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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert.

In Frankreich, wo die Waffenfabrikation ganz in den Händen
der Italiener lag, brauchte man im 14. Jahrhundert allgemein
Schwerter mit kurzen, spitzigen, gratigen Klingen und Griffen, welche
mit beiden Händen geführt und grossenteils in Bordeaux erzeugt,
daher bordelaises genannt wurden; daneben erhielt sich das lange
deutsche Reiterschwert, Kürissschwert, dessen Griff aber überall
Formenwandlungen unterlag, die den italienischen Geschmack verraten.
(Fig. 281, 282, 283, 284.) So erscheinen nun die lappig gebildeten
Knäufe, die gebogenen, attisch gegliederten Parierstangen und Beschläg-
formen an Scheiden, die bereits der Frührenaissance angehören.
(Fig. 285.)

In der Klingenfabrikation, in der bisher der Orient dominierte,
streiten nun Toledo, Passau und Brescia um den Vorrang. Zwei dieser
Zentren der Waffenschmiedekunst leiteten ihren Ursprung in die vor-
geschichtliche Zeit zurück. Toledo verdankte seinen späteren hohen
Ruhm den Mauren, Passau, eine Waffenstätte aus nachrömischer Zeit,
erhob sich später durch deutschen Kunstfleiss zur ersten Stätte der
Kunstindustrie. Brescia, das schon den Etruskern Waffen schmiedete,
stand in der späteren Römerzeit bezüglich seiner Waffenerzeugung unter
einem Decurio armamentarii, dem auch die Werkstätten von Friaul,
Steyermark und Kärnten unterstellt waren und von welchen aus die
Legionen am Rhein, an der Donau, in Pannonien mit Waffen versehen
wurden. Im 13. Jahrhundert aber entwickelte sich Brescia bedeutend,
so dass es mit staunenswertem Erfolge um den Preis des Vorranges
in die Bahn treten konnte.

Wenngleich, wie wir gesehen haben, das Schwert schon im 7.
Jahrhunderte und früher ein beliebter Gegenstand der künstlerischen
Ausstattung gewesen ist, so blieb diese doch nur auf einzelne Stücke
beschränkt, die Masse der übrigen erscheint in Ansehung der Fassung
auch da insgemein roh und plump, wo ausgezeichnete Klingen sorg-
fältigere Behandlung verdient hätten. Erst im 14. Jahrhundert, durch
italienischen Einfluss gefördert, erhalten die Griffe eine leichtere und
durchgebildete Form. Die Knäufe erscheinen in mannigfachen und
gefälligeren Formen, das Griffholz wird nun mit Leder oder Stoff
überzogen oder mit Draht umwunden, ja oft mit Seidenschnüren
netzartig umstrickt. Die Parierstangen werden nun nicht selten ge-
schweift gebildet. Gegen das Ende des Jahrhunderts zeigen sich in
Spanien die ersten kleinen Anfänge zur Erzielung eines besseren
Schutzes der Faust durch Beigabe des Faustschutzbügels (Eselshuf,
pas d'ane) der später, im 16. und 17. Jahrhundert, in Italien und
Spanien zu so übertriebener Ausgestaltung gelangte. Die Schwert-
scheide von Leder erhält Beschläge von Metall, das Ortband er-
scheint zuweilen in Form einer Zwinge. Nie findet sich ein Mund-
blech, welches damals nur an orientalischen Scheiden vorkam. Um
die Klinge vor Nässe zu schützen, wird der Oberrand der Scheide-

A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert.

In Frankreich, wo die Waffenfabrikation ganz in den Händen
der Italiener lag, brauchte man im 14. Jahrhundert allgemein
Schwerter mit kurzen, spitzigen, gratigen Klingen und Griffen, welche
mit beiden Händen geführt und groſsenteils in Bordeaux erzeugt,
daher bordelaises genannt wurden; daneben erhielt sich das lange
deutsche Reiterschwert, Küriſsschwert, dessen Griff aber überall
Formenwandlungen unterlag, die den italienischen Geschmack verraten.
(Fig. 281, 282, 283, 284.) So erscheinen nun die lappig gebildeten
Knäufe, die gebogenen, attisch gegliederten Parierstangen und Beschläg-
formen an Scheiden, die bereits der Frührenaissance angehören.
(Fig. 285.)

In der Klingenfabrikation, in der bisher der Orient dominierte,
streiten nun Toledo, Passau und Brescia um den Vorrang. Zwei dieser
Zentren der Waffenschmiedekunst leiteten ihren Ursprung in die vor-
geschichtliche Zeit zurück. Toledo verdankte seinen späteren hohen
Ruhm den Mauren, Passau, eine Waffenstätte aus nachrömischer Zeit,
erhob sich später durch deutschen Kunstfleiſs zur ersten Stätte der
Kunstindustrie. Brescia, das schon den Etruskern Waffen schmiedete,
stand in der späteren Römerzeit bezüglich seiner Waffenerzeugung unter
einem Decurio armamentarii, dem auch die Werkstätten von Friaul,
Steyermark und Kärnten unterstellt waren und von welchen aus die
Legionen am Rhein, an der Donau, in Pannonien mit Waffen versehen
wurden. Im 13. Jahrhundert aber entwickelte sich Brescia bedeutend,
so daſs es mit staunenswertem Erfolge um den Preis des Vorranges
in die Bahn treten konnte.

Wenngleich, wie wir gesehen haben, das Schwert schon im 7.
Jahrhunderte und früher ein beliebter Gegenstand der künstlerischen
Ausstattung gewesen ist, so blieb diese doch nur auf einzelne Stücke
beschränkt, die Masse der übrigen erscheint in Ansehung der Fassung
auch da insgemein roh und plump, wo ausgezeichnete Klingen sorg-
fältigere Behandlung verdient hätten. Erst im 14. Jahrhundert, durch
italienischen Einfluſs gefördert, erhalten die Griffe eine leichtere und
durchgebildete Form. Die Knäufe erscheinen in mannigfachen und
gefälligeren Formen, das Griffholz wird nun mit Leder oder Stoff
überzogen oder mit Draht umwunden, ja oft mit Seidenschnüren
netzartig umstrickt. Die Parierstangen werden nun nicht selten ge-
schweift gebildet. Gegen das Ende des Jahrhunderts zeigen sich in
Spanien die ersten kleinen Anfänge zur Erzielung eines besseren
Schutzes der Faust durch Beigabe des Faustschutzbügels (Eselshuf,
pas d’âne) der später, im 16. und 17. Jahrhundert, in Italien und
Spanien zu so übertriebener Ausgestaltung gelangte. Die Schwert-
scheide von Leder erhält Beschläge von Metall, das Ortband er-
scheint zuweilen in Form einer Zwinge. Nie findet sich ein Mund-
blech, welches damals nur an orientalischen Scheiden vorkam. Um
die Klinge vor Nässe zu schützen, wird der Oberrand der Scheide-

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[247/0265] A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. In Frankreich, wo die Waffenfabrikation ganz in den Händen der Italiener lag, brauchte man im 14. Jahrhundert allgemein Schwerter mit kurzen, spitzigen, gratigen Klingen und Griffen, welche mit beiden Händen geführt und groſsenteils in Bordeaux erzeugt, daher bordelaises genannt wurden; daneben erhielt sich das lange deutsche Reiterschwert, Küriſsschwert, dessen Griff aber überall Formenwandlungen unterlag, die den italienischen Geschmack verraten. (Fig. 281, 282, 283, 284.) So erscheinen nun die lappig gebildeten Knäufe, die gebogenen, attisch gegliederten Parierstangen und Beschläg- formen an Scheiden, die bereits der Frührenaissance angehören. (Fig. 285.) In der Klingenfabrikation, in der bisher der Orient dominierte, streiten nun Toledo, Passau und Brescia um den Vorrang. Zwei dieser Zentren der Waffenschmiedekunst leiteten ihren Ursprung in die vor- geschichtliche Zeit zurück. Toledo verdankte seinen späteren hohen Ruhm den Mauren, Passau, eine Waffenstätte aus nachrömischer Zeit, erhob sich später durch deutschen Kunstfleiſs zur ersten Stätte der Kunstindustrie. Brescia, das schon den Etruskern Waffen schmiedete, stand in der späteren Römerzeit bezüglich seiner Waffenerzeugung unter einem Decurio armamentarii, dem auch die Werkstätten von Friaul, Steyermark und Kärnten unterstellt waren und von welchen aus die Legionen am Rhein, an der Donau, in Pannonien mit Waffen versehen wurden. Im 13. Jahrhundert aber entwickelte sich Brescia bedeutend, so daſs es mit staunenswertem Erfolge um den Preis des Vorranges in die Bahn treten konnte. Wenngleich, wie wir gesehen haben, das Schwert schon im 7. Jahrhunderte und früher ein beliebter Gegenstand der künstlerischen Ausstattung gewesen ist, so blieb diese doch nur auf einzelne Stücke beschränkt, die Masse der übrigen erscheint in Ansehung der Fassung auch da insgemein roh und plump, wo ausgezeichnete Klingen sorg- fältigere Behandlung verdient hätten. Erst im 14. Jahrhundert, durch italienischen Einfluſs gefördert, erhalten die Griffe eine leichtere und durchgebildete Form. Die Knäufe erscheinen in mannigfachen und gefälligeren Formen, das Griffholz wird nun mit Leder oder Stoff überzogen oder mit Draht umwunden, ja oft mit Seidenschnüren netzartig umstrickt. Die Parierstangen werden nun nicht selten ge- schweift gebildet. Gegen das Ende des Jahrhunderts zeigen sich in Spanien die ersten kleinen Anfänge zur Erzielung eines besseren Schutzes der Faust durch Beigabe des Faustschutzbügels (Eselshuf, pas d’âne) der später, im 16. und 17. Jahrhundert, in Italien und Spanien zu so übertriebener Ausgestaltung gelangte. Die Schwert- scheide von Leder erhält Beschläge von Metall, das Ortband er- scheint zuweilen in Form einer Zwinge. Nie findet sich ein Mund- blech, welches damals nur an orientalischen Scheiden vorkam. Um die Klinge vor Nässe zu schützen, wird der Oberrand der Scheide-

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/265>, abgerufen am 26.07.2024.