Die Myriaden Zellen, die deinen Menschenleib zusammen¬ setzen, bilden nicht nur einen sozialen Verband allein, sondern es ist innerhalb dieses sozialen Zellenverbandes eine höchst weise und glückliche Arbeitsteilung eingetreten. Von Myriaden Zellen deines Leibes sind so und so viele nur allein beschäftigt, zu fressen: sie bilden deine Ernährungsorgane, zum Beispiel deinen Darm. So und so viele hören nur noch: sie bilden dein Gehörorgan bis ins Gehirn hinein. So und so viele sehen nur noch: sie bilden deine Sehwerkzeuge vom äußeren Auge bis abermals tief ins Gehirn. Und so weiter. Da aber alle Einzelzellen und alle aus Zellen gebildeten Einzelorgane gleichzeitig in festem sozialem Verbande mit allen anderen stehen, so dient jede Separatarbeit den sämtlichen übrigen Zellen mit: wenn die Darmzellen Nährsäfte aufsaugen, so zirkuliert die so gewonnene Nahrung frei auch durch alle übrigen, selber nicht direkt fressenden Zellen des Leibes hin¬ durch, -- auch die Sehzellen, Hörzellen, Bewegungszellen und wie sie alle heißen des ganzen Menschenleibes werden von hier aus indirekt gefüttert und gestärkt, die Darmzellen "fressen für sie mit".
Solche wunderbare Arbeitsteilung kannst du natürlich bei der Amöbe oder dem Bazillus noch nicht sehen, denn da ist ja noch gar kein sozialer Verband von Zellen da -- es liegt überhaupt nur eine "Zelle" vor, die allein den ganzen Leib bildet und natürlich auch alles zugleich thun muß: fressen, atmen, empfinden und so weiter. Aber auch bei der Volvox¬ kugel siehst du noch so gut wie nichts von jener großartigen Arbeitsteilung selbst. Hier ist wohl schon sozialer Verband. Aber noch frißt zum Beispiel jede Zelle im Verband für sich, es ist noch kein "Darm" im Sinne einer durch Arbeitsteilung geschaffenen Einzelgruppe von Freßzellen da, die als "Fre߬ organ" für die ganze Zellkugel mitfräßen. Diese verwickeltere Arbeitsteilung hat sich offenbar erst entwickelt auf dem Wege zwischen volvoxähnlichen Zellkugeln und dir.
Die Myriaden Zellen, die deinen Menſchenleib zuſammen¬ ſetzen, bilden nicht nur einen ſozialen Verband allein, ſondern es iſt innerhalb dieſes ſozialen Zellenverbandes eine höchſt weiſe und glückliche Arbeitsteilung eingetreten. Von Myriaden Zellen deines Leibes ſind ſo und ſo viele nur allein beſchäftigt, zu freſſen: ſie bilden deine Ernährungsorgane, zum Beiſpiel deinen Darm. So und ſo viele hören nur noch: ſie bilden dein Gehörorgan bis ins Gehirn hinein. So und ſo viele ſehen nur noch: ſie bilden deine Sehwerkzeuge vom äußeren Auge bis abermals tief ins Gehirn. Und ſo weiter. Da aber alle Einzelzellen und alle aus Zellen gebildeten Einzelorgane gleichzeitig in feſtem ſozialem Verbande mit allen anderen ſtehen, ſo dient jede Separatarbeit den ſämtlichen übrigen Zellen mit: wenn die Darmzellen Nährſäfte aufſaugen, ſo zirkuliert die ſo gewonnene Nahrung frei auch durch alle übrigen, ſelber nicht direkt freſſenden Zellen des Leibes hin¬ durch, — auch die Sehzellen, Hörzellen, Bewegungszellen und wie ſie alle heißen des ganzen Menſchenleibes werden von hier aus indirekt gefüttert und geſtärkt, die Darmzellen „freſſen für ſie mit“.
Solche wunderbare Arbeitsteilung kannſt du natürlich bei der Amöbe oder dem Bazillus noch nicht ſehen, denn da iſt ja noch gar kein ſozialer Verband von Zellen da — es liegt überhaupt nur eine „Zelle“ vor, die allein den ganzen Leib bildet und natürlich auch alles zugleich thun muß: freſſen, atmen, empfinden und ſo weiter. Aber auch bei der Volvox¬ kugel ſiehſt du noch ſo gut wie nichts von jener großartigen Arbeitsteilung ſelbſt. Hier iſt wohl ſchon ſozialer Verband. Aber noch frißt zum Beiſpiel jede Zelle im Verband für ſich, es iſt noch kein „Darm“ im Sinne einer durch Arbeitsteilung geſchaffenen Einzelgruppe von Freßzellen da, die als „Fre߬ organ“ für die ganze Zellkugel mitfräßen. Dieſe verwickeltere Arbeitsteilung hat ſich offenbar erſt entwickelt auf dem Wege zwiſchen volvoxähnlichen Zellkugeln und dir.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0189"n="173"/><p>Die Myriaden Zellen, die deinen Menſchenleib zuſammen¬<lb/>ſetzen, bilden nicht nur einen ſozialen Verband allein, ſondern<lb/>
es iſt innerhalb dieſes ſozialen Zellenverbandes eine höchſt<lb/>
weiſe und glückliche Arbeitsteilung eingetreten. Von Myriaden<lb/>
Zellen deines Leibes ſind ſo und ſo viele nur allein beſchäftigt,<lb/>
zu freſſen: ſie bilden deine Ernährungsorgane, zum Beiſpiel<lb/>
deinen Darm. So und ſo viele hören nur noch: ſie bilden<lb/>
dein Gehörorgan bis ins Gehirn hinein. So und ſo viele<lb/>ſehen nur noch: ſie bilden deine Sehwerkzeuge vom äußeren<lb/>
Auge bis abermals tief ins Gehirn. Und ſo weiter. Da aber<lb/>
alle Einzelzellen und alle aus Zellen gebildeten Einzelorgane<lb/>
gleichzeitig in feſtem ſozialem Verbande mit allen anderen<lb/>ſtehen, ſo dient jede Separatarbeit den ſämtlichen übrigen<lb/>
Zellen <hirendition="#g">mit</hi>: wenn die Darmzellen Nährſäfte aufſaugen, ſo<lb/>
zirkuliert die ſo gewonnene Nahrung frei auch durch alle<lb/>
übrigen, ſelber nicht direkt freſſenden Zellen des Leibes hin¬<lb/>
durch, — auch die Sehzellen, Hörzellen, Bewegungszellen und<lb/>
wie ſie alle heißen des ganzen Menſchenleibes werden von<lb/>
hier aus indirekt gefüttert und geſtärkt, die Darmzellen „freſſen<lb/>
für ſie mit“.</p><lb/><p>Solche wunderbare Arbeitsteilung kannſt du natürlich bei<lb/>
der Amöbe oder dem Bazillus noch nicht ſehen, denn da iſt ja<lb/>
noch gar kein ſozialer Verband von Zellen da — es liegt<lb/>
überhaupt nur eine „Zelle“ vor, die allein den ganzen Leib<lb/>
bildet und natürlich auch alles zugleich thun muß: freſſen,<lb/>
atmen, empfinden und ſo weiter. Aber auch bei der Volvox¬<lb/>
kugel ſiehſt du noch ſo gut wie nichts von jener großartigen<lb/>
Arbeitsteilung ſelbſt. Hier iſt wohl ſchon ſozialer Verband.<lb/>
Aber noch frißt zum Beiſpiel <hirendition="#g">jede</hi> Zelle im Verband für ſich,<lb/>
es iſt noch kein „Darm“ im Sinne einer durch Arbeitsteilung<lb/>
geſchaffenen Einzelgruppe von Freßzellen da, die als „Fre߬<lb/>
organ“ für die ganze Zellkugel mitfräßen. Dieſe verwickeltere<lb/>
Arbeitsteilung hat ſich offenbar erſt <hirendition="#g">entwickelt</hi> auf dem Wege<lb/>
zwiſchen volvoxähnlichen Zellkugeln und dir.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[173/0189]
Die Myriaden Zellen, die deinen Menſchenleib zuſammen¬
ſetzen, bilden nicht nur einen ſozialen Verband allein, ſondern
es iſt innerhalb dieſes ſozialen Zellenverbandes eine höchſt
weiſe und glückliche Arbeitsteilung eingetreten. Von Myriaden
Zellen deines Leibes ſind ſo und ſo viele nur allein beſchäftigt,
zu freſſen: ſie bilden deine Ernährungsorgane, zum Beiſpiel
deinen Darm. So und ſo viele hören nur noch: ſie bilden
dein Gehörorgan bis ins Gehirn hinein. So und ſo viele
ſehen nur noch: ſie bilden deine Sehwerkzeuge vom äußeren
Auge bis abermals tief ins Gehirn. Und ſo weiter. Da aber
alle Einzelzellen und alle aus Zellen gebildeten Einzelorgane
gleichzeitig in feſtem ſozialem Verbande mit allen anderen
ſtehen, ſo dient jede Separatarbeit den ſämtlichen übrigen
Zellen mit: wenn die Darmzellen Nährſäfte aufſaugen, ſo
zirkuliert die ſo gewonnene Nahrung frei auch durch alle
übrigen, ſelber nicht direkt freſſenden Zellen des Leibes hin¬
durch, — auch die Sehzellen, Hörzellen, Bewegungszellen und
wie ſie alle heißen des ganzen Menſchenleibes werden von
hier aus indirekt gefüttert und geſtärkt, die Darmzellen „freſſen
für ſie mit“.
Solche wunderbare Arbeitsteilung kannſt du natürlich bei
der Amöbe oder dem Bazillus noch nicht ſehen, denn da iſt ja
noch gar kein ſozialer Verband von Zellen da — es liegt
überhaupt nur eine „Zelle“ vor, die allein den ganzen Leib
bildet und natürlich auch alles zugleich thun muß: freſſen,
atmen, empfinden und ſo weiter. Aber auch bei der Volvox¬
kugel ſiehſt du noch ſo gut wie nichts von jener großartigen
Arbeitsteilung ſelbſt. Hier iſt wohl ſchon ſozialer Verband.
Aber noch frißt zum Beiſpiel jede Zelle im Verband für ſich,
es iſt noch kein „Darm“ im Sinne einer durch Arbeitsteilung
geſchaffenen Einzelgruppe von Freßzellen da, die als „Fre߬
organ“ für die ganze Zellkugel mitfräßen. Dieſe verwickeltere
Arbeitsteilung hat ſich offenbar erſt entwickelt auf dem Wege
zwiſchen volvoxähnlichen Zellkugeln und dir.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/189>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.