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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Elemente, haben an sich etwas Individuelles. Aber hinter
diesen großen Gattungsverschiedenheiten erscheinen dann in der
chemischen Verbindung wie im Elemente als tiefste Instanz
überall erst die eigentlichen Individuen der Moleküle und
Atome, von denen das chemische Atom geradezu die schärfste
und dauerhafteste Individualisierungsform der ganzen stofflichen
Welt darstellt, die unser Ahnen umfaßt.

[Abbildung]

Nimm eine andere Sache. Eine Grunderscheinung der
Fortpflanzung ist die Teilung eines Individuums zum Zweck
eines Neuwerdens. Von dir spalten sich die Samentierchen ab,
vom Weibe die Eizellen. Aus beiden erwächst vereinigt ein
neuer Mensch. Bei niederen Tieren ist die Teilung oft sehr
viel radikaler: statt der bloßen Abspaltung eines winzig kleinen
Teilchens zerfällt das ganze elterliche Individuum in zwei oder
mehr Stücke. Und zwar tritt das deutlich auf als Folge eines
gewissen Wachstums. Ein Bazillus nimmt Nahrung auf. Er
wächst, -- wächst bis zu einem gewissen Grade. Dann ist es
aber auf einmal, als mache sich eine besondere neue Natur¬
kraft ihm gegenüber geltend. Bisher hat ihn irgend eine
Naturkraft als Individuum in sich zusammengehalten. Auch
das Wachstum änderte daran anfangs nichts: die Kraft schien
der vermehrten Größe gewachsen. Aber das Wachstum über¬
schreitet eine gewisse Grenze -- und auf einmal ist die andere,
neue Naturkraft da. Sie reißt das Individuum einfach aus¬
einander. Es zerfällt in zwei Stücke: zwei neue Individuen.
Und wir sagen, ohne daß wir das Wesen der dabei thätigen Kräfte
selber irgendwie näher kennten, einfach: es hat sich fortgepflanzt.

Bei dir selber geht's im Grunde nicht anders als beim
Bazillus. Du wächst vom Kinde heran, zunächst bloß als
Einzelmensch, als das Individuum "du". Du ißt aber kräftig,
wächst, eines Tages bist du Jüngling -- und auf einmal geht

Elemente, haben an ſich etwas Individuelles. Aber hinter
dieſen großen Gattungsverſchiedenheiten erſcheinen dann in der
chemiſchen Verbindung wie im Elemente als tiefſte Inſtanz
überall erſt die eigentlichen Individuen der Moleküle und
Atome, von denen das chemiſche Atom geradezu die ſchärfſte
und dauerhafteſte Individualiſierungsform der ganzen ſtofflichen
Welt darſtellt, die unſer Ahnen umfaßt.

[Abbildung]

Nimm eine andere Sache. Eine Grunderſcheinung der
Fortpflanzung iſt die Teilung eines Individuums zum Zweck
eines Neuwerdens. Von dir ſpalten ſich die Samentierchen ab,
vom Weibe die Eizellen. Aus beiden erwächſt vereinigt ein
neuer Menſch. Bei niederen Tieren iſt die Teilung oft ſehr
viel radikaler: ſtatt der bloßen Abſpaltung eines winzig kleinen
Teilchens zerfällt das ganze elterliche Individuum in zwei oder
mehr Stücke. Und zwar tritt das deutlich auf als Folge eines
gewiſſen Wachstums. Ein Bazillus nimmt Nahrung auf. Er
wächſt, — wächſt bis zu einem gewiſſen Grade. Dann iſt es
aber auf einmal, als mache ſich eine beſondere neue Natur¬
kraft ihm gegenüber geltend. Bisher hat ihn irgend eine
Naturkraft als Individuum in ſich zuſammengehalten. Auch
das Wachstum änderte daran anfangs nichts: die Kraft ſchien
der vermehrten Größe gewachſen. Aber das Wachstum über¬
ſchreitet eine gewiſſe Grenze — und auf einmal iſt die andere,
neue Naturkraft da. Sie reißt das Individuum einfach aus¬
einander. Es zerfällt in zwei Stücke: zwei neue Individuen.
Und wir ſagen, ohne daß wir das Weſen der dabei thätigen Kräfte
ſelber irgendwie näher kennten, einfach: es hat ſich fortgepflanzt.

Bei dir ſelber geht's im Grunde nicht anders als beim
Bazillus. Du wächſt vom Kinde heran, zunächſt bloß als
Einzelmenſch, als das Individuum „du“. Du ißt aber kräftig,
wächſt, eines Tages biſt du Jüngling — und auf einmal geht

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[118/0134] Elemente, haben an ſich etwas Individuelles. Aber hinter dieſen großen Gattungsverſchiedenheiten erſcheinen dann in der chemiſchen Verbindung wie im Elemente als tiefſte Inſtanz überall erſt die eigentlichen Individuen der Moleküle und Atome, von denen das chemiſche Atom geradezu die ſchärfſte und dauerhafteſte Individualiſierungsform der ganzen ſtofflichen Welt darſtellt, die unſer Ahnen umfaßt. [Abbildung] Nimm eine andere Sache. Eine Grunderſcheinung der Fortpflanzung iſt die Teilung eines Individuums zum Zweck eines Neuwerdens. Von dir ſpalten ſich die Samentierchen ab, vom Weibe die Eizellen. Aus beiden erwächſt vereinigt ein neuer Menſch. Bei niederen Tieren iſt die Teilung oft ſehr viel radikaler: ſtatt der bloßen Abſpaltung eines winzig kleinen Teilchens zerfällt das ganze elterliche Individuum in zwei oder mehr Stücke. Und zwar tritt das deutlich auf als Folge eines gewiſſen Wachstums. Ein Bazillus nimmt Nahrung auf. Er wächſt, — wächſt bis zu einem gewiſſen Grade. Dann iſt es aber auf einmal, als mache ſich eine beſondere neue Natur¬ kraft ihm gegenüber geltend. Bisher hat ihn irgend eine Naturkraft als Individuum in ſich zuſammengehalten. Auch das Wachstum änderte daran anfangs nichts: die Kraft ſchien der vermehrten Größe gewachſen. Aber das Wachstum über¬ ſchreitet eine gewiſſe Grenze — und auf einmal iſt die andere, neue Naturkraft da. Sie reißt das Individuum einfach aus¬ einander. Es zerfällt in zwei Stücke: zwei neue Individuen. Und wir ſagen, ohne daß wir das Weſen der dabei thätigen Kräfte ſelber irgendwie näher kennten, einfach: es hat ſich fortgepflanzt. Bei dir ſelber geht's im Grunde nicht anders als beim Bazillus. Du wächſt vom Kinde heran, zunächſt bloß als Einzelmenſch, als das Individuum „du“. Du ißt aber kräftig, wächſt, eines Tages biſt du Jüngling — und auf einmal geht

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/134>, abgerufen am 02.05.2024.