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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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III. Die Turnierwaffen.
schlüssels (Fig. 629), eines zum Anlegen des Zeuges notwendigen
Werkzeuges. Endlich, um alles zu erschöpfen, erwähnen wir noch
der Sporen. Diese haben für das Gestech, wie für das Rennen im
"Zeug" einerlei Form; sie sind aus Eisen gefertigt und zuweilen an
den Aussenseiten mit Messing überzogen (vermessingt). Die bis 20 cm.
langen Hälse, mit den nicht sehr breiten Stegen in gleicher Rich-
tung laufend, sind für diese Waffe charakteristisch. Diese Form ge-
stattete die Anwendung (Hilfe) ohne viele Bewegung des Unter-
schenkels, durch die das Gleichgewicht des Reiters im Sattel hätte
gestört werden können.

Das italienische Stechzeug, das für das sogenannte "welsche
Gestech
" berechnete, dessen Gestaltung wir noch zu schildern
haben, weist einige bemerkenswerte Veränderungen auf. Zu-
nächst ist der Stechhelm vorne und rückwärts an Naben befestigt.
Der Oberrand der Helmwände ist zuweilen durch eine umlaufende
Eisenspange verstärkt. An der rechten Helmwand findet sich eine
breite, vierseitige, mit einem Thürchen zu schliessende Öffnung. Es
ist das Helmfenster, das dazu dient, dem Stecher frische Luft zuzu-
führen.

Die Brust zeigt keine Abflachung an der rechten Seite, sondern
ist eine volle Kugelbrust. In der Regel ist sie mit feinem Damast
überzogen, der mit heraldischen Emblemen in Stickerei geziert ist.
An der rechten Seite findet sich ein schwerer Ring zum Anschnüren
der in diesem Falle viereckigen Tartsche. An der rechten Seite der
Brust am Unterrande findet sich ein täschchenartiger Ansatz von
Leder, der mit Stoff überzogen ist. Er dient zum Aufsetzen der
Stechstange beim Einritt, welch letztere weit leichter ist, als jene beim
deutschen Gestech. Die Brust hat an der rechten Seite einen schweren
Rüsthaken, der an Kloben befestigt ist, aber keinen Rasthaken. Der
Rücken, gleichfalls mit Stoff überzogen, ist wie bei dem deutschen
Stechzeug in den Armlöchern stark ausgeschnitten. Die geschobenen
Achseln haben keine Vorder- und Hinterflüge, sondern erscheinen
als Spangröls. Das rechte Armzeug ist ähnlich dem deutschen,
das linke ist nicht steif, sondern beweglich. Als Beispiel geben wir
das welsche Stechzeug aus der Armeria Real zu Madrid, das
irrig Karl V. zugeschrieben wird. (Fig. 630.)

Das französische Stechzeug jener Periode ist dem italienischen
ähnlich, nur ist der Helm sehr niedrig. Seine Befestigung wird vorne
mittels Kloben, rückwärts durch Riemen bewirkt, die über einige im
Nacken angebrachte Stifte geschlungen werden.

Das englische Stechzeug hat in Bezug auf Helm- und Brust-
formen grosse Ähnlichkeit mit den älteren Feld- und Turnierharnischen
des 14. Jahrhunderts, wie denn überhaupt in England die Umbildung
der Waffenformen sich weit langsamer vollzieht als anderswo.


III. Die Turnierwaffen.
schlüssels (Fig. 629), eines zum Anlegen des Zeuges notwendigen
Werkzeuges. Endlich, um alles zu erschöpfen, erwähnen wir noch
der Sporen. Diese haben für das Gestech, wie für das Rennen im
„Zeug“ einerlei Form; sie sind aus Eisen gefertigt und zuweilen an
den Auſsenseiten mit Messing überzogen (vermessingt). Die bis 20 cm.
langen Hälse, mit den nicht sehr breiten Stegen in gleicher Rich-
tung laufend, sind für diese Waffe charakteristisch. Diese Form ge-
stattete die Anwendung (Hilfe) ohne viele Bewegung des Unter-
schenkels, durch die das Gleichgewicht des Reiters im Sattel hätte
gestört werden können.

Das italienische Stechzeug, das für das sogenannte „welsche
Gestech
“ berechnete, dessen Gestaltung wir noch zu schildern
haben, weist einige bemerkenswerte Veränderungen auf. Zu-
nächst ist der Stechhelm vorne und rückwärts an Naben befestigt.
Der Oberrand der Helmwände ist zuweilen durch eine umlaufende
Eisenspange verstärkt. An der rechten Helmwand findet sich eine
breite, vierseitige, mit einem Thürchen zu schlieſsende Öffnung. Es
ist das Helmfenster, das dazu dient, dem Stecher frische Luft zuzu-
führen.

Die Brust zeigt keine Abflachung an der rechten Seite, sondern
ist eine volle Kugelbrust. In der Regel ist sie mit feinem Damast
überzogen, der mit heraldischen Emblemen in Stickerei geziert ist.
An der rechten Seite findet sich ein schwerer Ring zum Anschnüren
der in diesem Falle viereckigen Tartsche. An der rechten Seite der
Brust am Unterrande findet sich ein täschchenartiger Ansatz von
Leder, der mit Stoff überzogen ist. Er dient zum Aufsetzen der
Stechstange beim Einritt, welch letztere weit leichter ist, als jene beim
deutschen Gestech. Die Brust hat an der rechten Seite einen schweren
Rüsthaken, der an Kloben befestigt ist, aber keinen Rasthaken. Der
Rücken, gleichfalls mit Stoff überzogen, ist wie bei dem deutschen
Stechzeug in den Armlöchern stark ausgeschnitten. Die geschobenen
Achseln haben keine Vorder- und Hinterflüge, sondern erscheinen
als Spangröls. Das rechte Armzeug ist ähnlich dem deutschen,
das linke ist nicht steif, sondern beweglich. Als Beispiel geben wir
das welsche Stechzeug aus der Armeria Real zu Madrid, das
irrig Karl V. zugeschrieben wird. (Fig. 630.)

Das französische Stechzeug jener Periode ist dem italienischen
ähnlich, nur ist der Helm sehr niedrig. Seine Befestigung wird vorne
mittels Kloben, rückwärts durch Riemen bewirkt, die über einige im
Nacken angebrachte Stifte geschlungen werden.

Das englische Stechzeug hat in Bezug auf Helm- und Brust-
formen groſse Ähnlichkeit mit den älteren Feld- und Turnierharnischen
des 14. Jahrhunderts, wie denn überhaupt in England die Umbildung
der Waffenformen sich weit langsamer vollzieht als anderswo.


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[542/0560] III. Die Turnierwaffen. schlüssels (Fig. 629), eines zum Anlegen des Zeuges notwendigen Werkzeuges. Endlich, um alles zu erschöpfen, erwähnen wir noch der Sporen. Diese haben für das Gestech, wie für das Rennen im „Zeug“ einerlei Form; sie sind aus Eisen gefertigt und zuweilen an den Auſsenseiten mit Messing überzogen (vermessingt). Die bis 20 cm. langen Hälse, mit den nicht sehr breiten Stegen in gleicher Rich- tung laufend, sind für diese Waffe charakteristisch. Diese Form ge- stattete die Anwendung (Hilfe) ohne viele Bewegung des Unter- schenkels, durch die das Gleichgewicht des Reiters im Sattel hätte gestört werden können. Das italienische Stechzeug, das für das sogenannte „welsche Gestech“ berechnete, dessen Gestaltung wir noch zu schildern haben, weist einige bemerkenswerte Veränderungen auf. Zu- nächst ist der Stechhelm vorne und rückwärts an Naben befestigt. Der Oberrand der Helmwände ist zuweilen durch eine umlaufende Eisenspange verstärkt. An der rechten Helmwand findet sich eine breite, vierseitige, mit einem Thürchen zu schlieſsende Öffnung. Es ist das Helmfenster, das dazu dient, dem Stecher frische Luft zuzu- führen. Die Brust zeigt keine Abflachung an der rechten Seite, sondern ist eine volle Kugelbrust. In der Regel ist sie mit feinem Damast überzogen, der mit heraldischen Emblemen in Stickerei geziert ist. An der rechten Seite findet sich ein schwerer Ring zum Anschnüren der in diesem Falle viereckigen Tartsche. An der rechten Seite der Brust am Unterrande findet sich ein täschchenartiger Ansatz von Leder, der mit Stoff überzogen ist. Er dient zum Aufsetzen der Stechstange beim Einritt, welch letztere weit leichter ist, als jene beim deutschen Gestech. Die Brust hat an der rechten Seite einen schweren Rüsthaken, der an Kloben befestigt ist, aber keinen Rasthaken. Der Rücken, gleichfalls mit Stoff überzogen, ist wie bei dem deutschen Stechzeug in den Armlöchern stark ausgeschnitten. Die geschobenen Achseln haben keine Vorder- und Hinterflüge, sondern erscheinen als Spangröls. Das rechte Armzeug ist ähnlich dem deutschen, das linke ist nicht steif, sondern beweglich. Als Beispiel geben wir das welsche Stechzeug aus der Armeria Real zu Madrid, das irrig Karl V. zugeschrieben wird. (Fig. 630.) Das französische Stechzeug jener Periode ist dem italienischen ähnlich, nur ist der Helm sehr niedrig. Seine Befestigung wird vorne mittels Kloben, rückwärts durch Riemen bewirkt, die über einige im Nacken angebrachte Stifte geschlungen werden. Das englische Stechzeug hat in Bezug auf Helm- und Brust- formen groſse Ähnlichkeit mit den älteren Feld- und Turnierharnischen des 14. Jahrhunderts, wie denn überhaupt in England die Umbildung der Waffenformen sich weit langsamer vollzieht als anderswo.

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/560>, abgerufen am 25.11.2024.