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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Arbeitsteilungs-Häuschen zurückführen. Gasträa hat es Häckel
genannt. Von Gaster der Magen. Das erste Magen-Tier.
Alle höheren Tiere gehen klar erkennbar in ihrem Stamm¬
baum hierher zurück. Wurm und Polyp, Krebs und Insekt,
Muschel und Tintenfisch, Fisch und Frosch und Eidechse und
Vogel. Und Säugetier. Und du. Auch du stammst von der
Ur-Gasträa, dem ersten Zellenverbande, der die Arbeitsteilung
in Bewegungszellen und Freßzellen, in Haut und Darm, kon¬
sequent durchführte .....

Merkst du nun den Unterschied? Den riesigen Unter¬
schied? Du warst auf dem Wege, den Menschen in glatter
Kette vom Infusorium abzuleiten, das sich in seiner Einzel¬
zelle einen Zellmund und Zellafter ausbildete. Umsonst.
Niemals glückt dir von hier, vom Einzelwesen, und hätte es
hundert Organe in seiner Zelle selbst, der Anschluß an den
ungeheuren Zellendom Mensch. Es scheint geradezu, daß der
soziale Verband vieler Zellen zu gemeinsamer Neubildung einer
Art höheren Individuums mit Arbeitsteilung in Zellorganen die
einfache Organbildung und überhaupt die weitere individuelle
Fortbildung bei den Einzellern gelähmt und beiseite geschoben
hat. Sie ist ein verlassener Seitenweg für die ganze eigent¬
liche Fortentwickelung geblieben. Nicht aus dem Infusorium
als solchem entstanden die Hochwesen der Erde, entstand der
Mensch. Sie alle und er mit stehen auf dem Infusorien-
Staat, dem sozialen Verbande vieler Infusorien, der sich all¬
mählich zur Grundlage neuer, höherer Individuen auswuchs.

In diesem Entstehen neuer Individuen aus sozialen Ver¬
bänden liegt ja gewiß ein an sich überaus wunderbarer Prozeß.
Du bist ein Individuum, ein Ich, nicht wahr? Bist dir selber
geradezu das Exempel, die Urform des Individuums über¬
haupt. Und doch sollst du vormaleinst mit der ganzen Mensch¬
heit so entstanden sein, daß viele Millionen von winzigen
Zellindividuen zu dir sich zusammenschlossen in sozialer Gemein¬
schaft und so eng sich verketteten, daß dir selber das Ganze

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Arbeitsteilungs-Häuschen zurückführen. Gaſträa hat es Häckel
genannt. Von Gaſter der Magen. Das erſte Magen-Tier.
Alle höheren Tiere gehen klar erkennbar in ihrem Stamm¬
baum hierher zurück. Wurm und Polyp, Krebs und Inſekt,
Muſchel und Tintenfiſch, Fiſch und Froſch und Eidechſe und
Vogel. Und Säugetier. Und du. Auch du ſtammſt von der
Ur-Gaſträa, dem erſten Zellenverbande, der die Arbeitsteilung
in Bewegungszellen und Freßzellen, in Haut und Darm, kon¬
ſequent durchführte .....

Merkſt du nun den Unterſchied? Den rieſigen Unter¬
ſchied? Du warſt auf dem Wege, den Menſchen in glatter
Kette vom Infuſorium abzuleiten, das ſich in ſeiner Einzel¬
zelle einen Zellmund und Zellafter ausbildete. Umſonſt.
Niemals glückt dir von hier, vom Einzelweſen, und hätte es
hundert Organe in ſeiner Zelle ſelbſt, der Anſchluß an den
ungeheuren Zellendom Menſch. Es ſcheint geradezu, daß der
ſoziale Verband vieler Zellen zu gemeinſamer Neubildung einer
Art höheren Individuums mit Arbeitsteilung in Zellorganen die
einfache Organbildung und überhaupt die weitere individuelle
Fortbildung bei den Einzellern gelähmt und beiſeite geſchoben
hat. Sie iſt ein verlaſſener Seitenweg für die ganze eigent¬
liche Fortentwickelung geblieben. Nicht aus dem Infuſorium
als ſolchem entſtanden die Hochweſen der Erde, entſtand der
Menſch. Sie alle und er mit ſtehen auf dem Infuſorien-
Staat, dem ſozialen Verbande vieler Infuſorien, der ſich all¬
mählich zur Grundlage neuer, höherer Individuen auswuchs.

In dieſem Entſtehen neuer Individuen aus ſozialen Ver¬
bänden liegt ja gewiß ein an ſich überaus wunderbarer Prozeß.
Du biſt ein Individuum, ein Ich, nicht wahr? Biſt dir ſelber
geradezu das Exempel, die Urform des Individuums über¬
haupt. Und doch ſollſt du vormaleinſt mit der ganzen Menſch¬
heit ſo entſtanden ſein, daß viele Millionen von winzigen
Zellindividuen zu dir ſich zuſammenſchloſſen in ſozialer Gemein¬
ſchaft und ſo eng ſich verketteten, daß dir ſelber das Ganze

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[177/0193] Arbeitsteilungs-Häuschen zurückführen. Gaſträa hat es Häckel genannt. Von Gaſter der Magen. Das erſte Magen-Tier. Alle höheren Tiere gehen klar erkennbar in ihrem Stamm¬ baum hierher zurück. Wurm und Polyp, Krebs und Inſekt, Muſchel und Tintenfiſch, Fiſch und Froſch und Eidechſe und Vogel. Und Säugetier. Und du. Auch du ſtammſt von der Ur-Gaſträa, dem erſten Zellenverbande, der die Arbeitsteilung in Bewegungszellen und Freßzellen, in Haut und Darm, kon¬ ſequent durchführte ..... Merkſt du nun den Unterſchied? Den rieſigen Unter¬ ſchied? Du warſt auf dem Wege, den Menſchen in glatter Kette vom Infuſorium abzuleiten, das ſich in ſeiner Einzel¬ zelle einen Zellmund und Zellafter ausbildete. Umſonſt. Niemals glückt dir von hier, vom Einzelweſen, und hätte es hundert Organe in ſeiner Zelle ſelbſt, der Anſchluß an den ungeheuren Zellendom Menſch. Es ſcheint geradezu, daß der ſoziale Verband vieler Zellen zu gemeinſamer Neubildung einer Art höheren Individuums mit Arbeitsteilung in Zellorganen die einfache Organbildung und überhaupt die weitere individuelle Fortbildung bei den Einzellern gelähmt und beiſeite geſchoben hat. Sie iſt ein verlaſſener Seitenweg für die ganze eigent¬ liche Fortentwickelung geblieben. Nicht aus dem Infuſorium als ſolchem entſtanden die Hochweſen der Erde, entſtand der Menſch. Sie alle und er mit ſtehen auf dem Infuſorien- Staat, dem ſozialen Verbande vieler Infuſorien, der ſich all¬ mählich zur Grundlage neuer, höherer Individuen auswuchs. In dieſem Entſtehen neuer Individuen aus ſozialen Ver¬ bänden liegt ja gewiß ein an ſich überaus wunderbarer Prozeß. Du biſt ein Individuum, ein Ich, nicht wahr? Biſt dir ſelber geradezu das Exempel, die Urform des Individuums über¬ haupt. Und doch ſollſt du vormaleinſt mit der ganzen Menſch¬ heit ſo entſtanden ſein, daß viele Millionen von winzigen Zellindividuen zu dir ſich zuſammenſchloſſen in ſozialer Gemein¬ ſchaft und ſo eng ſich verketteten, daß dir ſelber das Ganze 12

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/193>, abgerufen am 27.04.2024.