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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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daß er durch Urzeugung aus den Verdauungsstoffen des
Menschenleibes (also totem Stoff) entstehe. Je nachdem nun
die materialistische oder theologische Philosophie solche Urzeugung
gebrauchen konnte oder vervehmte, holte man den Bandwurm
als Paradestück heran oder prügelte auf ihn ein. Schließlich
hat dann allerdings die wirkliche Sachforschung den ganzen
bandwürmlichen Urzeugungstraum als Seifenblase enthüllt.
Gerade dabei aber ist sie dem wirklichen Liebesleben dieses
lichtfremden Ungetüms in den tiefen Grotten unseres edeln
Menschenleibes ernstlich auf die Spur gekommen und hat eine
Kette von Dingen enträtselt, die kein kühnster Philosoph so
erfinden konnte.

Ins Gebiet der wissenschaftlich so benamseten Ammen¬
zeugung
führt uns diese Liebe im lebendigen Schacht. Du
darfst aber jetzt nicht an Spreewälder-Ammen mit rotem Rock
denken. Der Zoologe tischt dir einmal wieder den denkbar
schlechtesten Namen auf, von dem du erst einen Gedankenfaden,
lang mindestens wie ein ausgewachsener Schafbandwurm von
runden sechzig Metern Länge, fortspinnen mußt, um auf den
wahren Sachverhalt zu kommen. Schließlich aber findest du
wenigstens dahinter etwas, das die Mühe lohnt und von dem
du auch begreifen wirst, daß es nicht so leicht ist, es mit
irgend einem guten, wirklich begriffsverankerten Namen zu
benennen.

Die Geschichte beginnt ziemlich schlicht, um nachher in
Verwickelungen zu geraten, die noch über die Liebeslabyrinthe
in Ariosts Rasendem Roland gehen, von denen man wohl
gesagt hat, sie seien endlos wie die Bandwürmer -- ohne daß
man bedachte, welch köstliches Zaubermärchen in Meister
Ludovicos Sinne erst die erotische Schicksalsfahrt des Band¬
wurms selber abgegeben hätte.

In der Tiefe deines Leibes, nehmen wir an, ruht ver¬
gnüglich der Bandwurm. Wir müssen die Sache ja jetzt von
seinem Standpunkt ansehen, und so setze ich von dir voraus,

daß er durch Urzeugung aus den Verdauungsſtoffen des
Menſchenleibes (alſo totem Stoff) entſtehe. Je nachdem nun
die materialiſtiſche oder theologiſche Philoſophie ſolche Urzeugung
gebrauchen konnte oder vervehmte, holte man den Bandwurm
als Paradeſtück heran oder prügelte auf ihn ein. Schließlich
hat dann allerdings die wirkliche Sachforſchung den ganzen
bandwürmlichen Urzeugungstraum als Seifenblaſe enthüllt.
Gerade dabei aber iſt ſie dem wirklichen Liebesleben dieſes
lichtfremden Ungetüms in den tiefen Grotten unſeres edeln
Menſchenleibes ernſtlich auf die Spur gekommen und hat eine
Kette von Dingen enträtſelt, die kein kühnſter Philoſoph ſo
erfinden konnte.

Ins Gebiet der wiſſenſchaftlich ſo benamſeten Ammen¬
zeugung
führt uns dieſe Liebe im lebendigen Schacht. Du
darfſt aber jetzt nicht an Spreewälder-Ammen mit rotem Rock
denken. Der Zoologe tiſcht dir einmal wieder den denkbar
ſchlechteſten Namen auf, von dem du erſt einen Gedankenfaden,
lang mindeſtens wie ein ausgewachſener Schafbandwurm von
runden ſechzig Metern Länge, fortſpinnen mußt, um auf den
wahren Sachverhalt zu kommen. Schließlich aber findeſt du
wenigſtens dahinter etwas, das die Mühe lohnt und von dem
du auch begreifen wirſt, daß es nicht ſo leicht iſt, es mit
irgend einem guten, wirklich begriffsverankerten Namen zu
benennen.

Die Geſchichte beginnt ziemlich ſchlicht, um nachher in
Verwickelungen zu geraten, die noch über die Liebeslabyrinthe
in Arioſts Raſendem Roland gehen, von denen man wohl
geſagt hat, ſie ſeien endlos wie die Bandwürmer — ohne daß
man bedachte, welch köſtliches Zaubermärchen in Meiſter
Ludovicos Sinne erſt die erotiſche Schickſalsfahrt des Band¬
wurms ſelber abgegeben hätte.

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gnüglich der Bandwurm. Wir müſſen die Sache ja jetzt von
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[231/0247] daß er durch Urzeugung aus den Verdauungsſtoffen des Menſchenleibes (alſo totem Stoff) entſtehe. Je nachdem nun die materialiſtiſche oder theologiſche Philoſophie ſolche Urzeugung gebrauchen konnte oder vervehmte, holte man den Bandwurm als Paradeſtück heran oder prügelte auf ihn ein. Schließlich hat dann allerdings die wirkliche Sachforſchung den ganzen bandwürmlichen Urzeugungstraum als Seifenblaſe enthüllt. Gerade dabei aber iſt ſie dem wirklichen Liebesleben dieſes lichtfremden Ungetüms in den tiefen Grotten unſeres edeln Menſchenleibes ernſtlich auf die Spur gekommen und hat eine Kette von Dingen enträtſelt, die kein kühnſter Philoſoph ſo erfinden konnte. Ins Gebiet der wiſſenſchaftlich ſo benamſeten Ammen¬ zeugung führt uns dieſe Liebe im lebendigen Schacht. Du darfſt aber jetzt nicht an Spreewälder-Ammen mit rotem Rock denken. Der Zoologe tiſcht dir einmal wieder den denkbar ſchlechteſten Namen auf, von dem du erſt einen Gedankenfaden, lang mindeſtens wie ein ausgewachſener Schafbandwurm von runden ſechzig Metern Länge, fortſpinnen mußt, um auf den wahren Sachverhalt zu kommen. Schließlich aber findeſt du wenigſtens dahinter etwas, das die Mühe lohnt und von dem du auch begreifen wirſt, daß es nicht ſo leicht iſt, es mit irgend einem guten, wirklich begriffsverankerten Namen zu benennen. Die Geſchichte beginnt ziemlich ſchlicht, um nachher in Verwickelungen zu geraten, die noch über die Liebeslabyrinthe in Arioſts Raſendem Roland gehen, von denen man wohl geſagt hat, ſie ſeien endlos wie die Bandwürmer — ohne daß man bedachte, welch köſtliches Zaubermärchen in Meiſter Ludovicos Sinne erſt die erotiſche Schickſalsfahrt des Band¬ wurms ſelber abgegeben hätte. In der Tiefe deines Leibes, nehmen wir an, ruht ver¬ gnüglich der Bandwurm. Wir müſſen die Sache ja jetzt von ſeinem Standpunkt anſehen, und ſo ſetze ich von dir voraus,

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/247>, abgerufen am 23.11.2024.