund und Darm.
Gerade darum iſt er der Fabrik, in der er ſich eingeſchmuggelt
hat, aber um ſo gefährlicher, er ſäuft, nicht Galle, ſondern
direkt Leberblut und greift die Kanalwände an. In Scharen
beiſammen am gleichen Ort, läßt er ſchließlich die ganze Fabrik
bankrott werden: die Schafe ſterben an ſogenannter Leberfäule.
Einſtweilen, ſolange der Nährſtoff ihnen noch quillt, freuen
die Leberegelein ſich aber in ihrem Gallenkanal neben der
Tafel auch an der Liebe. Alle ſelber doppelgeſchlechtig, lieben
ſie nach Art der Bandwurmglieder kreuzweiſe und werfen be¬
trächtliche wohl befruchtete Eiermaſſen (Millionen von Einzel¬
eiern) in den großen Darmraum hinab, die mit deſſen Abfällen
ungeſtört ins Freie gelangen.
Das Schaf hat jetzt ſeine Schuldigkeit gethan und kann
gehen. Der Regen ſchwemmt die Wieſe ab, wo jene Fabrikabfälle
ſich zerſtreut haben: die Egeleier gelangen ins Waſſer und aus
der zerſprengten Schale huſcht ein luſtiger kleiner Embryo, ein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/263>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.