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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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3. Das Armzeug.
wenn sie nieder gestaltet sind: Stauchen (Achselstauchen), hohe,
weit über die Schulter hinausreichende: Brechränder, auch Stoss-
krägen
(fr. passe-gards, ital. guarda-goletta, span. bufa). (Fig. 69.)
Sie verlieren sich nur allmählich in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Die Achselstücke sind an den Schulterpartien durchwegs und meist
nach aufwärts geschoben. Zuweilen setzt sich, und zwar an Har-
nischen späterer Zeit von 1560 an, das Geschübe auch bis über die
Flüge hinaus fort. Man unterscheidet demnach Achseln mit steifen
von solchen mit geschobenen Flügen. Auch diese letzteren er-
scheinen in verschiedenen Formen, entweder mit Flügen, welche nur
an den oberen Achselgeschüben haften, oder solchen, bei denen die
Flüge auch mit den unteren in Verbindung sind. Die Befestigung
der Achseln erfolgte in der Regel am Kragen, seltener an den eisernen
Schulterbändern, noch seltener an den Schulterriemen, anfänglich
mittelst Federbolzen, welche den Nachteil besassen, dass sie leicht
abgehauen wurden, später an Riemen.

Von der Mitte des 15. Jahrhunderts an bis ans Ende des 16.
prägt sich in den Formen der Achselstücke der Kunststil der Zeit
in hervorragender Weise an den gotischen Harnischen um 1460
bis 1480 aus, in welcher Periode die Flüge gleich den Armkacheln
muschelförmig getrieben und in geschmackvollster Zeichnung durch-
brochen gearbeitet werden.

Es ist bemerkenswert, dass das Bestreben, die äussere oder
Streckseite des Armes mit Eisenplatten gegen den Hieb zu schützen,
schon um etliche Jahrzehnte vor der Einführung der Achselscheiben
und der Spaldeniere merkbar wird. Um 1250 bereits sehen wir
Krieger, welche schmale Eisenschienen an die Oberarme geschnallt
tragen. Vielleicht noch aus früherer Periode datiert der Gebrauch,
die Ellenbögen durch kleine buckelförmig ausgetriebene eiserne Platten,
sogenannte Mäusel (cubitieres) zu schützen. (Fig. 70.) Erst am Be-
ginne des 14. Jahrhunderts wird auch der Vorderarm an der Streck-
seite mit einer Eisenschiene gesichert. Man würde irren, wollte man
in diesen primitiven Versuchen, die Arme des Kriegers zu schützen,
die späteren Armzeuge erblicken. Wie überhaupt der Plattenharnisch
durch ein organisches Aneinanderfügen von früher getrennten und
für sich bestehenden Verstärkungsstücken gebildet wurde, ebenso
standen die ersten den Arm deckenden Stücke untereinander in
keinem Zusammenhange, sondern wurden, jedes für sich, mittelst
Riemen an die Arme geschnallt. Die Franzosen nennen eine derlei
Deckung der Arme avant- oder arriere-bras und trennen diesen
Begriff von dem späteren Armzeuge, brassard, ein Ausdruck, der
übrigens erst im 16. Jahrhundert auftritt. Im Verlaufe des 14. Jahr-
hunderts vervollständigt sich allmählich der Schutz des Armes, die
Schienen werden immer breiter, die unbedeckten Stellen immer
schmäler, bis um 1350 die Armröhren sich bilden. Die den Ober-

3. Das Armzeug.
wenn sie nieder gestaltet sind: Stauchen (Achselstauchen), hohe,
weit über die Schulter hinausreichende: Brechränder, auch Stoſs-
krägen
(fr. passe-gards, ital. guarda-goletta, span. bufa). (Fig. 69.)
Sie verlieren sich nur allmählich in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Die Achselstücke sind an den Schulterpartien durchwegs und meist
nach aufwärts geschoben. Zuweilen setzt sich, und zwar an Har-
nischen späterer Zeit von 1560 an, das Geschübe auch bis über die
Flüge hinaus fort. Man unterscheidet demnach Achseln mit steifen
von solchen mit geschobenen Flügen. Auch diese letzteren er-
scheinen in verschiedenen Formen, entweder mit Flügen, welche nur
an den oberen Achselgeschüben haften, oder solchen, bei denen die
Flüge auch mit den unteren in Verbindung sind. Die Befestigung
der Achseln erfolgte in der Regel am Kragen, seltener an den eisernen
Schulterbändern, noch seltener an den Schulterriemen, anfänglich
mittelst Federbolzen, welche den Nachteil besaſsen, daſs sie leicht
abgehauen wurden, später an Riemen.

Von der Mitte des 15. Jahrhunderts an bis ans Ende des 16.
prägt sich in den Formen der Achselstücke der Kunststil der Zeit
in hervorragender Weise an den gotischen Harnischen um 1460
bis 1480 aus, in welcher Periode die Flüge gleich den Armkacheln
muschelförmig getrieben und in geschmackvollster Zeichnung durch-
brochen gearbeitet werden.

Es ist bemerkenswert, daſs das Bestreben, die äuſsere oder
Streckseite des Armes mit Eisenplatten gegen den Hieb zu schützen,
schon um etliche Jahrzehnte vor der Einführung der Achselscheiben
und der Spaldeniere merkbar wird. Um 1250 bereits sehen wir
Krieger, welche schmale Eisenschienen an die Oberarme geschnallt
tragen. Vielleicht noch aus früherer Periode datiert der Gebrauch,
die Ellenbögen durch kleine buckelförmig ausgetriebene eiserne Platten,
sogenannte Mäusel (cubitières) zu schützen. (Fig. 70.) Erst am Be-
ginne des 14. Jahrhunderts wird auch der Vorderarm an der Streck-
seite mit einer Eisenschiene gesichert. Man würde irren, wollte man
in diesen primitiven Versuchen, die Arme des Kriegers zu schützen,
die späteren Armzeuge erblicken. Wie überhaupt der Plattenharnisch
durch ein organisches Aneinanderfügen von früher getrennten und
für sich bestehenden Verstärkungsstücken gebildet wurde, ebenso
standen die ersten den Arm deckenden Stücke untereinander in
keinem Zusammenhange, sondern wurden, jedes für sich, mittelst
Riemen an die Arme geschnallt. Die Franzosen nennen eine derlei
Deckung der Arme avant- oder arrière-bras und trennen diesen
Begriff von dem späteren Armzeuge, brassard, ein Ausdruck, der
übrigens erst im 16. Jahrhundert auftritt. Im Verlaufe des 14. Jahr-
hunderts vervollständigt sich allmählich der Schutz des Armes, die
Schienen werden immer breiter, die unbedeckten Stellen immer
schmäler, bis um 1350 die Armröhren sich bilden. Die den Ober-

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[73/0091] 3. Das Armzeug. wenn sie nieder gestaltet sind: Stauchen (Achselstauchen), hohe, weit über die Schulter hinausreichende: Brechränder, auch Stoſs- krägen (fr. passe-gards, ital. guarda-goletta, span. bufa). (Fig. 69.) Sie verlieren sich nur allmählich in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Achselstücke sind an den Schulterpartien durchwegs und meist nach aufwärts geschoben. Zuweilen setzt sich, und zwar an Har- nischen späterer Zeit von 1560 an, das Geschübe auch bis über die Flüge hinaus fort. Man unterscheidet demnach Achseln mit steifen von solchen mit geschobenen Flügen. Auch diese letzteren er- scheinen in verschiedenen Formen, entweder mit Flügen, welche nur an den oberen Achselgeschüben haften, oder solchen, bei denen die Flüge auch mit den unteren in Verbindung sind. Die Befestigung der Achseln erfolgte in der Regel am Kragen, seltener an den eisernen Schulterbändern, noch seltener an den Schulterriemen, anfänglich mittelst Federbolzen, welche den Nachteil besaſsen, daſs sie leicht abgehauen wurden, später an Riemen. Von der Mitte des 15. Jahrhunderts an bis ans Ende des 16. prägt sich in den Formen der Achselstücke der Kunststil der Zeit in hervorragender Weise an den gotischen Harnischen um 1460 bis 1480 aus, in welcher Periode die Flüge gleich den Armkacheln muschelförmig getrieben und in geschmackvollster Zeichnung durch- brochen gearbeitet werden. Es ist bemerkenswert, daſs das Bestreben, die äuſsere oder Streckseite des Armes mit Eisenplatten gegen den Hieb zu schützen, schon um etliche Jahrzehnte vor der Einführung der Achselscheiben und der Spaldeniere merkbar wird. Um 1250 bereits sehen wir Krieger, welche schmale Eisenschienen an die Oberarme geschnallt tragen. Vielleicht noch aus früherer Periode datiert der Gebrauch, die Ellenbögen durch kleine buckelförmig ausgetriebene eiserne Platten, sogenannte Mäusel (cubitières) zu schützen. (Fig. 70.) Erst am Be- ginne des 14. Jahrhunderts wird auch der Vorderarm an der Streck- seite mit einer Eisenschiene gesichert. Man würde irren, wollte man in diesen primitiven Versuchen, die Arme des Kriegers zu schützen, die späteren Armzeuge erblicken. Wie überhaupt der Plattenharnisch durch ein organisches Aneinanderfügen von früher getrennten und für sich bestehenden Verstärkungsstücken gebildet wurde, ebenso standen die ersten den Arm deckenden Stücke untereinander in keinem Zusammenhange, sondern wurden, jedes für sich, mittelst Riemen an die Arme geschnallt. Die Franzosen nennen eine derlei Deckung der Arme avant- oder arrière-bras und trennen diesen Begriff von dem späteren Armzeuge, brassard, ein Ausdruck, der übrigens erst im 16. Jahrhundert auftritt. Im Verlaufe des 14. Jahr- hunderts vervollständigt sich allmählich der Schutz des Armes, die Schienen werden immer breiter, die unbedeckten Stellen immer schmäler, bis um 1350 die Armröhren sich bilden. Die den Ober-

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/91>, abgerufen am 06.05.2024.