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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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gelegt, gleichsam aneinander verankert, wohl auch durch die
natürliche Durchlässigkeit ihrer Wände eine leichte und lose
Zirkulation flüssiger Stoffe hergestellt -- aber nicht mehr.

Diese Beschränkung in einer Hinsicht haben sie aber dann
weit überboten durch den anderen, eigenen Fortschritt, daß sie
sich nicht mehr bloß zu zwei und zwei, sondern zu zehn, hundert,
tausend, ja im gewöhnlichen Volvoxkügelchen bis zu zwölftausend
auf einmal äußerlich aneinander geklebt haben. Sie sind über
den Liebesverband mit seiner unbegrenzten Innerlichkeit, die
aber durchweg auf zwei Genossen beschränkt war, fortgeschritten
zum sozialen Verband mit weit mehr Äußerlichkeit des An¬
schlusses, aber mit der Möglichkeit solchen Anschlusses von
Tausenden aneinander.

Springe mal wieder zu dir zurück. Du, als Mensch, --
wem gleichst du in deinem Körperaufbau mehr: einem einzelnen
einzelligen Urwesen oder einer Volvoxkugel? Erinnere dich an
unsere Unterredung über den Zellenbau deines Leibes. Was
ist ein einzelliges einzelnes Urwesen, eine einzelne Amöbe oder
ein einzelner Bazillus? Eine Zelle, -- das ist: ein Ziegel¬
stein des Lebens. Was bist du? Ein Verband von Milliarden
von Zellen, -- das ist: ein riesiges Haus aus unzähligen
solcher Ziegelsteine. Was ist aber jetzt die Volvoxkugel? Ein
Verband von einigen Tausend Zellen -- das ist: eine kleine
Hütte, aus ein paar Tausend Ziegeln lose aufgemauert. Du
siehst vollkommen klar: die Volvoxkugel zeigt dir den wahren
Weg an zwischen dem einzelligen Urwesen und dir. Es ist der
Weg über den sozialen Verband vieler Zellen, vieler
lebender Ziegelsteine zu Bauten höherer Art -- erst kleine
Mäuerchen, dann Hütten, dann Paläste, endlich hohe Dome,
aus denen der Geist des Menschen zum Sternenhimmel
schaut .....

Freilich ist gerade diese Volvoxkugel selber ihrer Atmungs¬
weise nach den Pflanzen verwandter als den Tieren. Aus ihr
hat sich in direkter Linie wohl nicht der Mensch, sondern

gelegt, gleichſam aneinander verankert, wohl auch durch die
natürliche Durchläſſigkeit ihrer Wände eine leichte und loſe
Zirkulation flüſſiger Stoffe hergeſtellt — aber nicht mehr.

Dieſe Beſchränkung in einer Hinſicht haben ſie aber dann
weit überboten durch den anderen, eigenen Fortſchritt, daß ſie
ſich nicht mehr bloß zu zwei und zwei, ſondern zu zehn, hundert,
tauſend, ja im gewöhnlichen Volvoxkügelchen bis zu zwölftauſend
auf einmal äußerlich aneinander geklebt haben. Sie ſind über
den Liebesverband mit ſeiner unbegrenzten Innerlichkeit, die
aber durchweg auf zwei Genoſſen beſchränkt war, fortgeſchritten
zum ſozialen Verband mit weit mehr Äußerlichkeit des An¬
ſchluſſes, aber mit der Möglichkeit ſolchen Anſchluſſes von
Tauſenden aneinander.

Springe mal wieder zu dir zurück. Du, als Menſch, —
wem gleichſt du in deinem Körperaufbau mehr: einem einzelnen
einzelligen Urweſen oder einer Volvoxkugel? Erinnere dich an
unſere Unterredung über den Zellenbau deines Leibes. Was
iſt ein einzelliges einzelnes Urweſen, eine einzelne Amöbe oder
ein einzelner Bazillus? Eine Zelle, — das iſt: ein Ziegel¬
ſtein des Lebens. Was biſt du? Ein Verband von Milliarden
von Zellen, — das iſt: ein rieſiges Haus aus unzähligen
ſolcher Ziegelſteine. Was iſt aber jetzt die Volvoxkugel? Ein
Verband von einigen Tauſend Zellen — das iſt: eine kleine
Hütte, aus ein paar Tauſend Ziegeln loſe aufgemauert. Du
ſiehſt vollkommen klar: die Volvoxkugel zeigt dir den wahren
Weg an zwiſchen dem einzelligen Urweſen und dir. Es iſt der
Weg über den ſozialen Verband vieler Zellen, vieler
lebender Ziegelſteine zu Bauten höherer Art — erſt kleine
Mäuerchen, dann Hütten, dann Paläſte, endlich hohe Dome,
aus denen der Geiſt des Menſchen zum Sternenhimmel
ſchaut .....

Freilich iſt gerade dieſe Volvoxkugel ſelber ihrer Atmungs¬
weiſe nach den Pflanzen verwandter als den Tieren. Aus ihr
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[171/0187] gelegt, gleichſam aneinander verankert, wohl auch durch die natürliche Durchläſſigkeit ihrer Wände eine leichte und loſe Zirkulation flüſſiger Stoffe hergeſtellt — aber nicht mehr. Dieſe Beſchränkung in einer Hinſicht haben ſie aber dann weit überboten durch den anderen, eigenen Fortſchritt, daß ſie ſich nicht mehr bloß zu zwei und zwei, ſondern zu zehn, hundert, tauſend, ja im gewöhnlichen Volvoxkügelchen bis zu zwölftauſend auf einmal äußerlich aneinander geklebt haben. Sie ſind über den Liebesverband mit ſeiner unbegrenzten Innerlichkeit, die aber durchweg auf zwei Genoſſen beſchränkt war, fortgeſchritten zum ſozialen Verband mit weit mehr Äußerlichkeit des An¬ ſchluſſes, aber mit der Möglichkeit ſolchen Anſchluſſes von Tauſenden aneinander. Springe mal wieder zu dir zurück. Du, als Menſch, — wem gleichſt du in deinem Körperaufbau mehr: einem einzelnen einzelligen Urweſen oder einer Volvoxkugel? Erinnere dich an unſere Unterredung über den Zellenbau deines Leibes. Was iſt ein einzelliges einzelnes Urweſen, eine einzelne Amöbe oder ein einzelner Bazillus? Eine Zelle, — das iſt: ein Ziegel¬ ſtein des Lebens. Was biſt du? Ein Verband von Milliarden von Zellen, — das iſt: ein rieſiges Haus aus unzähligen ſolcher Ziegelſteine. Was iſt aber jetzt die Volvoxkugel? Ein Verband von einigen Tauſend Zellen — das iſt: eine kleine Hütte, aus ein paar Tauſend Ziegeln loſe aufgemauert. Du ſiehſt vollkommen klar: die Volvoxkugel zeigt dir den wahren Weg an zwiſchen dem einzelligen Urweſen und dir. Es iſt der Weg über den ſozialen Verband vieler Zellen, vieler lebender Ziegelſteine zu Bauten höherer Art — erſt kleine Mäuerchen, dann Hütten, dann Paläſte, endlich hohe Dome, aus denen der Geiſt des Menſchen zum Sternenhimmel ſchaut ..... Freilich iſt gerade dieſe Volvoxkugel ſelber ihrer Atmungs¬ weiſe nach den Pflanzen verwandter als den Tieren. Aus ihr hat ſich in direkter Linie wohl nicht der Menſch, ſondern

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/187>, abgerufen am 28.04.2024.