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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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II. Die Angriffswaffen.
stellig und handgewandter, führten ihn noch häufig und nicht ohne
Erfolg. Bei der eigentlichen Hauptwaffe, der Reiterei, die immer
mehr als einzig massgebend im Streite angesehen wurde, war man
bemüht, die Wirkung des Spiesses zu erhöhen. Das führte zur Ver-
längerung und Verstärkung der Schäfte. Hatten sie bis dahin am
Stammende durchschnittlich nur eine Stärke von 3,3 cm. und eine
durchschnittliche Länge von höchstens 4 m., so führte man sie nun
bei einem Durchmesser von ca. 4,5 cm. in einer Länge bis zu 5 m.
Die Spiesseisen erhalten mannigfache Formen, die Spiessklingen wer-
den lang und spitzig und besitzen längere Dillen. Die mit dieser
Umgestaltung verbundene ansehnliche Vermehrung des Gewichtes
veranlasste zunächst eine Veränderung in der Handhabung. Führte
der Reiter früher den Spiess in freier, erhobener Hand, wie noch
[Abbildung] Fig. 364.

Reitergefecht aus einem Manuskript des 13. Jahr-
hunderts nach Van der Kellen.

heute der Beduine, so zwang ihn jetzt die Schwere der Stange, sie
unter den Arm zu zwängen und, den Oberkörper anstemmend, den
Stoss auszuführen.

Noch weit bedeutender war die Veränderung, welche die
Stangenwaffe im Verlaufe des 12. Jahrhunderts im Fussvolke erhielt.
Der alte Spiess, für Reiter und Fussknecht gleich geformt, erwies sich
für diesen als zu gebrechlich und wegen seiner Länge in der
Handhabung unsicher. Man verstärkte darum den Schaft auf 4,75
bis selbst 5 cm. und verkürzte ihn so bedeutend, dass er nur wenig
eine Mannslänge überragte. (Fig. 365.) Damit bildete sich die Ur-
form des sogenannten "gemeinen Spiesses", der mit unwesentlichen
Varianten bis ins 17. Jahrhundert herein im Gebrauch geblieben ist.
Das Bestreben, die Handsamkeit des Schaftes zu erhöhen, führte noch
im 12. Jahrhundert zu neuen Kombinationen. Man suchte das Spiesseisen

II. Die Angriffswaffen.
stellig und handgewandter, führten ihn noch häufig und nicht ohne
Erfolg. Bei der eigentlichen Hauptwaffe, der Reiterei, die immer
mehr als einzig maſsgebend im Streite angesehen wurde, war man
bemüht, die Wirkung des Spieſses zu erhöhen. Das führte zur Ver-
längerung und Verstärkung der Schäfte. Hatten sie bis dahin am
Stammende durchschnittlich nur eine Stärke von 3,3 cm. und eine
durchschnittliche Länge von höchstens 4 m., so führte man sie nun
bei einem Durchmesser von ca. 4,5 cm. in einer Länge bis zu 5 m.
Die Spieſseisen erhalten mannigfache Formen, die Spieſsklingen wer-
den lang und spitzig und besitzen längere Dillen. Die mit dieser
Umgestaltung verbundene ansehnliche Vermehrung des Gewichtes
veranlaſste zunächst eine Veränderung in der Handhabung. Führte
der Reiter früher den Spieſs in freier, erhobener Hand, wie noch
[Abbildung] Fig. 364.

Reitergefecht aus einem Manuskript des 13. Jahr-
hunderts nach Van der Kellen.

heute der Beduine, so zwang ihn jetzt die Schwere der Stange, sie
unter den Arm zu zwängen und, den Oberkörper anstemmend, den
Stoſs auszuführen.

Noch weit bedeutender war die Veränderung, welche die
Stangenwaffe im Verlaufe des 12. Jahrhunderts im Fuſsvolke erhielt.
Der alte Spieſs, für Reiter und Fuſsknecht gleich geformt, erwies sich
für diesen als zu gebrechlich und wegen seiner Länge in der
Handhabung unsicher. Man verstärkte darum den Schaft auf 4,75
bis selbst 5 cm. und verkürzte ihn so bedeutend, daſs er nur wenig
eine Mannslänge überragte. (Fig. 365.) Damit bildete sich die Ur-
form des sogenannten „gemeinen Spieſses“, der mit unwesentlichen
Varianten bis ins 17. Jahrhundert herein im Gebrauch geblieben ist.
Das Bestreben, die Handsamkeit des Schaftes zu erhöhen, führte noch
im 12. Jahrhundert zu neuen Kombinationen. Man suchte das Spieſseisen

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[312/0330] II. Die Angriffswaffen. stellig und handgewandter, führten ihn noch häufig und nicht ohne Erfolg. Bei der eigentlichen Hauptwaffe, der Reiterei, die immer mehr als einzig maſsgebend im Streite angesehen wurde, war man bemüht, die Wirkung des Spieſses zu erhöhen. Das führte zur Ver- längerung und Verstärkung der Schäfte. Hatten sie bis dahin am Stammende durchschnittlich nur eine Stärke von 3,3 cm. und eine durchschnittliche Länge von höchstens 4 m., so führte man sie nun bei einem Durchmesser von ca. 4,5 cm. in einer Länge bis zu 5 m. Die Spieſseisen erhalten mannigfache Formen, die Spieſsklingen wer- den lang und spitzig und besitzen längere Dillen. Die mit dieser Umgestaltung verbundene ansehnliche Vermehrung des Gewichtes veranlaſste zunächst eine Veränderung in der Handhabung. Führte der Reiter früher den Spieſs in freier, erhobener Hand, wie noch [Abbildung Fig. 364. Reitergefecht aus einem Manuskript des 13. Jahr- hunderts nach Van der Kellen.] heute der Beduine, so zwang ihn jetzt die Schwere der Stange, sie unter den Arm zu zwängen und, den Oberkörper anstemmend, den Stoſs auszuführen. Noch weit bedeutender war die Veränderung, welche die Stangenwaffe im Verlaufe des 12. Jahrhunderts im Fuſsvolke erhielt. Der alte Spieſs, für Reiter und Fuſsknecht gleich geformt, erwies sich für diesen als zu gebrechlich und wegen seiner Länge in der Handhabung unsicher. Man verstärkte darum den Schaft auf 4,75 bis selbst 5 cm. und verkürzte ihn so bedeutend, daſs er nur wenig eine Mannslänge überragte. (Fig. 365.) Damit bildete sich die Ur- form des sogenannten „gemeinen Spieſses“, der mit unwesentlichen Varianten bis ins 17. Jahrhundert herein im Gebrauch geblieben ist. Das Bestreben, die Handsamkeit des Schaftes zu erhöhen, führte noch im 12. Jahrhundert zu neuen Kombinationen. Man suchte das Spieſseisen

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/330>, abgerufen am 21.11.2024.