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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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stehende Pflanze. Auch hier spalten sich auf der einen Seite
regelmäßig große, ruhig abwartende Zellen ab, auf der anderen
schwärmen kleine, wildbewegte aus. Auch hier ein regelmäßiges
Sichfinden und Verschmelzen dieser deutlich schon verschiedenen
zwei Zellensorten. Interessant ist dabei zu beobachten, mit
welcher Sicherheit die im Flutwasser gelösten, zunächst regellos
wimmelnden Schwärmzellen die Ruhezellen zu entdecken und zu
erfassen wissen. Man nimmt an, daß die großen Ruhezellen
das ganze Wasser in ihrer Umgebung mit gewissen Stoffen
(organischen Säuren) durchsetzen, die auf die kleinen Schwärm¬
zellen einen anlockenden Reiz ausüben: die Liebesanziehung
läuft schon hier über eine Sinnesempfindung. In unserem
Zwergenmärchen habe ich zwar immer symbolisch so gesprochen,
als "sähen" die Zwerglein sich. Aber du mußt dir das natür¬
lich für einzellige Urwesen oder Pflanzen ohne besondere Sinnes¬
organe ganz allgemein umdenken. Wo noch kein Auge war
und jedenfalls die Lichtempfindung nicht stark genug war, um
im Einzelfalle das Bild einer zweiten Zelle genügend dem
Partner zu übermitteln, da mochten chemische Reize als Geruch
oder Geschmack allein aushelfen, -- Reize, die notabene auch
bei den höheren, mit Augen gut begabten Organismen zweifel¬
los noch mächtig in alle Liebesdinge hineinarbeiten. Du magst
dir in der Sprache unseres Märchens einfach ausmalen, daß
der suchende Zwerg den wartenden schon roch oder am Ge¬
schmack des von ihm durchhauchten Wassers schmeckte, lange ehe
er ihn sah.

Ich könnte dir noch eine Menge Fälle erzählen, die alle
an dieser Ecke die Zwergengeschichte illustrieren. Aber sie laufen
schließlich alle auf dasselbe hinaus. An hundert Ecken und
Enden siehst du überall die Geschlechtertrennung zunächst als
Größenunterschied der beiden Verschmelzungszellen markiert.
Mit diesem Unterschiede vereinigen sich dann Unterschiede der
Beweglichkeit: hier mehr, dort weniger. Unser Zwergen¬
beispiel zeigt dir gleichsam an einem Falle, wie beide Unter¬

ſtehende Pflanze. Auch hier ſpalten ſich auf der einen Seite
regelmäßig große, ruhig abwartende Zellen ab, auf der anderen
ſchwärmen kleine, wildbewegte aus. Auch hier ein regelmäßiges
Sichfinden und Verſchmelzen dieſer deutlich ſchon verſchiedenen
zwei Zellenſorten. Intereſſant iſt dabei zu beobachten, mit
welcher Sicherheit die im Flutwaſſer gelöſten, zunächſt regellos
wimmelnden Schwärmzellen die Ruhezellen zu entdecken und zu
erfaſſen wiſſen. Man nimmt an, daß die großen Ruhezellen
das ganze Waſſer in ihrer Umgebung mit gewiſſen Stoffen
(organiſchen Säuren) durchſetzen, die auf die kleinen Schwärm¬
zellen einen anlockenden Reiz ausüben: die Liebesanziehung
läuft ſchon hier über eine Sinnesempfindung. In unſerem
Zwergenmärchen habe ich zwar immer ſymboliſch ſo geſprochen,
als „ſähen“ die Zwerglein ſich. Aber du mußt dir das natür¬
lich für einzellige Urweſen oder Pflanzen ohne beſondere Sinnes¬
organe ganz allgemein umdenken. Wo noch kein Auge war
und jedenfalls die Lichtempfindung nicht ſtark genug war, um
im Einzelfalle das Bild einer zweiten Zelle genügend dem
Partner zu übermitteln, da mochten chemiſche Reize als Geruch
oder Geſchmack allein aushelfen, — Reize, die notabene auch
bei den höheren, mit Augen gut begabten Organismen zweifel¬
los noch mächtig in alle Liebesdinge hineinarbeiten. Du magſt
dir in der Sprache unſeres Märchens einfach ausmalen, daß
der ſuchende Zwerg den wartenden ſchon roch oder am Ge¬
ſchmack des von ihm durchhauchten Waſſers ſchmeckte, lange ehe
er ihn ſah.

Ich könnte dir noch eine Menge Fälle erzählen, die alle
an dieſer Ecke die Zwergengeſchichte illuſtrieren. Aber ſie laufen
ſchließlich alle auf dasſelbe hinaus. An hundert Ecken und
Enden ſiehſt du überall die Geſchlechtertrennung zunächſt als
Größenunterſchied der beiden Verſchmelzungszellen markiert.
Mit dieſem Unterſchiede vereinigen ſich dann Unterſchiede der
Beweglichkeit: hier mehr, dort weniger. Unſer Zwergen¬
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[162/0178] ſtehende Pflanze. Auch hier ſpalten ſich auf der einen Seite regelmäßig große, ruhig abwartende Zellen ab, auf der anderen ſchwärmen kleine, wildbewegte aus. Auch hier ein regelmäßiges Sichfinden und Verſchmelzen dieſer deutlich ſchon verſchiedenen zwei Zellenſorten. Intereſſant iſt dabei zu beobachten, mit welcher Sicherheit die im Flutwaſſer gelöſten, zunächſt regellos wimmelnden Schwärmzellen die Ruhezellen zu entdecken und zu erfaſſen wiſſen. Man nimmt an, daß die großen Ruhezellen das ganze Waſſer in ihrer Umgebung mit gewiſſen Stoffen (organiſchen Säuren) durchſetzen, die auf die kleinen Schwärm¬ zellen einen anlockenden Reiz ausüben: die Liebesanziehung läuft ſchon hier über eine Sinnesempfindung. In unſerem Zwergenmärchen habe ich zwar immer ſymboliſch ſo geſprochen, als „ſähen“ die Zwerglein ſich. Aber du mußt dir das natür¬ lich für einzellige Urweſen oder Pflanzen ohne beſondere Sinnes¬ organe ganz allgemein umdenken. Wo noch kein Auge war und jedenfalls die Lichtempfindung nicht ſtark genug war, um im Einzelfalle das Bild einer zweiten Zelle genügend dem Partner zu übermitteln, da mochten chemiſche Reize als Geruch oder Geſchmack allein aushelfen, — Reize, die notabene auch bei den höheren, mit Augen gut begabten Organismen zweifel¬ los noch mächtig in alle Liebesdinge hineinarbeiten. Du magſt dir in der Sprache unſeres Märchens einfach ausmalen, daß der ſuchende Zwerg den wartenden ſchon roch oder am Ge¬ ſchmack des von ihm durchhauchten Waſſers ſchmeckte, lange ehe er ihn ſah. Ich könnte dir noch eine Menge Fälle erzählen, die alle an dieſer Ecke die Zwergengeſchichte illuſtrieren. Aber ſie laufen ſchließlich alle auf dasſelbe hinaus. An hundert Ecken und Enden ſiehſt du überall die Geſchlechtertrennung zunächſt als Größenunterſchied der beiden Verſchmelzungszellen markiert. Mit dieſem Unterſchiede vereinigen ſich dann Unterſchiede der Beweglichkeit: hier mehr, dort weniger. Unſer Zwergen¬ beiſpiel zeigt dir gleichſam an einem Falle, wie beide Unter¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/178>, abgerufen am 28.04.2024.