der Name "Turnier", von tourner, tornare, erst im 12. Jahr- hundert, und zwar für das Kampfspiel in Scharen bei den Franzosen auftritt und sich von ihnen auf andere Nationen überträgt. Dieser Umstand erklärt, dass von dieser Zeit an die ursprünglichen deutschen Fachausdrücke im Turnierwesen verschwinden und französische, später italienische dafür üblich werden. Wie das Turnier deutschen Ur- sprungs ist, ebenso waren es die Deutschen, die bei der Weiterbildung desselben in Bezug auf die Manier und Ausrüstung den Ton an- gaben.
Nicht im Gegensatze zu dem, was allgemein unter "Turnier" verstanden wird, sondern als bestimmte Einzelform ist das "Gestech" (joute, von juxta, treffen) anzusehen, bei welchem nur zwei Gegner in die Bahn traten, um ihre Geschicklichkeit in der Handhabung der Waffen an den Tag zu legen.
Sicher war das Gestech, wie überhaupt alle Turnierarten nur eingerichtet, um die adlige Jugend in der Handhabung der Waffen und des Pferdes zu üben. In der ältesten Zeit findet sich keine Spur eines Kampfpreises oder materiellen Dankes für den Sieger; es genügte diesem vollkommen, den Beweis seiner Tüchtigkeit er- bracht zu haben. Später, im 13. Jahrhundert, als sich in der Ritter- schaft das Bestreben nach Vornehmheit und feiner Sitte mehr und mehr geltend machte und die Verehrung des weiblichen Geschlechtes den Adligen zur Pflicht wurde, bildete die Anerkennung, der Dank der Dame, den höchsten Preis für den Sieger. Mit dieser Wendung im Zusammenhange steht eine bis zum Übermass reifende Ausbildung des Zeremoniells, dessen Ausübung von eigenen Fachmännern, den Herolden, gehandhabt wurde.
In den ersten zwanzig Teilen des Nibelungenliedes finden sich in Bezug auf das Turnier zahlreiche Bemerkungen, die sich noch aus der ursprünglichen Fassung des Gedichtes erhalten haben müssen; denn im 13. Jahrhundert, in welches man allgemein die jetzige Be- arbeitung des nordischen Epos setzt, hatten die Turniergebräuche bereits eine Ausbildung erfahren, von der in den Schilderungen der Turniere im Nibelungenliede noch nichts zu finden ist. Diese Wahr- nehmung wird bestätigt, wenn man jene Schilderungen mit dem fast gleichzeitigen "Frauendienst" vergleicht. So begegnen wir dort nirgends der Bezeichnung "turnay", die wir im "Frauendienst" häufig lesen können; wir finden darin längst veraltete Sitten, wie das Abreichen von Kleidern an den Sieger (X, 4841--4842), ferner sehen wir die Verehrung des weiblichen Geschlechtes weitaus nicht so entwickelt, wie in den höfischen Gedichten des 13. Jahrhunderts.
Zum richtigen Verständnisse des Turnierwesens ist die Kenntnis der Ausrüstung und der Streitweise, wenn wir sie so nennen wollen, unerlässlich. Diese Kenntnis ist freilich um so schwieriger zu erlangen, als sich die äusseren Formen des Kampfspiels bei den verschiedenen
III. Die Turnierwaffen.
der Name „Turnier“, von tourner, tornare, erst im 12. Jahr- hundert, und zwar für das Kampfspiel in Scharen bei den Franzosen auftritt und sich von ihnen auf andere Nationen überträgt. Dieser Umstand erklärt, daſs von dieser Zeit an die ursprünglichen deutschen Fachausdrücke im Turnierwesen verschwinden und französische, später italienische dafür üblich werden. Wie das Turnier deutschen Ur- sprungs ist, ebenso waren es die Deutschen, die bei der Weiterbildung desselben in Bezug auf die Manier und Ausrüstung den Ton an- gaben.
Nicht im Gegensatze zu dem, was allgemein unter „Turnier“ verstanden wird, sondern als bestimmte Einzelform ist das „Gestech“ (joute, von juxta, treffen) anzusehen, bei welchem nur zwei Gegner in die Bahn traten, um ihre Geschicklichkeit in der Handhabung der Waffen an den Tag zu legen.
Sicher war das Gestech, wie überhaupt alle Turnierarten nur eingerichtet, um die adlige Jugend in der Handhabung der Waffen und des Pferdes zu üben. In der ältesten Zeit findet sich keine Spur eines Kampfpreises oder materiellen Dankes für den Sieger; es genügte diesem vollkommen, den Beweis seiner Tüchtigkeit er- bracht zu haben. Später, im 13. Jahrhundert, als sich in der Ritter- schaft das Bestreben nach Vornehmheit und feiner Sitte mehr und mehr geltend machte und die Verehrung des weiblichen Geschlechtes den Adligen zur Pflicht wurde, bildete die Anerkennung, der Dank der Dame, den höchsten Preis für den Sieger. Mit dieser Wendung im Zusammenhange steht eine bis zum Übermaſs reifende Ausbildung des Zeremoniells, dessen Ausübung von eigenen Fachmännern, den Herolden, gehandhabt wurde.
In den ersten zwanzig Teilen des Nibelungenliedes finden sich in Bezug auf das Turnier zahlreiche Bemerkungen, die sich noch aus der ursprünglichen Fassung des Gedichtes erhalten haben müssen; denn im 13. Jahrhundert, in welches man allgemein die jetzige Be- arbeitung des nordischen Epos setzt, hatten die Turniergebräuche bereits eine Ausbildung erfahren, von der in den Schilderungen der Turniere im Nibelungenliede noch nichts zu finden ist. Diese Wahr- nehmung wird bestätigt, wenn man jene Schilderungen mit dem fast gleichzeitigen „Frauendienst“ vergleicht. So begegnen wir dort nirgends der Bezeichnung „turnay“, die wir im „Frauendienst“ häufig lesen können; wir finden darin längst veraltete Sitten, wie das Abreichen von Kleidern an den Sieger (X, 4841—4842), ferner sehen wir die Verehrung des weiblichen Geschlechtes weitaus nicht so entwickelt, wie in den höfischen Gedichten des 13. Jahrhunderts.
Zum richtigen Verständnisse des Turnierwesens ist die Kenntnis der Ausrüstung und der Streitweise, wenn wir sie so nennen wollen, unerläſslich. Diese Kenntnis ist freilich um so schwieriger zu erlangen, als sich die äuſseren Formen des Kampfspiels bei den verschiedenen
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III. Die Turnierwaffen.
der Name „Turnier“, von tourner, tornare, erst im 12. Jahr-
hundert, und zwar für das Kampfspiel in Scharen bei den Franzosen
auftritt und sich von ihnen auf andere Nationen überträgt. Dieser
Umstand erklärt, daſs von dieser Zeit an die ursprünglichen deutschen
Fachausdrücke im Turnierwesen verschwinden und französische, später
italienische dafür üblich werden. Wie das Turnier deutschen Ur-
sprungs ist, ebenso waren es die Deutschen, die bei der Weiterbildung
desselben in Bezug auf die Manier und Ausrüstung den Ton an-
gaben.
Nicht im Gegensatze zu dem, was allgemein unter „Turnier“
verstanden wird, sondern als bestimmte Einzelform ist das „Gestech“
(joute, von juxta, treffen) anzusehen, bei welchem nur zwei Gegner
in die Bahn traten, um ihre Geschicklichkeit in der Handhabung der
Waffen an den Tag zu legen.
Sicher war das Gestech, wie überhaupt alle Turnierarten nur
eingerichtet, um die adlige Jugend in der Handhabung der Waffen
und des Pferdes zu üben. In der ältesten Zeit findet sich keine
Spur eines Kampfpreises oder materiellen Dankes für den Sieger;
es genügte diesem vollkommen, den Beweis seiner Tüchtigkeit er-
bracht zu haben. Später, im 13. Jahrhundert, als sich in der Ritter-
schaft das Bestreben nach Vornehmheit und feiner Sitte mehr und
mehr geltend machte und die Verehrung des weiblichen Geschlechtes
den Adligen zur Pflicht wurde, bildete die Anerkennung, der Dank
der Dame, den höchsten Preis für den Sieger. Mit dieser Wendung
im Zusammenhange steht eine bis zum Übermaſs reifende Ausbildung
des Zeremoniells, dessen Ausübung von eigenen Fachmännern, den
Herolden, gehandhabt wurde.
In den ersten zwanzig Teilen des Nibelungenliedes finden sich
in Bezug auf das Turnier zahlreiche Bemerkungen, die sich noch aus
der ursprünglichen Fassung des Gedichtes erhalten haben müssen;
denn im 13. Jahrhundert, in welches man allgemein die jetzige Be-
arbeitung des nordischen Epos setzt, hatten die Turniergebräuche
bereits eine Ausbildung erfahren, von der in den Schilderungen der
Turniere im Nibelungenliede noch nichts zu finden ist. Diese Wahr-
nehmung wird bestätigt, wenn man jene Schilderungen mit dem fast
gleichzeitigen „Frauendienst“ vergleicht. So begegnen wir dort nirgends
der Bezeichnung „turnay“, die wir im „Frauendienst“ häufig lesen
können; wir finden darin längst veraltete Sitten, wie das Abreichen
von Kleidern an den Sieger (X, 4841—4842), ferner sehen wir die
Verehrung des weiblichen Geschlechtes weitaus nicht so entwickelt,
wie in den höfischen Gedichten des 13. Jahrhunderts.
Zum richtigen Verständnisse des Turnierwesens ist die Kenntnis
der Ausrüstung und der Streitweise, wenn wir sie so nennen wollen,
unerläſslich. Diese Kenntnis ist freilich um so schwieriger zu erlangen,
als sich die äuſseren Formen des Kampfspiels bei den verschiedenen
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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/536>, abgerufen am 22.11.2024.
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