eins geworden. Eine große Seligkeit durchdringt sie: die Seligkeit der großen Sättigung. Sie haben sich ja thatsächlich "gefressen" wie die zwei Löwen, und nicht einmal die Schwänze sind übrig geblieben. Aber keiner hat bei diesem Fressen Todesschmerz gefühlt, Leben ging restlos in Leben auf. Und zugleich jetzt pulst in dem neu entstandenen Doppelkörper eine doppelte Kraft gegenüber jedem einzelnen früheren. Jetzt wird Auswachsen zur Vollgröße ein Spiel. Bald ist's erreicht -- und dann giebt's wieder Selbstzerreißung, Kinderkriegen, Fort¬ pflanzung des Zwergenvolkes ins Unendliche -- Juchhe!
Etwas besondere Zwergenveranlagung gehörte freilich dazu, daß solcher Salto mortale von Leben in Leben glückte. Aber verpfropfst du als Mensch nicht auch Pflanzenreiser von einer Pflanze auf die andere, auf daß sie dort lebendig einwachsen, -- pumpt dir der Arzt nicht bei der sogenannten Transfusion lebendiges fremdes Blut in die Adern, -- wird dir nicht bei der medizinischen Praxis der Dermoplastik zur Deckung ent¬ blößter Wundstellen einfach ein Stück Haut "lebendig" ver¬ pflanzt? Denken kannst du dir es also immerhin einmal im Zwergenland.
Nachdem die Sache sich durch natürliche Gleichheit der Gelegenheit einmal so und so oft wiederholt, verbreitete sich allmählich die Tradition bei all den Zwergen, die für Viel¬ teilerei Neigung hatten, und das Verschmelzen mit Genossen im Falle allzugroßer eigener Winzigkeit wurde hier ein fester Brauch, ebenso wie es allgemein das Kinderkriegen durch Teilung selbst war. Nur eins lernte man noch hinzu, und das war allerdings äußerst wichtig.
Unsere Zwerglein hatten, wie ich dir sagte, von Beginn an als Einsiedler gelebt. Sie hatten sich so wenig um Brüder wie um Fremde gekümmert. Jetzt aber, seit die Verschmelzerei wenigstens für die allzukleinen eine Lebensfrage wurde, wurde ihnen gleichsam vom Leben selber auch eingebläut, daß ein Unterschied bestehe zwischen engen Verwandten und Fremden.
eins geworden. Eine große Seligkeit durchdringt ſie: die Seligkeit der großen Sättigung. Sie haben ſich ja thatſächlich „gefreſſen“ wie die zwei Löwen, und nicht einmal die Schwänze ſind übrig geblieben. Aber keiner hat bei dieſem Freſſen Todesſchmerz gefühlt, Leben ging reſtlos in Leben auf. Und zugleich jetzt pulſt in dem neu entſtandenen Doppelkörper eine doppelte Kraft gegenüber jedem einzelnen früheren. Jetzt wird Auswachſen zur Vollgröße ein Spiel. Bald iſt's erreicht — und dann giebt's wieder Selbſtzerreißung, Kinderkriegen, Fort¬ pflanzung des Zwergenvolkes ins Unendliche — Juchhe!
Etwas beſondere Zwergenveranlagung gehörte freilich dazu, daß ſolcher Salto mortale von Leben in Leben glückte. Aber verpfropfſt du als Menſch nicht auch Pflanzenreiſer von einer Pflanze auf die andere, auf daß ſie dort lebendig einwachſen, — pumpt dir der Arzt nicht bei der ſogenannten Transfuſion lebendiges fremdes Blut in die Adern, — wird dir nicht bei der mediziniſchen Praxis der Dermoplaſtik zur Deckung ent¬ blößter Wundſtellen einfach ein Stück Haut „lebendig“ ver¬ pflanzt? Denken kannſt du dir es alſo immerhin einmal im Zwergenland.
Nachdem die Sache ſich durch natürliche Gleichheit der Gelegenheit einmal ſo und ſo oft wiederholt, verbreitete ſich allmählich die Tradition bei all den Zwergen, die für Viel¬ teilerei Neigung hatten, und das Verſchmelzen mit Genoſſen im Falle allzugroßer eigener Winzigkeit wurde hier ein feſter Brauch, ebenſo wie es allgemein das Kinderkriegen durch Teilung ſelbſt war. Nur eins lernte man noch hinzu, und das war allerdings äußerſt wichtig.
Unſere Zwerglein hatten, wie ich dir ſagte, von Beginn an als Einſiedler gelebt. Sie hatten ſich ſo wenig um Brüder wie um Fremde gekümmert. Jetzt aber, ſeit die Verſchmelzerei wenigſtens für die allzukleinen eine Lebensfrage wurde, wurde ihnen gleichſam vom Leben ſelber auch eingebläut, daß ein Unterſchied beſtehe zwiſchen engen Verwandten und Fremden.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0150"n="134"/><hirendition="#g">eins</hi> geworden. Eine große Seligkeit durchdringt ſie: die<lb/>
Seligkeit der großen Sättigung. Sie haben ſich ja thatſächlich<lb/>„gefreſſen“ wie die zwei Löwen, und nicht einmal die Schwänze<lb/>ſind übrig geblieben. Aber keiner hat bei dieſem Freſſen<lb/>
Todesſchmerz gefühlt, Leben ging reſtlos in Leben auf. Und<lb/>
zugleich jetzt pulſt in dem neu entſtandenen Doppelkörper eine<lb/>
doppelte Kraft gegenüber jedem einzelnen früheren. Jetzt wird<lb/>
Auswachſen zur Vollgröße ein Spiel. Bald iſt's erreicht —<lb/>
und dann giebt's wieder Selbſtzerreißung, Kinderkriegen, Fort¬<lb/>
pflanzung des Zwergenvolkes ins Unendliche — Juchhe!</p><lb/><p>Etwas beſondere Zwergenveranlagung gehörte freilich dazu,<lb/>
daß ſolcher Salto mortale von Leben in Leben glückte. Aber<lb/>
verpfropfſt du als Menſch nicht auch Pflanzenreiſer von einer<lb/>
Pflanze auf die andere, auf daß ſie dort lebendig einwachſen, —<lb/>
pumpt dir der Arzt nicht bei der ſogenannten Transfuſion<lb/>
lebendiges fremdes Blut in die Adern, — wird dir nicht bei<lb/>
der mediziniſchen Praxis der Dermoplaſtik zur Deckung ent¬<lb/>
blößter Wundſtellen einfach ein Stück Haut „lebendig“ ver¬<lb/>
pflanzt? Denken kannſt du dir es alſo immerhin einmal im<lb/>
Zwergenland.</p><lb/><p>Nachdem die Sache ſich durch natürliche Gleichheit der<lb/>
Gelegenheit einmal ſo und ſo oft wiederholt, verbreitete ſich<lb/>
allmählich die Tradition bei all den Zwergen, die für Viel¬<lb/>
teilerei Neigung hatten, und das Verſchmelzen mit Genoſſen im<lb/>
Falle allzugroßer eigener Winzigkeit wurde hier ein feſter<lb/>
Brauch, ebenſo wie es allgemein das Kinderkriegen durch<lb/>
Teilung ſelbſt war. Nur eins lernte man noch hinzu, und<lb/>
das war allerdings äußerſt wichtig.</p><lb/><p>Unſere Zwerglein hatten, wie ich dir ſagte, von Beginn<lb/>
an als Einſiedler gelebt. Sie hatten ſich ſo wenig um Brüder<lb/>
wie um Fremde gekümmert. Jetzt aber, ſeit die Verſchmelzerei<lb/>
wenigſtens für die allzukleinen eine Lebensfrage wurde, wurde<lb/>
ihnen gleichſam vom Leben ſelber auch eingebläut, daß ein<lb/>
Unterſchied beſtehe zwiſchen engen Verwandten und Fremden.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[134/0150]
eins geworden. Eine große Seligkeit durchdringt ſie: die
Seligkeit der großen Sättigung. Sie haben ſich ja thatſächlich
„gefreſſen“ wie die zwei Löwen, und nicht einmal die Schwänze
ſind übrig geblieben. Aber keiner hat bei dieſem Freſſen
Todesſchmerz gefühlt, Leben ging reſtlos in Leben auf. Und
zugleich jetzt pulſt in dem neu entſtandenen Doppelkörper eine
doppelte Kraft gegenüber jedem einzelnen früheren. Jetzt wird
Auswachſen zur Vollgröße ein Spiel. Bald iſt's erreicht —
und dann giebt's wieder Selbſtzerreißung, Kinderkriegen, Fort¬
pflanzung des Zwergenvolkes ins Unendliche — Juchhe!
Etwas beſondere Zwergenveranlagung gehörte freilich dazu,
daß ſolcher Salto mortale von Leben in Leben glückte. Aber
verpfropfſt du als Menſch nicht auch Pflanzenreiſer von einer
Pflanze auf die andere, auf daß ſie dort lebendig einwachſen, —
pumpt dir der Arzt nicht bei der ſogenannten Transfuſion
lebendiges fremdes Blut in die Adern, — wird dir nicht bei
der mediziniſchen Praxis der Dermoplaſtik zur Deckung ent¬
blößter Wundſtellen einfach ein Stück Haut „lebendig“ ver¬
pflanzt? Denken kannſt du dir es alſo immerhin einmal im
Zwergenland.
Nachdem die Sache ſich durch natürliche Gleichheit der
Gelegenheit einmal ſo und ſo oft wiederholt, verbreitete ſich
allmählich die Tradition bei all den Zwergen, die für Viel¬
teilerei Neigung hatten, und das Verſchmelzen mit Genoſſen im
Falle allzugroßer eigener Winzigkeit wurde hier ein feſter
Brauch, ebenſo wie es allgemein das Kinderkriegen durch
Teilung ſelbſt war. Nur eins lernte man noch hinzu, und
das war allerdings äußerſt wichtig.
Unſere Zwerglein hatten, wie ich dir ſagte, von Beginn
an als Einſiedler gelebt. Sie hatten ſich ſo wenig um Brüder
wie um Fremde gekümmert. Jetzt aber, ſeit die Verſchmelzerei
wenigſtens für die allzukleinen eine Lebensfrage wurde, wurde
ihnen gleichſam vom Leben ſelber auch eingebläut, daß ein
Unterſchied beſtehe zwiſchen engen Verwandten und Fremden.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/150>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.