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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Die romanischen Völker sind in relativ schon ganz hellen
Tagen der Weltgeschichte so empor gewachsen. Die modern¬
amerikanischen gestalten sich heute, daß man sie unter den
Augen wachsen zu sehen glaubt. Und doch: wie weit liegt
schon innerhalb der Menschheit nachher Volk von Volk! Sich
zu denken, wie es der naivste Bibelgläubige ohne Skrupel seit
Jahrhunderten zugegeben hat, daß der Australneger des neu¬
holländischen Buschs und der Engländer, der ihn ausrottet und
neben seinen Eukalyptuswald voller Känguruhs und Schnabel¬
tiere die moderne, fabrikqualmende, von Eisenbahnen umspannte
Großstadt mit modern politischer Verfassung setzt, aus derselben
Generationsfolge, die durch Zeugung unsterblich blieb, ursprüng¬
lich entsprossen sein sollen, -- welche Kühnheit, welche Wand¬
lung im Gedanken.

Ja Wandlung, notwendige Wandlung. Der Gedanke muß
sich eben dazu erheben, daß die Liebe wohl eine Unsterblichkeit
der Generationen garantiert, daß sie aber gar nichts damit zu
thun hat, ob diese Generationen als Individuen und Individuen¬
ketten so voneinander abweichen, daß schließlich -- nach einer
Folge von Jahrhunderten, -- die Enkel und Urenkel sich von
ihren Ahnen bis zur Unkenntlichkeit entfernt haben.

Der moderne Naturforscher verallgemeinert das nun einfach
ins Unbegrenzte. Er fragt, ob eine Individuenfolge, die hier
den Australneger in sich schließt und dort den Engländer, nicht
auch einmal eine Form in sich geschlossen haben könne, die,
heute lebend vor uns hingestellt, von uns mit den Menschen¬
affen der tropischen Wälder, Gorilla oder Orang Utan, ver¬
glichen, ja im wichtigsten gleichgesetzt werden müßte?

Nun spricht aber alles Bekannte aus gewissen entlegeneren
Urzeiten durchaus für solchen Sachverhalt.

Jenseits der Eiszeit hören alle Menschenreste auf. Nicht
nur die richtigen Menschenknochen, sondern auch die Reste
irgendwelcher menschlichen Kultur. Heute ist diese Kultur für
ganze Erdteile das Entscheidende des Landschaftsbildes. Denke

Die romaniſchen Völker ſind in relativ ſchon ganz hellen
Tagen der Weltgeſchichte ſo empor gewachſen. Die modern¬
amerikaniſchen geſtalten ſich heute, daß man ſie unter den
Augen wachſen zu ſehen glaubt. Und doch: wie weit liegt
ſchon innerhalb der Menſchheit nachher Volk von Volk! Sich
zu denken, wie es der naivſte Bibelgläubige ohne Skrupel ſeit
Jahrhunderten zugegeben hat, daß der Auſtralneger des neu¬
holländiſchen Buſchs und der Engländer, der ihn ausrottet und
neben ſeinen Eukalyptuswald voller Känguruhs und Schnabel¬
tiere die moderne, fabrikqualmende, von Eiſenbahnen umſpannte
Großſtadt mit modern politiſcher Verfaſſung ſetzt, aus derſelben
Generationsfolge, die durch Zeugung unſterblich blieb, urſprüng¬
lich entſproſſen ſein ſollen, — welche Kühnheit, welche Wand¬
lung im Gedanken.

Ja Wandlung, notwendige Wandlung. Der Gedanke muß
ſich eben dazu erheben, daß die Liebe wohl eine Unſterblichkeit
der Generationen garantiert, daß ſie aber gar nichts damit zu
thun hat, ob dieſe Generationen als Individuen und Individuen¬
ketten ſo voneinander abweichen, daß ſchließlich — nach einer
Folge von Jahrhunderten, — die Enkel und Urenkel ſich von
ihren Ahnen bis zur Unkenntlichkeit entfernt haben.

Der moderne Naturforſcher verallgemeinert das nun einfach
ins Unbegrenzte. Er fragt, ob eine Individuenfolge, die hier
den Auſtralneger in ſich ſchließt und dort den Engländer, nicht
auch einmal eine Form in ſich geſchloſſen haben könne, die,
heute lebend vor uns hingeſtellt, von uns mit den Menſchen¬
affen der tropiſchen Wälder, Gorilla oder Orang Utan, ver¬
glichen, ja im wichtigſten gleichgeſetzt werden müßte?

Nun ſpricht aber alles Bekannte aus gewiſſen entlegeneren
Urzeiten durchaus für ſolchen Sachverhalt.

Jenſeits der Eiszeit hören alle Menſchenreſte auf. Nicht
nur die richtigen Menſchenknochen, ſondern auch die Reſte
irgendwelcher menſchlichen Kultur. Heute iſt dieſe Kultur für
ganze Erdteile das Entſcheidende des Landſchaftsbildes. Denke

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[94/0110] Die romaniſchen Völker ſind in relativ ſchon ganz hellen Tagen der Weltgeſchichte ſo empor gewachſen. Die modern¬ amerikaniſchen geſtalten ſich heute, daß man ſie unter den Augen wachſen zu ſehen glaubt. Und doch: wie weit liegt ſchon innerhalb der Menſchheit nachher Volk von Volk! Sich zu denken, wie es der naivſte Bibelgläubige ohne Skrupel ſeit Jahrhunderten zugegeben hat, daß der Auſtralneger des neu¬ holländiſchen Buſchs und der Engländer, der ihn ausrottet und neben ſeinen Eukalyptuswald voller Känguruhs und Schnabel¬ tiere die moderne, fabrikqualmende, von Eiſenbahnen umſpannte Großſtadt mit modern politiſcher Verfaſſung ſetzt, aus derſelben Generationsfolge, die durch Zeugung unſterblich blieb, urſprüng¬ lich entſproſſen ſein ſollen, — welche Kühnheit, welche Wand¬ lung im Gedanken. Ja Wandlung, notwendige Wandlung. Der Gedanke muß ſich eben dazu erheben, daß die Liebe wohl eine Unſterblichkeit der Generationen garantiert, daß ſie aber gar nichts damit zu thun hat, ob dieſe Generationen als Individuen und Individuen¬ ketten ſo voneinander abweichen, daß ſchließlich — nach einer Folge von Jahrhunderten, — die Enkel und Urenkel ſich von ihren Ahnen bis zur Unkenntlichkeit entfernt haben. Der moderne Naturforſcher verallgemeinert das nun einfach ins Unbegrenzte. Er fragt, ob eine Individuenfolge, die hier den Auſtralneger in ſich ſchließt und dort den Engländer, nicht auch einmal eine Form in ſich geſchloſſen haben könne, die, heute lebend vor uns hingeſtellt, von uns mit den Menſchen¬ affen der tropiſchen Wälder, Gorilla oder Orang Utan, ver¬ glichen, ja im wichtigſten gleichgeſetzt werden müßte? Nun ſpricht aber alles Bekannte aus gewiſſen entlegeneren Urzeiten durchaus für ſolchen Sachverhalt. Jenſeits der Eiszeit hören alle Menſchenreſte auf. Nicht nur die richtigen Menſchenknochen, ſondern auch die Reſte irgendwelcher menſchlichen Kultur. Heute iſt dieſe Kultur für ganze Erdteile das Entſcheidende des Landſchaftsbildes. Denke

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/110>, abgerufen am 26.11.2024.