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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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III. Die Turnierwaffen.
schobener Schurz, sogenannter "Kampfschurz", der nahezu bis an die
Kniee reicht. Die Achseln sind geschoben und reichen zum Schutze
der Achselhöhlen bis zur Brustmitte. Das Armzeug ist das gewöhn-
liche der gleichzeitigen Harnische; ebenso sind die Handschuhe mit
spitz geschnittenen Stulpen der Form der Hentzen jener Zeit ent-
sprechend. Das Fusszeug zeigt gleichfalls keine besonderen Formen,
doch reichen die Diechlinge weit über den Schenkel hinauf, die Knie-
beugen sind meist mittelst Folgen geschlossen und die natürlich un-
bespornten Schuhe, welche für sich angezogen werden, erscheinen
schon um 1480, kolbig, gleich den späteren Kuhmäulern oder Bären-
füssen. So erblicken wir den Kampfharnisch des burgundischen Ritters,
Rates und Kämmerers Herzog Karls des Kühnen, Claude de
Vaudrey
, worin derselbe auf dem Turnier zu Worms 1495 von
Kaiser Maximilian I. besiegt wurde. (Fig. 618.) Die Darstellung des
Kampfes mit Fausthämmern ist im Freydal*) enthalten. Aus dieser
ist ersichtlich, dass über den Harnisch noch ein Röckchen aus Stoff
gezogen wurde. Um den unteren Teil des Schurzes kam häufig das
alte Zeichen der Ritterwürde, der breite Waffengürtel, den wir schon
an der ritterlichen Tracht des 14. Jahrhunderts finden. Eine Be-
trachtung der Form des Harnisches führt weiter zu der Überzeugung,
dass dem Träger in den Armen eine nur beschränkte Bewegung ge-
stattet war, offenbar um die Gefahr zu mässigen, ohne den Effekt
für das Auge viel zu beeinträchtigen.

Zu den Handwaffen des Fusskampfes zählte zunächst der Faust-
schild. Wir sehen einen solchen aus dem Ende des 15. Jahrhunderts
in Fig. 619. Er hat einen Durchmesser von 32 cm., der Rand ist
aufgeworfen. Etwas innerhalb des letzteren läuft ein eiserner Reif
rings um den Schild, der freistehend nur an starken, stiftähnlichen
Stielen auf dem Schildblatte aufsitzt. Es ist dies ein sogenannter
Klingenfänger, seine Bestimmung war, falls es gelang, die Spitze des
Ahlspiesses oder der Schwertklinge in den Zwischenraum des Reifes
zu bringen, diese durch eine Handbewegung einzuklemmen und fest-
zuhalten. An derlei Faustschilden finden sich oft auch 3 -- 6 und
mehr konzentrisch angeordnete Reifen. Der Schildnabel ist hoch aufge-
trieben und mit aufgelegten Verzierungen gotischen Stiles ausgestattet. Im
Inneren findet sich ein starker Bügel (A.) zur freien Führung mit der
linken Faust, am Oberrande ein langer Haken (B.), mit dem der
Schild am Schwertgehänge getragen werden konnte. (Fig. 619.)

Neben dem Faustschilde wurden auch in Kämpfen, bei denen
nicht Stangenwaffen geführt wurden, schwere Holzschilde (Pavesen)
und sogenannte Handtartschen gebraucht, welche gleichfalls aus Holz
mit Leinwand überzogen und gleich den ersteren bemalt waren.


*) Bildkodex in der Bibliothek der kunsthist. Sammlungen des kais. Hauses
zu Wien. Quirin v. Leitner, Freydal. Des Kaisers Maximilians I. Turniere
und Mummereien. Wien, 1880-1882.
34*

III. Die Turnierwaffen.
schobener Schurz, sogenannter „Kampfschurz“, der nahezu bis an die
Kniee reicht. Die Achseln sind geschoben und reichen zum Schutze
der Achselhöhlen bis zur Brustmitte. Das Armzeug ist das gewöhn-
liche der gleichzeitigen Harnische; ebenso sind die Handschuhe mit
spitz geschnittenen Stulpen der Form der Hentzen jener Zeit ent-
sprechend. Das Fuſszeug zeigt gleichfalls keine besonderen Formen,
doch reichen die Diechlinge weit über den Schenkel hinauf, die Knie-
beugen sind meist mittelst Folgen geschlossen und die natürlich un-
bespornten Schuhe, welche für sich angezogen werden, erscheinen
schon um 1480, kolbig, gleich den späteren Kuhmäulern oder Bären-
füſsen. So erblicken wir den Kampfharnisch des burgundischen Ritters,
Rates und Kämmerers Herzog Karls des Kühnen, Claude de
Vaudrey
, worin derselbe auf dem Turnier zu Worms 1495 von
Kaiser Maximilian I. besiegt wurde. (Fig. 618.) Die Darstellung des
Kampfes mit Fausthämmern ist im Freydal*) enthalten. Aus dieser
ist ersichtlich, daſs über den Harnisch noch ein Röckchen aus Stoff
gezogen wurde. Um den unteren Teil des Schurzes kam häufig das
alte Zeichen der Ritterwürde, der breite Waffengürtel, den wir schon
an der ritterlichen Tracht des 14. Jahrhunderts finden. Eine Be-
trachtung der Form des Harnisches führt weiter zu der Überzeugung,
daſs dem Träger in den Armen eine nur beschränkte Bewegung ge-
stattet war, offenbar um die Gefahr zu mäſsigen, ohne den Effekt
für das Auge viel zu beeinträchtigen.

Zu den Handwaffen des Fuſskampfes zählte zunächst der Faust-
schild. Wir sehen einen solchen aus dem Ende des 15. Jahrhunderts
in Fig. 619. Er hat einen Durchmesser von 32 cm., der Rand ist
aufgeworfen. Etwas innerhalb des letzteren läuft ein eiserner Reif
rings um den Schild, der freistehend nur an starken, stiftähnlichen
Stielen auf dem Schildblatte aufsitzt. Es ist dies ein sogenannter
Klingenfänger, seine Bestimmung war, falls es gelang, die Spitze des
Ahlspieſses oder der Schwertklinge in den Zwischenraum des Reifes
zu bringen, diese durch eine Handbewegung einzuklemmen und fest-
zuhalten. An derlei Faustschilden finden sich oft auch 3 — 6 und
mehr konzentrisch angeordnete Reifen. Der Schildnabel ist hoch aufge-
trieben und mit aufgelegten Verzierungen gotischen Stiles ausgestattet. Im
Inneren findet sich ein starker Bügel (A.) zur freien Führung mit der
linken Faust, am Oberrande ein langer Haken (B.), mit dem der
Schild am Schwertgehänge getragen werden konnte. (Fig. 619.)

Neben dem Faustschilde wurden auch in Kämpfen, bei denen
nicht Stangenwaffen geführt wurden, schwere Holzschilde (Pavesen)
und sogenannte Handtartschen gebraucht, welche gleichfalls aus Holz
mit Leinwand überzogen und gleich den ersteren bemalt waren.


*) Bildkodex in der Bibliothek der kunsthist. Sammlungen des kais. Hauses
zu Wien. Quirin v. Leitner, Freydal. Des Kaisers Maximilians I. Turniere
und Mummereien. Wien, 1880‒1882.
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[531/0549] III. Die Turnierwaffen. schobener Schurz, sogenannter „Kampfschurz“, der nahezu bis an die Kniee reicht. Die Achseln sind geschoben und reichen zum Schutze der Achselhöhlen bis zur Brustmitte. Das Armzeug ist das gewöhn- liche der gleichzeitigen Harnische; ebenso sind die Handschuhe mit spitz geschnittenen Stulpen der Form der Hentzen jener Zeit ent- sprechend. Das Fuſszeug zeigt gleichfalls keine besonderen Formen, doch reichen die Diechlinge weit über den Schenkel hinauf, die Knie- beugen sind meist mittelst Folgen geschlossen und die natürlich un- bespornten Schuhe, welche für sich angezogen werden, erscheinen schon um 1480, kolbig, gleich den späteren Kuhmäulern oder Bären- füſsen. So erblicken wir den Kampfharnisch des burgundischen Ritters, Rates und Kämmerers Herzog Karls des Kühnen, Claude de Vaudrey, worin derselbe auf dem Turnier zu Worms 1495 von Kaiser Maximilian I. besiegt wurde. (Fig. 618.) Die Darstellung des Kampfes mit Fausthämmern ist im Freydal *) enthalten. Aus dieser ist ersichtlich, daſs über den Harnisch noch ein Röckchen aus Stoff gezogen wurde. Um den unteren Teil des Schurzes kam häufig das alte Zeichen der Ritterwürde, der breite Waffengürtel, den wir schon an der ritterlichen Tracht des 14. Jahrhunderts finden. Eine Be- trachtung der Form des Harnisches führt weiter zu der Überzeugung, daſs dem Träger in den Armen eine nur beschränkte Bewegung ge- stattet war, offenbar um die Gefahr zu mäſsigen, ohne den Effekt für das Auge viel zu beeinträchtigen. Zu den Handwaffen des Fuſskampfes zählte zunächst der Faust- schild. Wir sehen einen solchen aus dem Ende des 15. Jahrhunderts in Fig. 619. Er hat einen Durchmesser von 32 cm., der Rand ist aufgeworfen. Etwas innerhalb des letzteren läuft ein eiserner Reif rings um den Schild, der freistehend nur an starken, stiftähnlichen Stielen auf dem Schildblatte aufsitzt. Es ist dies ein sogenannter Klingenfänger, seine Bestimmung war, falls es gelang, die Spitze des Ahlspieſses oder der Schwertklinge in den Zwischenraum des Reifes zu bringen, diese durch eine Handbewegung einzuklemmen und fest- zuhalten. An derlei Faustschilden finden sich oft auch 3 — 6 und mehr konzentrisch angeordnete Reifen. Der Schildnabel ist hoch aufge- trieben und mit aufgelegten Verzierungen gotischen Stiles ausgestattet. Im Inneren findet sich ein starker Bügel (A.) zur freien Führung mit der linken Faust, am Oberrande ein langer Haken (B.), mit dem der Schild am Schwertgehänge getragen werden konnte. (Fig. 619.) Neben dem Faustschilde wurden auch in Kämpfen, bei denen nicht Stangenwaffen geführt wurden, schwere Holzschilde (Pavesen) und sogenannte Handtartschen gebraucht, welche gleichfalls aus Holz mit Leinwand überzogen und gleich den ersteren bemalt waren. *) Bildkodex in der Bibliothek der kunsthist. Sammlungen des kais. Hauses zu Wien. Quirin v. Leitner, Freydal. Des Kaisers Maximilians I. Turniere und Mummereien. Wien, 1880‒1882. 34*

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/549>, abgerufen am 19.05.2024.