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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Aber weit gefehlt. In neunundneunzig Fällen siehst du
die raffiniertesten Vorkehrungen, um diese Zellenverschmelzung,
diese "Zeugung" innerhalb derselben Blüte zu verhindern.
In unzähligen Fällen ist die ganze Blüte darauf angelegt,
daß trotz größter Nähe eine Selbstbefruchtung unmöglich
gemacht wird. Dagegen ist die Blüte, selbst unbeweglich, wie
sie ist, aufs genaueste auf den Besuch gewisser beweglicher, von
Blume zu Blume schwärmender Insekten angelegt. Diese In¬
sekten -- Bienen, Hummeln, Fliegen, Schmetterlinge -- werden
von der Pflanze durch allerlei Farben, Gerüche und süße Honig¬
quellen angelockt. Um an den Honig zu gelangen, müssen sie
in die Blume hineinkriechen oder mit dem Rüssel hineinlangen.
Bei dieser Gelegenheit bepudert die eine Blüte das Insekt aber
mit ihrem Blütenstaub, also Samenzellen, und indem das In¬
sekt jetzt weiterfliegt zu einer zweiten Blüte derselben Art, klebt
es dort die Samenzellen an den weiblichen Geschlechtsteil (den
Griffel und Fruchtknoten) ganz von selbst und ohne Willen an
und vermittelt so doch eine Befruchtung übers Kreuz, die offenbar
für den ganzen Lebenshaushalt auch dieser Pflanzen eine wich¬
tige, ja unerläßliche Bedingung ist. Derselbe Fall hier, wie
dort, wenn auch unendlich viel komplizierter: der Brudersamen
am eigenen Blütenstock wird ängstlich vermieden, -- der fremde
Samen dagegen, den das Insekt anschleift, ist will¬
kommenster Verschmelzungsfreund! Ich will dir
ein Beispiel ausmalen, da die Sache nach jeder
Richtung zu interessant ist.

Greife dir dort hinten im Grase unter den Öl¬
bäumen einen jener seltsamen bleichgrünen Schäfte,
in denen ein großes Blatt wie eine eingerollte
Fahne über ihrer Blüte zusammengefaltet scheint.
Ein sogenannter Aronsstab, aus der Pflanzengruppe
der Aroideen. Brich die grüne Blütenscheide ge¬

Aber weit gefehlt. In neunundneunzig Fällen ſiehſt du
die raffinierteſten Vorkehrungen, um dieſe Zellenverſchmelzung,
dieſe „Zeugung“ innerhalb derſelben Blüte zu verhindern.
In unzähligen Fällen iſt die ganze Blüte darauf angelegt,
daß trotz größter Nähe eine Selbſtbefruchtung unmöglich
gemacht wird. Dagegen iſt die Blüte, ſelbſt unbeweglich, wie
ſie iſt, aufs genaueſte auf den Beſuch gewiſſer beweglicher, von
Blume zu Blume ſchwärmender Inſekten angelegt. Dieſe In¬
ſekten — Bienen, Hummeln, Fliegen, Schmetterlinge — werden
von der Pflanze durch allerlei Farben, Gerüche und ſüße Honig¬
quellen angelockt. Um an den Honig zu gelangen, müſſen ſie
in die Blume hineinkriechen oder mit dem Rüſſel hineinlangen.
Bei dieſer Gelegenheit bepudert die eine Blüte das Inſekt aber
mit ihrem Blütenſtaub, alſo Samenzellen, und indem das In¬
ſekt jetzt weiterfliegt zu einer zweiten Blüte derſelben Art, klebt
es dort die Samenzellen an den weiblichen Geſchlechtsteil (den
Griffel und Fruchtknoten) ganz von ſelbſt und ohne Willen an
und vermittelt ſo doch eine Befruchtung übers Kreuz, die offenbar
für den ganzen Lebenshaushalt auch dieſer Pflanzen eine wich¬
tige, ja unerläßliche Bedingung iſt. Derſelbe Fall hier, wie
dort, wenn auch unendlich viel komplizierter: der Bruderſamen
am eigenen Blütenſtock wird ängſtlich vermieden, — der fremde
Samen dagegen, den das Inſekt anſchleift, iſt will¬
kommenſter Verſchmelzungsfreund! Ich will dir
ein Beiſpiel ausmalen, da die Sache nach jeder
Richtung zu intereſſant iſt.

Greife dir dort hinten im Graſe unter den Öl¬
bäumen einen jener ſeltſamen bleichgrünen Schäfte,
in denen ein großes Blatt wie eine eingerollte
Fahne über ihrer Blüte zuſammengefaltet ſcheint.
Ein ſogenannter Aronsſtab, aus der Pflanzengruppe
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[153/0169] Aber weit gefehlt. In neunundneunzig Fällen ſiehſt du die raffinierteſten Vorkehrungen, um dieſe Zellenverſchmelzung, dieſe „Zeugung“ innerhalb derſelben Blüte zu verhindern. In unzähligen Fällen iſt die ganze Blüte darauf angelegt, daß trotz größter Nähe eine Selbſtbefruchtung unmöglich gemacht wird. Dagegen iſt die Blüte, ſelbſt unbeweglich, wie ſie iſt, aufs genaueſte auf den Beſuch gewiſſer beweglicher, von Blume zu Blume ſchwärmender Inſekten angelegt. Dieſe In¬ ſekten — Bienen, Hummeln, Fliegen, Schmetterlinge — werden von der Pflanze durch allerlei Farben, Gerüche und ſüße Honig¬ quellen angelockt. Um an den Honig zu gelangen, müſſen ſie in die Blume hineinkriechen oder mit dem Rüſſel hineinlangen. Bei dieſer Gelegenheit bepudert die eine Blüte das Inſekt aber mit ihrem Blütenſtaub, alſo Samenzellen, und indem das In¬ ſekt jetzt weiterfliegt zu einer zweiten Blüte derſelben Art, klebt es dort die Samenzellen an den weiblichen Geſchlechtsteil (den Griffel und Fruchtknoten) ganz von ſelbſt und ohne Willen an und vermittelt ſo doch eine Befruchtung übers Kreuz, die offenbar für den ganzen Lebenshaushalt auch dieſer Pflanzen eine wich¬ tige, ja unerläßliche Bedingung iſt. Derſelbe Fall hier, wie dort, wenn auch unendlich viel komplizierter: der Bruderſamen am eigenen Blütenſtock wird ängſtlich vermieden, — der fremde Samen dagegen, den das Inſekt anſchleift, iſt will¬ kommenſter Verſchmelzungsfreund! Ich will dir ein Beiſpiel ausmalen, da die Sache nach jeder Richtung zu intereſſant iſt. Greife dir dort hinten im Graſe unter den Öl¬ bäumen einen jener ſeltſamen bleichgrünen Schäfte, in denen ein großes Blatt wie eine eingerollte Fahne über ihrer Blüte zuſammengefaltet ſcheint. Ein ſogenannter Aronsſtab, aus der Pflanzengruppe der Aroideen. Brich die grüne Blütenſcheide ge¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/169>, abgerufen am 28.04.2024.