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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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daß man das eigene Brüderlein immer möglichst vermied und
den Fremden zum Zwecke bevorzugte.

Das hatte aber wieder eine neue Folge. Die kleinen
Dezimierungszwerge aus derselben Teilungshecke gewöhnten sich
noch mehr als früher ans Wandern. Bei dem allgemein ziem¬
lich gleichen Aussehen war es meist verzweifelt schwer, im
Moment zu entscheiden, ob ein Begegnender ein Bruder oder
ein Fremder sei. In der Ferne, weit ab von allen Brüdern
überhaupt, verlor sich diese Gefahr aber so gut wie ganz.
Also hinaus auf die Wanderschaft! Das Wandern war bald
nicht mehr bloß eine Laune, sondern ein Lebenszweck. Und
die kleinen Rumpelstilzchen fuchsten sich allmählich so darauf
ein, daß sie mit ihrem rüstigen Schritt schließlich kaum noch
gegen früher wiederzuerkennen waren. Nicht lange: und das
Wandern selbst zeitigte einen neuen Fortschritt zur Sache.
Wir haben jetzt immer von den Duodez-Zwerglein gehört,
die aus der Massenzerreißung eines alten Rumpelstilzes in
zwölf oder mehr Teile hervorgingen. Aber du erinnerst dich:
es wurden auch andere Rumpelstilzler vorher erwähnt, die
sich zwar noch in zwei Stücke zerrissen, aber zwei ungleich
große. Solche Zwerge lebten in den Weiten des Zwergen¬
reichs ebenfalls reichlich genug. Ich sagte dir schon: das
kleinere losgerissene Zwerglein nach der Teilung hatte auch
hier wohl seine liebe Not, durch starke Mahlzeiten sich auf
die Normalgröße wieder heraufzubringen. Aber die Ver¬
schmelzerei war hier doch bisher nicht so recht in Mode ge¬
kommen. Weißt du, ein solches ungleiches Stilzchen aus der
Zweiteilung war ja immer noch ein Riese gegen jene Zwölf¬
linge oder Zwanziglinge. Es brauchte die Schmelzmethode
nicht unbedingt. Öfter führte sie ihm geradezu zu Mißständen,
wenn nämlich die Stilzchen beide schon zu groß waren und
zusammenwachsend dann über das normale Hauptmaß weit
hinausschnellten. Kurz: man war hier der Sache nicht gerade
prinzipiell abgeneigt, aber man suchte sie nicht. Da auch noch

daß man das eigene Brüderlein immer möglichſt vermied und
den Fremden zum Zwecke bevorzugte.

Das hatte aber wieder eine neue Folge. Die kleinen
Dezimierungszwerge aus derſelben Teilungshecke gewöhnten ſich
noch mehr als früher ans Wandern. Bei dem allgemein ziem¬
lich gleichen Ausſehen war es meiſt verzweifelt ſchwer, im
Moment zu entſcheiden, ob ein Begegnender ein Bruder oder
ein Fremder ſei. In der Ferne, weit ab von allen Brüdern
überhaupt, verlor ſich dieſe Gefahr aber ſo gut wie ganz.
Alſo hinaus auf die Wanderſchaft! Das Wandern war bald
nicht mehr bloß eine Laune, ſondern ein Lebenszweck. Und
die kleinen Rumpelſtilzchen fuchſten ſich allmählich ſo darauf
ein, daß ſie mit ihrem rüſtigen Schritt ſchließlich kaum noch
gegen früher wiederzuerkennen waren. Nicht lange: und das
Wandern ſelbſt zeitigte einen neuen Fortſchritt zur Sache.
Wir haben jetzt immer von den Duodez-Zwerglein gehört,
die aus der Maſſenzerreißung eines alten Rumpelſtilzes in
zwölf oder mehr Teile hervorgingen. Aber du erinnerſt dich:
es wurden auch andere Rumpelſtilzler vorher erwähnt, die
ſich zwar noch in zwei Stücke zerriſſen, aber zwei ungleich
große. Solche Zwerge lebten in den Weiten des Zwergen¬
reichs ebenfalls reichlich genug. Ich ſagte dir ſchon: das
kleinere losgeriſſene Zwerglein nach der Teilung hatte auch
hier wohl ſeine liebe Not, durch ſtarke Mahlzeiten ſich auf
die Normalgröße wieder heraufzubringen. Aber die Ver¬
ſchmelzerei war hier doch bisher nicht ſo recht in Mode ge¬
kommen. Weißt du, ein ſolches ungleiches Stilzchen aus der
Zweiteilung war ja immer noch ein Rieſe gegen jene Zwölf¬
linge oder Zwanziglinge. Es brauchte die Schmelzmethode
nicht unbedingt. Öfter führte ſie ihm geradezu zu Mißſtänden,
wenn nämlich die Stilzchen beide ſchon zu groß waren und
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[136/0152] daß man das eigene Brüderlein immer möglichſt vermied und den Fremden zum Zwecke bevorzugte. Das hatte aber wieder eine neue Folge. Die kleinen Dezimierungszwerge aus derſelben Teilungshecke gewöhnten ſich noch mehr als früher ans Wandern. Bei dem allgemein ziem¬ lich gleichen Ausſehen war es meiſt verzweifelt ſchwer, im Moment zu entſcheiden, ob ein Begegnender ein Bruder oder ein Fremder ſei. In der Ferne, weit ab von allen Brüdern überhaupt, verlor ſich dieſe Gefahr aber ſo gut wie ganz. Alſo hinaus auf die Wanderſchaft! Das Wandern war bald nicht mehr bloß eine Laune, ſondern ein Lebenszweck. Und die kleinen Rumpelſtilzchen fuchſten ſich allmählich ſo darauf ein, daß ſie mit ihrem rüſtigen Schritt ſchließlich kaum noch gegen früher wiederzuerkennen waren. Nicht lange: und das Wandern ſelbſt zeitigte einen neuen Fortſchritt zur Sache. Wir haben jetzt immer von den Duodez-Zwerglein gehört, die aus der Maſſenzerreißung eines alten Rumpelſtilzes in zwölf oder mehr Teile hervorgingen. Aber du erinnerſt dich: es wurden auch andere Rumpelſtilzler vorher erwähnt, die ſich zwar noch in zwei Stücke zerriſſen, aber zwei ungleich große. Solche Zwerge lebten in den Weiten des Zwergen¬ reichs ebenfalls reichlich genug. Ich ſagte dir ſchon: das kleinere losgeriſſene Zwerglein nach der Teilung hatte auch hier wohl ſeine liebe Not, durch ſtarke Mahlzeiten ſich auf die Normalgröße wieder heraufzubringen. Aber die Ver¬ ſchmelzerei war hier doch bisher nicht ſo recht in Mode ge¬ kommen. Weißt du, ein ſolches ungleiches Stilzchen aus der Zweiteilung war ja immer noch ein Rieſe gegen jene Zwölf¬ linge oder Zwanziglinge. Es brauchte die Schmelzmethode nicht unbedingt. Öfter führte ſie ihm geradezu zu Mißſtänden, wenn nämlich die Stilzchen beide ſchon zu groß waren und zuſammenwachſend dann über das normale Hauptmaß weit hinausſchnellten. Kurz: man war hier der Sache nicht gerade prinzipiell abgeneigt, aber man ſuchte ſie nicht. Da auch noch

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/152>, abgerufen am 27.04.2024.