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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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erst recht das Mittel, diese Vermischung zu fördern. Aber das
gäbe Ehen im eigenen Vaterhause und die eben will die Pflanze
nicht, will sie durchaus nicht. Was macht sie also? Die beiden
Blütenkränze reifen nicht gleichzeitig, sondern nachein¬
ander
. Früher der weibliche, später erst der männliche. Wäh¬
rend nun die Gefangenen noch unruhig wimmeln, wird auf
einmal der männliche Blütenkranz geschlechtsreif und spaltet
dicke Massen von "Blütenstaub", das heißt: echtem Mannes¬
samen der Pflanze, von sich ab. Die Fliegen werden dick be¬
pudert damit, ohne davon Notiz zu nehmen. Denn ihnen
winkt alsbald jetzt etwas noch viel Wichtigeres. Als habe die
Samenreife da oben die Kraft weggezehrt, so lockern sich und
welken jetzt ganz plötzlich von selber die Reusenborsten: der
Weg in die Sonne wird wieder frei, die Insekten schwärmen
in heller Freude aus. Das scheint mit den Aronsstäben also
doch keine so schlimme Sache! Kaum befreit, siehst du dieselben
Flieglein abermals der Versuchung des ihnen sympathischen
Aasdunstes erliegen und in einen zweiten Blütenschaft klettern.
Husch sind sie abermals durch die Reuse und im Innern. Aber¬
mals ein paar Tage Haft.

Aber nun beobachte genau etwas, was sich diesmal voll¬
zieht, lange ehe die Samenreife auch dieser Blüte schlägt.
Lange vor der Samenreife, im Moment gleich schon, da die
Gäste eindringen, sind hier die weiblichen Blütchen der
Kesselachse reif und bereit zur Befruchtung. Und diesen
reifen Weiberblütchen bringen die Fliegen ja allen Ernstes
diesmal reifen Mannessamen eines anderen, fremden Aron¬
stabes huckepack mit, -- einfach wimmelnd kleben sie ihn jetzt
ohne Willen, aber ganz selbstverständlicher Weise hier am
geeignetsten Orte an. Ist das nicht ein Raffinement ohne
gleichen zur Vermeidung von Bruderehen? Bei manchen Arten
der Aronsstäbe giebt's sogar zwei Fischreusen im Kessel,
eine am Eingang vor den männlichen, eine zweite zwischen
den männlichen und weiblichen Blüten. Die untere kerkert

erſt recht das Mittel, dieſe Vermiſchung zu fördern. Aber das
gäbe Ehen im eigenen Vaterhauſe und die eben will die Pflanze
nicht, will ſie durchaus nicht. Was macht ſie alſo? Die beiden
Blütenkränze reifen nicht gleichzeitig, ſondern nachein¬
ander
. Früher der weibliche, ſpäter erſt der männliche. Wäh¬
rend nun die Gefangenen noch unruhig wimmeln, wird auf
einmal der männliche Blütenkranz geſchlechtsreif und ſpaltet
dicke Maſſen von „Blütenſtaub“, das heißt: echtem Mannes¬
ſamen der Pflanze, von ſich ab. Die Fliegen werden dick be¬
pudert damit, ohne davon Notiz zu nehmen. Denn ihnen
winkt alsbald jetzt etwas noch viel Wichtigeres. Als habe die
Samenreife da oben die Kraft weggezehrt, ſo lockern ſich und
welken jetzt ganz plötzlich von ſelber die Reuſenborſten: der
Weg in die Sonne wird wieder frei, die Inſekten ſchwärmen
in heller Freude aus. Das ſcheint mit den Aronsſtäben alſo
doch keine ſo ſchlimme Sache! Kaum befreit, ſiehſt du dieſelben
Flieglein abermals der Verſuchung des ihnen ſympathiſchen
Aasdunſtes erliegen und in einen zweiten Blütenſchaft klettern.
Huſch ſind ſie abermals durch die Reuſe und im Innern. Aber¬
mals ein paar Tage Haft.

Aber nun beobachte genau etwas, was ſich diesmal voll¬
zieht, lange ehe die Samenreife auch dieſer Blüte ſchlägt.
Lange vor der Samenreife, im Moment gleich ſchon, da die
Gäſte eindringen, ſind hier die weiblichen Blütchen der
Keſſelachſe reif und bereit zur Befruchtung. Und dieſen
reifen Weiberblütchen bringen die Fliegen ja allen Ernſtes
diesmal reifen Mannesſamen eines anderen, fremden Aron¬
ſtabes huckepack mit, — einfach wimmelnd kleben ſie ihn jetzt
ohne Willen, aber ganz ſelbſtverſtändlicher Weiſe hier am
geeignetſten Orte an. Iſt das nicht ein Raffinement ohne
gleichen zur Vermeidung von Bruderehen? Bei manchen Arten
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[155/0171] erſt recht das Mittel, dieſe Vermiſchung zu fördern. Aber das gäbe Ehen im eigenen Vaterhauſe und die eben will die Pflanze nicht, will ſie durchaus nicht. Was macht ſie alſo? Die beiden Blütenkränze reifen nicht gleichzeitig, ſondern nachein¬ ander. Früher der weibliche, ſpäter erſt der männliche. Wäh¬ rend nun die Gefangenen noch unruhig wimmeln, wird auf einmal der männliche Blütenkranz geſchlechtsreif und ſpaltet dicke Maſſen von „Blütenſtaub“, das heißt: echtem Mannes¬ ſamen der Pflanze, von ſich ab. Die Fliegen werden dick be¬ pudert damit, ohne davon Notiz zu nehmen. Denn ihnen winkt alsbald jetzt etwas noch viel Wichtigeres. Als habe die Samenreife da oben die Kraft weggezehrt, ſo lockern ſich und welken jetzt ganz plötzlich von ſelber die Reuſenborſten: der Weg in die Sonne wird wieder frei, die Inſekten ſchwärmen in heller Freude aus. Das ſcheint mit den Aronsſtäben alſo doch keine ſo ſchlimme Sache! Kaum befreit, ſiehſt du dieſelben Flieglein abermals der Verſuchung des ihnen ſympathiſchen Aasdunſtes erliegen und in einen zweiten Blütenſchaft klettern. Huſch ſind ſie abermals durch die Reuſe und im Innern. Aber¬ mals ein paar Tage Haft. Aber nun beobachte genau etwas, was ſich diesmal voll¬ zieht, lange ehe die Samenreife auch dieſer Blüte ſchlägt. Lange vor der Samenreife, im Moment gleich ſchon, da die Gäſte eindringen, ſind hier die weiblichen Blütchen der Keſſelachſe reif und bereit zur Befruchtung. Und dieſen reifen Weiberblütchen bringen die Fliegen ja allen Ernſtes diesmal reifen Mannesſamen eines anderen, fremden Aron¬ ſtabes huckepack mit, — einfach wimmelnd kleben ſie ihn jetzt ohne Willen, aber ganz ſelbſtverſtändlicher Weiſe hier am geeignetſten Orte an. Iſt das nicht ein Raffinement ohne gleichen zur Vermeidung von Bruderehen? Bei manchen Arten der Aronsſtäbe giebt's ſogar zwei Fiſchreuſen im Keſſel, eine am Eingang vor den männlichen, eine zweite zwiſchen den männlichen und weiblichen Blüten. Die untere kerkert

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/171>, abgerufen am 22.11.2024.