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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Es muß sich die Frage aufdrängen, was von den sicht¬
baren Lebenserscheinungen des Bazillus du unter jene all¬
gemeine Lebensveranlagung der gesamten Materie (oder enger
zunächst des Kohlenstoffes) rechnen willst und was nicht. Diese
Frage ist praktisch die eigentlich kitzeligste an der ganzen Sache.

Je nachdem du gewisse Schlüsse als logisch richtig an¬
erkennst, kommst du da ins weiteste hinaus. Ist "Empfindung"
eine solche Basis, die schon in der Möglichkeit einer Zellen¬
entwickelung von vorne herein mit enthalten sein muß, -- die
also ins Anorganische irgendwie direkt hinunterginge? Diese
Frage ist deswegen so besonders schwerwiegend, weil man sich
Empfindung schlechterdings nicht ohne Bewußtsein denken kann.
Hat ein Kohlenstoffatom oder gar jedes Atom überhaupt eines
Elementes schon ein empfindendes Bewußtsein? Und weiter.
Ist "Gedächtnis" eine Grundeigenschaft der Materie?

Du fühlst: das geht jetzt ins allerverwickeltste. Das Gebiet
der "Seele" wird angeschnitten. Magst du unter der "Seele"
nun ein Produkt des Stofflichen verstehen, -- magst du im
parallelistischen Sinne sie als eine ewige Begleiterscheinung zu
gewissen physischen Prozessen ansehen, -- oder magst du den
ganzen scheinbaren Unterschied von Seelischem und Mechanischem
bloß als einen in unserer Beobachtungsart begründeten Doppel¬
anblick desselben Dinges fassen: auf alle Fälle gleiten dir hier
unter den Fingern die wichtigsten psychischen Merkmale des
Lebens mit den mechanischen ins Anorganische hinab.

Wir wollen, um nicht ins Uferlose zu geraten, den Blick
bei unserer engsten Sache halten. Auch die Zeugung, die
Fortpflanzung, die Liebe gehört zu den Grunderscheinungen
schon des Bazillus und es fragt sich, ob wir sie noch über ihn
hinaus ebenfalls ins Anorganische hinabschieben sollen. Mit der
symbolischen Wendung von vorhin: wenn Adam im Urmysterium
der Dinge erst unendlich weit jenseits des Bazillus und der
ganzen irdischen Unterscheidung von Organisch und Anorganisch
versinkt, -- geht dann auch Aphrodite so weit zurück?

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Es muß ſich die Frage aufdrängen, was von den ſicht¬
baren Lebenserſcheinungen des Bazillus du unter jene all¬
gemeine Lebensveranlagung der geſamten Materie (oder enger
zunächſt des Kohlenſtoffes) rechnen willſt und was nicht. Dieſe
Frage iſt praktiſch die eigentlich kitzeligſte an der ganzen Sache.

Je nachdem du gewiſſe Schlüſſe als logiſch richtig an¬
erkennſt, kommſt du da ins weiteſte hinaus. Iſt „Empfindung“
eine ſolche Baſis, die ſchon in der Möglichkeit einer Zellen¬
entwickelung von vorne herein mit enthalten ſein muß, — die
alſo ins Anorganiſche irgendwie direkt hinunterginge? Dieſe
Frage iſt deswegen ſo beſonders ſchwerwiegend, weil man ſich
Empfindung ſchlechterdings nicht ohne Bewußtſein denken kann.
Hat ein Kohlenſtoffatom oder gar jedes Atom überhaupt eines
Elementes ſchon ein empfindendes Bewußtſein? Und weiter.
Iſt „Gedächtnis“ eine Grundeigenſchaft der Materie?

Du fühlſt: das geht jetzt ins allerverwickeltſte. Das Gebiet
der „Seele“ wird angeſchnitten. Magſt du unter der „Seele“
nun ein Produkt des Stofflichen verſtehen, — magſt du im
paralleliſtiſchen Sinne ſie als eine ewige Begleiterſcheinung zu
gewiſſen phyſiſchen Prozeſſen anſehen, — oder magſt du den
ganzen ſcheinbaren Unterſchied von Seeliſchem und Mechaniſchem
bloß als einen in unſerer Beobachtungsart begründeten Doppel¬
anblick desſelben Dinges faſſen: auf alle Fälle gleiten dir hier
unter den Fingern die wichtigſten pſychiſchen Merkmale des
Lebens mit den mechaniſchen ins Anorganiſche hinab.

Wir wollen, um nicht ins Uferloſe zu geraten, den Blick
bei unſerer engſten Sache halten. Auch die Zeugung, die
Fortpflanzung, die Liebe gehört zu den Grunderſcheinungen
ſchon des Bazillus und es fragt ſich, ob wir ſie noch über ihn
hinaus ebenfalls ins Anorganiſche hinabſchieben ſollen. Mit der
ſymboliſchen Wendung von vorhin: wenn Adam im Urmyſterium
der Dinge erſt unendlich weit jenſeits des Bazillus und der
ganzen irdiſchen Unterſcheidung von Organiſch und Anorganiſch
verſinkt, — geht dann auch Aphrodite ſo weit zurück?

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[115/0131] Es muß ſich die Frage aufdrängen, was von den ſicht¬ baren Lebenserſcheinungen des Bazillus du unter jene all¬ gemeine Lebensveranlagung der geſamten Materie (oder enger zunächſt des Kohlenſtoffes) rechnen willſt und was nicht. Dieſe Frage iſt praktiſch die eigentlich kitzeligſte an der ganzen Sache. Je nachdem du gewiſſe Schlüſſe als logiſch richtig an¬ erkennſt, kommſt du da ins weiteſte hinaus. Iſt „Empfindung“ eine ſolche Baſis, die ſchon in der Möglichkeit einer Zellen¬ entwickelung von vorne herein mit enthalten ſein muß, — die alſo ins Anorganiſche irgendwie direkt hinunterginge? Dieſe Frage iſt deswegen ſo beſonders ſchwerwiegend, weil man ſich Empfindung ſchlechterdings nicht ohne Bewußtſein denken kann. Hat ein Kohlenſtoffatom oder gar jedes Atom überhaupt eines Elementes ſchon ein empfindendes Bewußtſein? Und weiter. Iſt „Gedächtnis“ eine Grundeigenſchaft der Materie? Du fühlſt: das geht jetzt ins allerverwickeltſte. Das Gebiet der „Seele“ wird angeſchnitten. Magſt du unter der „Seele“ nun ein Produkt des Stofflichen verſtehen, — magſt du im paralleliſtiſchen Sinne ſie als eine ewige Begleiterſcheinung zu gewiſſen phyſiſchen Prozeſſen anſehen, — oder magſt du den ganzen ſcheinbaren Unterſchied von Seeliſchem und Mechaniſchem bloß als einen in unſerer Beobachtungsart begründeten Doppel¬ anblick desſelben Dinges faſſen: auf alle Fälle gleiten dir hier unter den Fingern die wichtigſten pſychiſchen Merkmale des Lebens mit den mechaniſchen ins Anorganiſche hinab. Wir wollen, um nicht ins Uferloſe zu geraten, den Blick bei unſerer engſten Sache halten. Auch die Zeugung, die Fortpflanzung, die Liebe gehört zu den Grunderſcheinungen ſchon des Bazillus und es fragt ſich, ob wir ſie noch über ihn hinaus ebenfalls ins Anorganiſche hinabſchieben ſollen. Mit der ſymboliſchen Wendung von vorhin: wenn Adam im Urmyſterium der Dinge erſt unendlich weit jenſeits des Bazillus und der ganzen irdiſchen Unterſcheidung von Organiſch und Anorganiſch verſinkt, — geht dann auch Aphrodite ſo weit zurück? 8*

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/131>, abgerufen am 28.11.2024.