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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Was der Mensch dir aber im intimsten Innenakt so noch
spiegelt, das geben dir eine ganze Anzahl noch lebender Einzel¬
zeller von heute unmittelbar in voller Leibesgestalt. Da wirbelt
ein winziges grünes Kügelchen in rascher Rotation durchs
Wasser, im ganzen noch kein Millimeter dick. Du löst es unter
dem Mikroskop auf: es ist keine einzelne Zelle, kein einzelnes
Einzellwesen, sondern ein Klumpen von solchen. Tausende, die
durch eine Art allerschlichtesten sozialen Verbandes sich zu be¬
weglicher Kugel aneinanderhängen. Volvox, die Kugelalge oder
auch das Kugeltierchen, nennt der Forscher die seltsamen
Dinger. Thatsächlich sind es weder echte Tiere noch echte
Pflanzen, sondern gesellig lebende Urwesen, denen allerdings
die Pflanzen ihrem Ursprung nach näher stehen mögen als die
Tiere. Laß das soziale Moment, das hier schon vortritt, zu¬
nächst einmal beiseite. Halte dich an die Einzelgeschöpfchen
einer solchen Volvoxkugel. Und betrachte die Fortpflanzung.
Da gewahrst du bei verschiedenen Gattungen solcher Volvocinen,
wie öfters bei den heute lebenden Urzellern, allerlei Ver¬
mehrungsmethoden noch nebeneinander. Du siehst einfache Zell¬
teilung, siehst Zerfall in viele kleine schwärmende Zellen, siehst
Verschmelzung (Konjugation) solcher noch völlig gleichartigen
Zellen. Dann aber siehst du auch einen auftauchenden Unter¬
schied zwischen den verschmelzenden Zellen in der Art, daß die
eine größer ist als die andere. Und schließlich findest du
einen scharfen Gegensatz. Bei der eigentlichen gewöhnlichen
Volvoxkugel werden vielfach in der einen Zellkugel zur Fort¬
pflanzung nur noch große, träge, seßhafte Zellen abgespaltet,
in der anderen aber ebenso nur kleine, lebhaft bewegte -- und
die kleinen beweglichen suchen dann die großen trägen zur
Verschmelzung auf.

Du kannst ganz ähnliche Vorgänge noch an etwas ent¬
wickelteren echten Pflanzen sehr hübsch beobachten. Geh an
den nordischen Seestrand und suche dir den überall angespülten
gemeinen derbgrünen Blasentang (Fukus), eine ganz niedrig

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Was der Menſch dir aber im intimſten Innenakt ſo noch
ſpiegelt, das geben dir eine ganze Anzahl noch lebender Einzel¬
zeller von heute unmittelbar in voller Leibesgeſtalt. Da wirbelt
ein winziges grünes Kügelchen in raſcher Rotation durchs
Waſſer, im ganzen noch kein Millimeter dick. Du löſt es unter
dem Mikroſkop auf: es iſt keine einzelne Zelle, kein einzelnes
Einzellweſen, ſondern ein Klumpen von ſolchen. Tauſende, die
durch eine Art allerſchlichteſten ſozialen Verbandes ſich zu be¬
weglicher Kugel aneinanderhängen. Volvox, die Kugelalge oder
auch das Kugeltierchen, nennt der Forſcher die ſeltſamen
Dinger. Thatſächlich ſind es weder echte Tiere noch echte
Pflanzen, ſondern geſellig lebende Urweſen, denen allerdings
die Pflanzen ihrem Urſprung nach näher ſtehen mögen als die
Tiere. Laß das ſoziale Moment, das hier ſchon vortritt, zu¬
nächſt einmal beiſeite. Halte dich an die Einzelgeſchöpfchen
einer ſolchen Volvoxkugel. Und betrachte die Fortpflanzung.
Da gewahrſt du bei verſchiedenen Gattungen ſolcher Volvocinen,
wie öfters bei den heute lebenden Urzellern, allerlei Ver¬
mehrungsmethoden noch nebeneinander. Du ſiehſt einfache Zell¬
teilung, ſiehſt Zerfall in viele kleine ſchwärmende Zellen, ſiehſt
Verſchmelzung (Konjugation) ſolcher noch völlig gleichartigen
Zellen. Dann aber ſiehſt du auch einen auftauchenden Unter¬
ſchied zwiſchen den verſchmelzenden Zellen in der Art, daß die
eine größer iſt als die andere. Und ſchließlich findeſt du
einen ſcharfen Gegenſatz. Bei der eigentlichen gewöhnlichen
Volvoxkugel werden vielfach in der einen Zellkugel zur Fort¬
pflanzung nur noch große, träge, ſeßhafte Zellen abgeſpaltet,
in der anderen aber ebenſo nur kleine, lebhaft bewegte — und
die kleinen beweglichen ſuchen dann die großen trägen zur
Verſchmelzung auf.

Du kannſt ganz ähnliche Vorgänge noch an etwas ent¬
wickelteren echten Pflanzen ſehr hübſch beobachten. Geh an
den nordiſchen Seeſtrand und ſuche dir den überall angeſpülten
gemeinen derbgrünen Blaſentang (Fukus), eine ganz niedrig

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[161/0177] Was der Menſch dir aber im intimſten Innenakt ſo noch ſpiegelt, das geben dir eine ganze Anzahl noch lebender Einzel¬ zeller von heute unmittelbar in voller Leibesgeſtalt. Da wirbelt ein winziges grünes Kügelchen in raſcher Rotation durchs Waſſer, im ganzen noch kein Millimeter dick. Du löſt es unter dem Mikroſkop auf: es iſt keine einzelne Zelle, kein einzelnes Einzellweſen, ſondern ein Klumpen von ſolchen. Tauſende, die durch eine Art allerſchlichteſten ſozialen Verbandes ſich zu be¬ weglicher Kugel aneinanderhängen. Volvox, die Kugelalge oder auch das Kugeltierchen, nennt der Forſcher die ſeltſamen Dinger. Thatſächlich ſind es weder echte Tiere noch echte Pflanzen, ſondern geſellig lebende Urweſen, denen allerdings die Pflanzen ihrem Urſprung nach näher ſtehen mögen als die Tiere. Laß das ſoziale Moment, das hier ſchon vortritt, zu¬ nächſt einmal beiſeite. Halte dich an die Einzelgeſchöpfchen einer ſolchen Volvoxkugel. Und betrachte die Fortpflanzung. Da gewahrſt du bei verſchiedenen Gattungen ſolcher Volvocinen, wie öfters bei den heute lebenden Urzellern, allerlei Ver¬ mehrungsmethoden noch nebeneinander. Du ſiehſt einfache Zell¬ teilung, ſiehſt Zerfall in viele kleine ſchwärmende Zellen, ſiehſt Verſchmelzung (Konjugation) ſolcher noch völlig gleichartigen Zellen. Dann aber ſiehſt du auch einen auftauchenden Unter¬ ſchied zwiſchen den verſchmelzenden Zellen in der Art, daß die eine größer iſt als die andere. Und ſchließlich findeſt du einen ſcharfen Gegenſatz. Bei der eigentlichen gewöhnlichen Volvoxkugel werden vielfach in der einen Zellkugel zur Fort¬ pflanzung nur noch große, träge, ſeßhafte Zellen abgeſpaltet, in der anderen aber ebenſo nur kleine, lebhaft bewegte — und die kleinen beweglichen ſuchen dann die großen trägen zur Verſchmelzung auf. Du kannſt ganz ähnliche Vorgänge noch an etwas ent¬ wickelteren echten Pflanzen ſehr hübſch beobachten. Geh an den nordiſchen Seeſtrand und ſuche dir den überall angeſpülten gemeinen derbgrünen Blaſentang (Fukus), eine ganz niedrig 11

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/177>, abgerufen am 28.04.2024.