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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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I. Die Schutzwaffen.
Armkacheln mussten, wenngleich in Verbindung mit den Röhren,
doch um 1480 noch durch Lederschnüre "aufgebunden" werden, um
sie festzustellen. Derlei Schnüre waren an den Ellenbogenpunkten
des Wamses befestigt, sie wurden durch in den Armkacheln ange-
brachte Löcher gezogen und dann auswärts gebunden. (Fig. 65.)
Derlei Befestigungsarten erblickt man noch häufig an Nürnberger-
und Augsburger Harnischen jener Zeit. In Inventaren von 1580
noch wird das vollständige, von der Achsel an in seinen Teilen in
Verbindung stehende Armzeug durch den Beisatz: "alles aneinander"
bezeichnet. Bis etwa 1490 werden die Armkacheln desungeachtet
noch besonders an die Armbeugen geschnallt. Das Armzeug war
kaum gebildet, als die Plattner begannen, die Armkacheln in riesiger
Grösse zu fertigen. Diese Übertreibung nimmt ihren Beginn um
1450 und endet erst nach 1540. Als Mode fanden diese riesigen
Kacheln, mit welchen die Plattner ihre Kunstfertigkeit darzulegen be-
absichtigten, nicht allgemeine Verbreitung. In den ersten Jahrzehnten
des 16. Jahrhunderts erleidet das Armzeug einige, wenn auch un-
wesentliche Änderungen. Die Mäusel, in Deutschland vorher spitz,
werden nun stumpf und selbst halbkugelförmig, die halben Muscheln
verschwinden allgemach, nachdem die sogenannten "ganzen" mehr
Festigkeit besassen und die Oberarmröhren erscheinen nun häufig
mehrfach geschoben.

Von ungefähr 1550 an findet man das Armzeug an Lands-
knecht- und selbst an Trabharnischen in sonderbaren Detailformen.
Der Harnisch wurde den Söldnern im Marsche in grosser Hitze oft
unerträglich, und man suchte ihnen ihre Lage nach Möglichkeit zu
erleichtern. Schon um 1530 finden wir Unterarmröhren, die derart
durchlöchert sind, dass sie einem grossen Gitter gleichen. Später,
um 1560, werden die Armröhren einfach aus vier herablaufenden
Blechspangen gebildet, welche mit kleinen Kacheln zusammenhängen;
um 1570 bildet man in Italien Arm- und Beinzeuge, an welchen
die Kachel und Buckel mit den Röhren in Blattdessins durchbrochen
gearbeitet sind. (Fig. 73.)

Verstärkungen des Armzeuges durch übergelegte Doppelstücke
(pieces de renfort) waren meist nur bei Turnieren üblich, doch kommen
sie nicht selten auch für den Feldgebrauch in Anwendung. Wir
zählen hierzu zunächst die Doppelachsel. Sie ist in der Regel
nur für die linke, die Hieb-Seite, üblich und deckt meist geschobene
Achseln. Für das Freiturnier, wie für das Feld kommt die Doppel-
achsel häufig mit hohem Brechrand vor. (Fig. 74.) Die rechte
Achsel wird selten verstärkt, aber an solchen des 16. Jahrhunderts
treffen wir auf die Eigentümlichkeit, dass an der Vorderseite die
bogenförmig geschnittenen, aufwärts geschobenen Folgen stärker auf-
gebogen (gestaucht) sind, damit sie den Schwerthieben mehr Wider-
stand entgegensetzen können. Ausser der Achsel wird am Armzeuge

I. Die Schutzwaffen.
Armkacheln muſsten, wenngleich in Verbindung mit den Röhren,
doch um 1480 noch durch Lederschnüre „aufgebunden“ werden, um
sie festzustellen. Derlei Schnüre waren an den Ellenbogenpunkten
des Wamses befestigt, sie wurden durch in den Armkacheln ange-
brachte Löcher gezogen und dann auswärts gebunden. (Fig. 65.)
Derlei Befestigungsarten erblickt man noch häufig an Nürnberger-
und Augsburger Harnischen jener Zeit. In Inventaren von 1580
noch wird das vollständige, von der Achsel an in seinen Teilen in
Verbindung stehende Armzeug durch den Beisatz: „alles aneinander“
bezeichnet. Bis etwa 1490 werden die Armkacheln desungeachtet
noch besonders an die Armbeugen geschnallt. Das Armzeug war
kaum gebildet, als die Plattner begannen, die Armkacheln in riesiger
Gröſse zu fertigen. Diese Übertreibung nimmt ihren Beginn um
1450 und endet erst nach 1540. Als Mode fanden diese riesigen
Kacheln, mit welchen die Plattner ihre Kunstfertigkeit darzulegen be-
absichtigten, nicht allgemeine Verbreitung. In den ersten Jahrzehnten
des 16. Jahrhunderts erleidet das Armzeug einige, wenn auch un-
wesentliche Änderungen. Die Mäusel, in Deutschland vorher spitz,
werden nun stumpf und selbst halbkugelförmig, die halben Muscheln
verschwinden allgemach, nachdem die sogenannten „ganzen“ mehr
Festigkeit besaſsen und die Oberarmröhren erscheinen nun häufig
mehrfach geschoben.

Von ungefähr 1550 an findet man das Armzeug an Lands-
knecht- und selbst an Trabharnischen in sonderbaren Detailformen.
Der Harnisch wurde den Söldnern im Marsche in groſser Hitze oft
unerträglich, und man suchte ihnen ihre Lage nach Möglichkeit zu
erleichtern. Schon um 1530 finden wir Unterarmröhren, die derart
durchlöchert sind, daſs sie einem groſsen Gitter gleichen. Später,
um 1560, werden die Armröhren einfach aus vier herablaufenden
Blechspangen gebildet, welche mit kleinen Kacheln zusammenhängen;
um 1570 bildet man in Italien Arm- und Beinzeuge, an welchen
die Kachel und Buckel mit den Röhren in Blattdessins durchbrochen
gearbeitet sind. (Fig. 73.)

Verstärkungen des Armzeuges durch übergelegte Doppelstücke
(pièces de renfort) waren meist nur bei Turnieren üblich, doch kommen
sie nicht selten auch für den Feldgebrauch in Anwendung. Wir
zählen hierzu zunächst die Doppelachsel. Sie ist in der Regel
nur für die linke, die Hieb-Seite, üblich und deckt meist geschobene
Achseln. Für das Freiturnier, wie für das Feld kommt die Doppel-
achsel häufig mit hohem Brechrand vor. (Fig. 74.) Die rechte
Achsel wird selten verstärkt, aber an solchen des 16. Jahrhunderts
treffen wir auf die Eigentümlichkeit, daſs an der Vorderseite die
bogenförmig geschnittenen, aufwärts geschobenen Folgen stärker auf-
gebogen (gestaucht) sind, damit sie den Schwerthieben mehr Wider-
stand entgegensetzen können. Auſser der Achsel wird am Armzeuge

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[76/0094] I. Die Schutzwaffen. Armkacheln muſsten, wenngleich in Verbindung mit den Röhren, doch um 1480 noch durch Lederschnüre „aufgebunden“ werden, um sie festzustellen. Derlei Schnüre waren an den Ellenbogenpunkten des Wamses befestigt, sie wurden durch in den Armkacheln ange- brachte Löcher gezogen und dann auswärts gebunden. (Fig. 65.) Derlei Befestigungsarten erblickt man noch häufig an Nürnberger- und Augsburger Harnischen jener Zeit. In Inventaren von 1580 noch wird das vollständige, von der Achsel an in seinen Teilen in Verbindung stehende Armzeug durch den Beisatz: „alles aneinander“ bezeichnet. Bis etwa 1490 werden die Armkacheln desungeachtet noch besonders an die Armbeugen geschnallt. Das Armzeug war kaum gebildet, als die Plattner begannen, die Armkacheln in riesiger Gröſse zu fertigen. Diese Übertreibung nimmt ihren Beginn um 1450 und endet erst nach 1540. Als Mode fanden diese riesigen Kacheln, mit welchen die Plattner ihre Kunstfertigkeit darzulegen be- absichtigten, nicht allgemeine Verbreitung. In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts erleidet das Armzeug einige, wenn auch un- wesentliche Änderungen. Die Mäusel, in Deutschland vorher spitz, werden nun stumpf und selbst halbkugelförmig, die halben Muscheln verschwinden allgemach, nachdem die sogenannten „ganzen“ mehr Festigkeit besaſsen und die Oberarmröhren erscheinen nun häufig mehrfach geschoben. Von ungefähr 1550 an findet man das Armzeug an Lands- knecht- und selbst an Trabharnischen in sonderbaren Detailformen. Der Harnisch wurde den Söldnern im Marsche in groſser Hitze oft unerträglich, und man suchte ihnen ihre Lage nach Möglichkeit zu erleichtern. Schon um 1530 finden wir Unterarmröhren, die derart durchlöchert sind, daſs sie einem groſsen Gitter gleichen. Später, um 1560, werden die Armröhren einfach aus vier herablaufenden Blechspangen gebildet, welche mit kleinen Kacheln zusammenhängen; um 1570 bildet man in Italien Arm- und Beinzeuge, an welchen die Kachel und Buckel mit den Röhren in Blattdessins durchbrochen gearbeitet sind. (Fig. 73.) Verstärkungen des Armzeuges durch übergelegte Doppelstücke (pièces de renfort) waren meist nur bei Turnieren üblich, doch kommen sie nicht selten auch für den Feldgebrauch in Anwendung. Wir zählen hierzu zunächst die Doppelachsel. Sie ist in der Regel nur für die linke, die Hieb-Seite, üblich und deckt meist geschobene Achseln. Für das Freiturnier, wie für das Feld kommt die Doppel- achsel häufig mit hohem Brechrand vor. (Fig. 74.) Die rechte Achsel wird selten verstärkt, aber an solchen des 16. Jahrhunderts treffen wir auf die Eigentümlichkeit, daſs an der Vorderseite die bogenförmig geschnittenen, aufwärts geschobenen Folgen stärker auf- gebogen (gestaucht) sind, damit sie den Schwerthieben mehr Wider- stand entgegensetzen können. Auſser der Achsel wird am Armzeuge

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/94>, abgerufen am 24.11.2024.