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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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die Samen und Eier abspalten. Kurz, die einzelne Meduse
hier ist als Tier im Ganzen nicht so hoch entwickelt wie du --
aber im einfachen Betracht als Individuum steht sie offen¬
bar ganz auf derselben Stufe wie du, sie ist Frau Einzelqualle
so und so, genau wie du der und der bestimmte, benannte,
mit Legitimationspapieren ausgerüstete, gleichsam polizeilich an¬
erkannte und eingeschriebene Einzelmensch bist.

Solche Einzelquallen findest du, wie gesagt, in der See
meist in großen Schwärmen beisammen. Warum nicht? Sie
leben eben gesellig. Jede bleibt darum Individuum für sich.
Aber da mischt sich auf einmal ein Geschöpf in die schöne
blaue oder orangegelbe Reihe, das denn doch eine ganz be¬
sondere Sorte zu sein scheint. Du bemächtigst dich seiner mit
Mühe und Not und untersuchst es. Es ist eine Meduse und
doch eigentlich wieder keine. Was ist es?

Denke dir, du hättest dir ein Dutzend Einzelmedusen her¬
genommen und jede gewaltsam auseinandergeschnitten. Organ
von Organ. Hier wäre die Schwimmglocke einzeln, hier der
Magen mit seinem Mund, hier die eigentümlich wie Brenn¬
nesseln dich kitzelnden Fühlfäden, hier die männlichen oder
weiblichen Geschlechtsstellen. Und du hättest diese Organe dann
von dem ganzen Dutzend Tiere fein säuberlich zu Häufchen
zusammengelegt, wie man von einem Gartenbeet bunte Rosen
und Nelken bricht und nach den Farben sortiert: hier ein
Haufen Schwimmglocken, hier ein Haufen Magen mit Mäulern
und so weiter. Und dann hättest du dieses ganze Material
zuletzt willkürlich dir wieder zu einem großen Strauß zu¬
sammengebunden -- zu einem Quallenstrauß, der jetzt als
Ganzes an einer Ecke zwölf Schwimmglocken, an einer andern
zwölf bemundete Mägen, an einer dritten zwölf teils männ¬
liche, teils weibliche Geschlechtsstellen, und an einer vierten
einen ungeheuren Sammelknäuel nesselnder Fühlfäden darböte.
Es sind so schöne bunte, blumenähnliche Geschöpfe, diese
Quallen -- warum sollte eine ganz besonders zarte Hand in

die Samen und Eier abſpalten. Kurz, die einzelne Meduſe
hier iſt als Tier im Ganzen nicht ſo hoch entwickelt wie du —
aber im einfachen Betracht als Individuum ſteht ſie offen¬
bar ganz auf derſelben Stufe wie du, ſie iſt Frau Einzelqualle
ſo und ſo, genau wie du der und der beſtimmte, benannte,
mit Legitimationspapieren ausgerüſtete, gleichſam polizeilich an¬
erkannte und eingeſchriebene Einzelmenſch biſt.

Solche Einzelquallen findeſt du, wie geſagt, in der See
meiſt in großen Schwärmen beiſammen. Warum nicht? Sie
leben eben geſellig. Jede bleibt darum Individuum für ſich.
Aber da miſcht ſich auf einmal ein Geſchöpf in die ſchöne
blaue oder orangegelbe Reihe, das denn doch eine ganz be¬
ſondere Sorte zu ſein ſcheint. Du bemächtigſt dich ſeiner mit
Mühe und Not und unterſuchſt es. Es iſt eine Meduſe und
doch eigentlich wieder keine. Was iſt es?

Denke dir, du hätteſt dir ein Dutzend Einzelmeduſen her¬
genommen und jede gewaltſam auseinandergeſchnitten. Organ
von Organ. Hier wäre die Schwimmglocke einzeln, hier der
Magen mit ſeinem Mund, hier die eigentümlich wie Brenn¬
neſſeln dich kitzelnden Fühlfäden, hier die männlichen oder
weiblichen Geſchlechtsſtellen. Und du hätteſt dieſe Organe dann
von dem ganzen Dutzend Tiere fein ſäuberlich zu Häufchen
zuſammengelegt, wie man von einem Gartenbeet bunte Roſen
und Nelken bricht und nach den Farben ſortiert: hier ein
Haufen Schwimmglocken, hier ein Haufen Magen mit Mäulern
und ſo weiter. Und dann hätteſt du dieſes ganze Material
zuletzt willkürlich dir wieder zu einem großen Strauß zu¬
ſammengebunden — zu einem Quallenſtrauß, der jetzt als
Ganzes an einer Ecke zwölf Schwimmglocken, an einer andern
zwölf bemundete Mägen, an einer dritten zwölf teils männ¬
liche, teils weibliche Geſchlechtsſtellen, und an einer vierten
einen ungeheuren Sammelknäuel neſſelnder Fühlfäden darböte.
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[219/0235] die Samen und Eier abſpalten. Kurz, die einzelne Meduſe hier iſt als Tier im Ganzen nicht ſo hoch entwickelt wie du — aber im einfachen Betracht als Individuum ſteht ſie offen¬ bar ganz auf derſelben Stufe wie du, ſie iſt Frau Einzelqualle ſo und ſo, genau wie du der und der beſtimmte, benannte, mit Legitimationspapieren ausgerüſtete, gleichſam polizeilich an¬ erkannte und eingeſchriebene Einzelmenſch biſt. Solche Einzelquallen findeſt du, wie geſagt, in der See meiſt in großen Schwärmen beiſammen. Warum nicht? Sie leben eben geſellig. Jede bleibt darum Individuum für ſich. Aber da miſcht ſich auf einmal ein Geſchöpf in die ſchöne blaue oder orangegelbe Reihe, das denn doch eine ganz be¬ ſondere Sorte zu ſein ſcheint. Du bemächtigſt dich ſeiner mit Mühe und Not und unterſuchſt es. Es iſt eine Meduſe und doch eigentlich wieder keine. Was iſt es? Denke dir, du hätteſt dir ein Dutzend Einzelmeduſen her¬ genommen und jede gewaltſam auseinandergeſchnitten. Organ von Organ. Hier wäre die Schwimmglocke einzeln, hier der Magen mit ſeinem Mund, hier die eigentümlich wie Brenn¬ neſſeln dich kitzelnden Fühlfäden, hier die männlichen oder weiblichen Geſchlechtsſtellen. Und du hätteſt dieſe Organe dann von dem ganzen Dutzend Tiere fein ſäuberlich zu Häufchen zuſammengelegt, wie man von einem Gartenbeet bunte Roſen und Nelken bricht und nach den Farben ſortiert: hier ein Haufen Schwimmglocken, hier ein Haufen Magen mit Mäulern und ſo weiter. Und dann hätteſt du dieſes ganze Material zuletzt willkürlich dir wieder zu einem großen Strauß zu¬ ſammengebunden — zu einem Quallenſtrauß, der jetzt als Ganzes an einer Ecke zwölf Schwimmglocken, an einer andern zwölf bemundete Mägen, an einer dritten zwölf teils männ¬ liche, teils weibliche Geſchlechtsſtellen, und an einer vierten einen ungeheuren Sammelknäuel neſſelnder Fühlfäden darböte. Es ſind ſo ſchöne bunte, blumenähnliche Geſchöpfe, dieſe Quallen — warum ſollte eine ganz beſonders zarte Hand in

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/235>, abgerufen am 24.11.2024.